Sustainable Finance

Die Komplexität der Regeln ist atemberaubend

Die neue Bundesregierung will die Wirtschaft nachhaltiger machen, wichtiger Punkt ist dabei die EU-Taxonomie. Aber auch die Zusammenarbeit zwischen Banken und Unternehmen ist essenziell.

Die Komplexität der Regeln ist atemberaubend

Die neue Bundesregierung aus SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP hat die UN-Nachhaltigkeitsziele zur Richtschnur ihrer Politik erklärt und ist entschlossen, die Transformation zu einer nachhaltigen Wirtschaft mit Hochdruck zu befördern. Das Thema Nachhaltigkeit/nachhaltige Finanzen steht auch auf europäischer und internationaler Ebene weit oben auf der Agenda. Ausgehend vom Pariser Klimaschutzabkommen und der UN-Agenda­ 2030 mit ihren 17 globalen Nachhaltigkeitszielen strebt die Europäische Kommission mit ihrem europäischen Green Deal an, die Europäische Union (EU) bis 2050 zum ersten klimaneutralen Wirtschaftsraum der Welt zu machen. Die EU-Mitgliedstaaten haben sich verpflichtet, die Treibhausgasemissionen bis 2030 um mindestens 55% gegenüber dem Stand von 1990 zu verringern. Das Erfordernis einer beschleunigten globalen Energiewende wurde von den Teilnehmerstaaten der Weltklimakonferenz in Glasgow im November 2021 bekräftigt. Den jährlichen zusätzlichen Investitionsbedarf beziffert die EU-Kommission auf rund 350 Mrd. Euro zur Erreichung der Emissionsreduktionsziele und dazu weitere 130 Mrd. Euro für andere Umweltziele. Die Finanzwirtschaft soll die Transformation zu einer nachhaltigen Wirtschaft unterstützen, indem sie einen wesentlichen Teil der notwendigen Finanzmittel bereitstellt.

Greenwashing verhindern

Dreh- und Angelpunkt der EU-Sustainable-Finance-Strategie ist die EU-Taxonomie, durch die ein EU-weit­ einheitliches Klassifikationssystem zur Festlegung von als nachhaltig eingestuften wirtschaftlichen Tätigkeiten geschaffen werden soll und die es Unternehmen ermöglicht, eine gemeinsame Definition von Nachhaltigkeit zu verwenden, und zudem Grünfärberei (Green­washing) verhindert. Erforderlich ist eine schlanke und praxisgerechte Taxonomie. Die Taxonomie-Regelungen zu den ersten beiden ökologischen Nachhaltigkeitszielen – Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel – werden leider diesem Anspruch nicht gerecht; die Komplexität der Regeln ist atemberaubend und ohne umfangreiche IT-Unterstützung kaum handhabbar.

Vor dem Hintergrund dieser Erkenntnis sollte die EU-Kommission bei der noch ausstehenden Festlegung der Bewertungskriterien für die übrigen Umweltziele und die Überlegungen zur Entwicklung einer sozialen Taxonomie die Anwendbarkeit der Taxonomie stärker berücksichtigen. Vorschläge zur etwaigen Einführung einer braunen Taxonomie, quasi zur Identifizierung von umweltschädlichen wirtschaftlichen Tätigkeiten, lehnen wir ab. Nachhaltigkeit oder fehlende Nachhaltigkeit per se sagt noch nichts über Risiken aus, und das Prinzip der Risikoorientierung der Bankenregeln muss bleiben. Zudem würde eine braune Taxonomie zu einer Stigmatisierung bestimmter Wirtschaftszweige führen und so die europäische Volkswirtschaft erheblich beeinträchtigen. Die erwünschte Transformation wird dadurch nicht gefördert. Aus unserer Sicht ist eine weniger disruptive Politik zielführender, die Entwicklungsprozesse unterstützt und Unternehmen Anreize auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit gibt.

Umfangreiche Berichtspflicht

Mit der Weiterentwicklung der bisherigen CSR-Richtlinie zu einer sogenannten Corporate-Sustainability-Reporting-Richtlinie wird sich in den kommenden Jahren sowohl der Kreis der nichtfinanziell berichtspflichtigen Unternehmen als auch der Umfang der Berichtspflichten ausweiten. Während bisher nur Unternehmen von öffentlichem Interesse, also Banken, Versicherungen und kapitalmarktorientierte Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Berichtspflicht unterlagen, wird diese ab 2024 auf alle in EU-regulierten Märkten notierten Unternehmen und somit auf zahlreiche größere Mittelständler ausgeweitet. Die EU-Kommission sieht neben den Berichtsstandards für große Unternehmen separate Standards für KMU vor, die auf regulierten Märkten notiert sind. Diese können freiwillig auch von nicht notierten KMU angewendet werden.

