Die Gegenwart der Zukunft
Von Andreas Hippin, London
Schon in William Gibsons „Neuromancer“ verschwammen die Grenzen zwischen physischer und virtueller Realität. Heute gehen „Transhumanisten“ davon aus, dass die Menschheit ihre nächste Evolutionsstufe durch Fusion mit Technologie erreichen wird. Wojtek Paprota, der Gründer und CEO des Fintech-Unternehmens Walletmor, ist ein Anhänger dieser Philosophie, zumindest outet er sich auf seiner Linkedin-Seite als solcher. Das Unternehmen bietet Bankkarten-Chips für das kontaktlose Bezahlen an, die sich unter die Haut implantieren lassen. Fortan können die Benutzer allein durch Handauflegen bezahlen. Debitkarten könnten der Vergangenheit angehören. Doch noch ist der Appetit auf Chipimplantate begrenzt. Das einen halben Millimeter dicke Produkt von Walletmor, das für 199 Euro angeboten wird, ist so groß wie ein Reiskorn und besteht aus einem Chip und einer ringförmigen Antenne, die in einem Biopolymer von Vivokey Technologies eingeschlossen sind. Das Unternehmen „installiert“ sie nicht selbst, sondern verweist auf Partner wie KSEC Cyborg Center. Auch ein Nicholas Pinch von Voodoo Body Piercing in Barnstaple wird auf der Website der Gesellschaft als Spezialist aufgeführt. Man könne aber auch in einen anderen Piercing-Laden gehen, heißt es dort.
Walletmor verwendet Chips der Bezahl-App Muchbetter, die mit Mastercard zusammenarbeitet. Beide Unternehmen zogen aus gesundheitlichen Gründen und Sicherheitserwägungen den Stecker, als sie davon erfuhren, wie die „Daily Mail“ berichtet. Das sei kein Produkt, an dem man beteiligt sei oder das man unterstütze, erklärte Mastercard. „Wir erlauben in unserem Netz nur Transaktionen mit Geräten, die unseren Zertifizierungs- und Testanforderungen entsprechen“, zitiert das Blatt einen Sprecher des Kreditkartenanbieters. „Menschliche Chipimplantate entsprechen diesen Anforderungen nicht.“ Muchbetter zufolge gibt es keine geschäftlichen Beziehungen zu Walletmor. Das Fintech verletze die Markenrechte des E-Wallet-Anbieters. Konten von britischen Kunden wurden geschlossen. Wie die „Daily Mail“ berichtet, haben sich nur zwei britische Kunden den Chip installieren lassen. Dutzende hätten zwar bezahlt, das Gerät bislang aber noch nicht unter der Haut. „Wir bitten unsere Kunden um Geduld“, sagte Paprota der Zeitung. „Denn bald werden die Chips auch auf den Britischen Inseln problemlos funktionieren.“ In anderen Ländern gebe es keine Probleme, weil man dort auf einen anderen Provider zurückgreife: Icard. Aus den intergalaktischen Reisen und anderen Versprechen des Science-Fiction-Genres ist bislang nichts geworden, doch kann man sich einen Bezahl-Chip implementieren lassen. Die Gegenwart der Zukunft gibt ein erbärmliches Bild ab.