Zudem müssen berichtspflichtige Unternehmen laut Taxonomie-Verordnung ab 2024 über Art und Umfang ihrer ökologisch nachhaltigen Wirtschaftsaktivitäten in Form der sogenannten Green Asset Ratio berichten. Mit Blick auf nachhaltig orientierte und hierüber berichtende Mittelständler sollten aus unserer Sicht deren taxonomiekonforme Finanzierungen bereits ab 2024 in die Green Asset Ratio aufgenommen werden können und nicht erst zu einem späteren Zeitpunkt, wie von der EU-Kommission in Aussicht ge­stellt. Wie die EU-Kommission in ihren Taxonomie-Regelungen ausführt, sollte aufgrund der sehr komplexen technischen Evaluierungskriterien die Taxonomie-Konformität realwirtschaftlicher Unternehmen von einem unabhängigen Dritten geprüft werden. Diese Ansicht ist sehr zu unterstützen, da sie notwendige Daten verfügbar macht und zu größerer Konsistenz der Beurteilungen führen dürfte.

Die Aufsicht erwartet, dass Banken Nachhaltigkeitsrisiken angemessen im Risikomanagement berücksichtigen, wofür ebenfalls ausreichende Nachhaltigkeitsdaten der Kreditnehmer benötigt werden. In diesem Zusammenhang haben die regierenden Parteien in ihrem Koalitionsvertrag klargestellt, dass Banken Finanzierungen von Nachhaltigkeitsvorhaben nicht per se mit weniger Eigenkapital unterlegen sollten, sondern auch hier risikogerechte Eigenkapitalregeln angewendet werden sollen.

Teil der Bewertung

Nachhaltigkeitsaspekte finden immer mehr Eingang in die Unternehmensbewertung. Auf dem Kapitalmarkt wird sich dies unmittelbar im Spread beziehungsweise im Wert der entsprechenden Wertpapiere niederschlagen, bei den mittelständischen Kreditnehmern der Banken in der Bonität und damit im Rating des Unternehmens. Daneben ermöglicht erst ein ESG-Scoring für die Kreditnehmer die Steuerung der Nachhaltigkeitsziele. Die Entwicklung dieser Systeme benötigt Zeit. Dies gilt auch für die Gewinnung und Speicherung der notwendigen Daten. Unternehmensbewertungen externer Nachhaltigkeitsagenturen wie beispielsweise MSCI, Sustainalytics und ISS sind vor allem für Unternehmen verfügbar, die Wertpapiere begeben. Ex­terne Nachhaltigkeitsratings unterstützen insbesondere institutionelle Investoren bei deren Anlageentscheidungen. Aufgrund der jeweils unterschiedlichen Berechnungs- und Be­wertungsmethoden sind externe Nachhaltigkeitsratings wohl auf absehbare Zeit nur bedingt miteinander vergleichbar.

Öffentliches Interesse

Anders als bei kapitalmarktorientierten Unternehmen sind Nachhaltigkeitsdaten zu mittelständischen Unternehmen bislang kaum und/oder nicht in ausreichender Qualität und ausreichendem Umfang verfügbar. Dies sollte sich jedoch alsbald ändern. Das gestiegene öffentliche Interesse an der Nachhaltigkeitsausrichtung von Unternehmen, aber auch die gesetzlichen Vorgaben im Bereich Sustainable Finance und das ab 2023 anzuwendende Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz machen es für die mittelständischen Betriebe als Teil der Wertschöpfungskette mehr und mehr erforderlich, künftig ihre Nachhaltigkeitsdaten in ihre Visitenkarte zu integrieren. Ein hilfreiches Instrument für mittelständische Unternehmen zur Zusammenstellung ihrer Nachhaltigkeitsinformationen stellt der vom Rat für Nachhaltige Entwicklung verantwortete Deutsche Nachhaltigkeitskodex dar.

Enger Austausch

Da Banken auf die Nachhaltigkeitsdaten der Realwirtschaft angewiesen sind, bedarf es eines engen Austauschs zwischen der Bank und den finanzierten Unternehmen. Nachhaltigkeit ist kein Ziel, sondern eine Reise mit zum Teil sehr anspruchsvollen Zwischenetappen. Die genossenschaftliche FinanzGruppe steht bereit, Unternehmen auf dem Weg der Transformation aktiv zu beraten und finanziell zu begleiten. Sustainable Finance ist für die Genossenschaftsbanken ein zentrales strategisches Anliegen und integraler Bestandteil ihres Ge­schäftsmodells.

Zuletzt erschienen:

Fondsgesellschaften (18. Januar)

Kreditgeschäft (15. Januar)