Im InterviewJens Hasselbächer, R+V Versicherung

Digitaler Vertrieb als Wachstumsmotor

Für die R+V Versicherung sind die Volks- und Raiffeisenbanken der zentrale Vertriebsweg. Hier will sie auch in Zukunft wachsen, sagt Vertriebsvorstand Jens Hasselbächer. Die meisten Kunden bevorzugen die persönliche Beratung. Digitale Vertriebskanäle legen aber jährlich mit zweistelligen Wachstumsraten zu.

Digitaler Vertrieb als Wachstumsmotor

Im Interview: Jens Hasselbächer

Digitaler Vertrieb als Wachstumsmotor

Der Vertriebsvorstand der R+V über die Rolle der persönlichen Beratung, digitale Zusatzdienste und künstliche Intelligenz

Die Fragen stellte Thomas List

Die R+V Versicherung verkauft ihre Produkte vor allem über die Volks- und Raiffeisenbanken. Den meisten Umsatz machen Bankmitarbeiter in der persönliche Beratung. Der digitale Vertrieb gewinnt aber rasant an Bedeutung. KI soll die Mitarbeiter von der Verwaltung entlasten.

Herr Hasselbächer, was bedeutet Bancassurance für die R+V Versicherung?

Die Volks- und Raiffeisenbanken und andere Genossenschaftsbanken stellen ihren Kunden Finanzdienstleistungen im 360-Grad-Ansatz zur Verfügung.

Und das heißt konkret?

Das heißt, dass wir als R+V Versicherung mit unseren Produkten und unserer Beratungsleistung voll in die Kundenberatung der Genossenschaftsbanken integriert sind. Es geht also um Kundenzugang, Personalintegration, Prozessintegration und spezifische Produkte, die für den Bankkunden und die Bankberatung gut passen.

Wenn ich mich als Kunde einer Volks- oder Raiffeisenbank zum Beispiel für eine Lebensversicherung interessiere: Wie laufen dann die Kontaktaufnahme und der Beratungsprozess ab?

Wir haben uns mit den Banken für eine omnikanale Kunden- und Marktbearbeitung entschieden. Der Kunde entscheidet, zu welcher Zeit über welchen Kanal er mit uns in Kontakt treten will: über die Homepage der Bank, das Online-Banking, das Kundencenter oder den Bankberater persönlich.

Wo machen Sie das meiste Geschäft?

Nach wie vor über die persönliche Beratung. In Ihrem Fall wird der Bankberater also das Thema Vorsorge und Versicherungen ansprechen. Beim Immobilienkauf sind wir zum Beispiel schnell bei der Wohngebäude- und der Bauleistungsversicherung.

Wie sieht es bei der Altersvorsorge aus?

Ihr Bankberater hat Ihre Daten und kann daraus Versorgungslücken erkennen und Sie gezielt darauf ansprechen.

Das Vorsorgegeschäft läuft also meist über die persönliche Beratung?

Ja, zu 98%. Es geht um die Absicherung für das Alter, die Absicherung der Arbeitskraft, also Berufsunfähigkeit, und die Gesundheitsvorsorge.

Wird in dem Bereich irgendwo zunehmend über Internet oder App verkauft?

Ja, die Krankenzusatzversicherung läuft bezogen auf die Anzahl der abgeschlossenen Verträge inzwischen bis zu 35% digital.

Wie sieht es in anderen Sparten aus?

In der Kompositversicherung haben die digitalen Kanäle und die Direktberatung über Telefon deutlich an Bedeutung gewonnen. In der Kfz-Versicherung kommen darüber bis zu 20% der abgeschlossenen Verträge, in der Privathaftpflicht und der Hausratversicherung bis zu 5%. Diese Anteile wachsen schnell.

Wie viele Kunden nutzen denn Ihre Online-Kanäle?

Insgesamt nutzen rund 11 Millionen Kunden der Volks- und Raiffeisenbanken die bankeigenen Apps. Die VR Banking App hat etwa 5 Millionen Anmeldungen am Tag. Allerdings nicht nur von R+V-Kunden. Rund 22% der Bankkunden haben auch R+V-Verträge. Bei den bankeigenen Apps nutzen ca. 40% der Kunden unser R+V-Angebot. Die Nutzung von Online-Banking am PC verliert an Bedeutung. Unser R+V-Kunden-Portal Meine R+V nutzen im Bestand 25% der Kunden. Bei Neukunden sind es aber schon 74%.

Wie sieht das Wachstum der digitalen Kanäle bei der R+V aus?

Seit 2019 wachsen die digitalen Kanäle jährlich um mindestens 25%. In diesem Jahr sind es sogar bisher knapp 30%. 75% der Digital-Kunden sind echte Neukunden, entweder Bankkunden oder Neukunden, die uns im Netz gefunden haben. Diese Kunden leiten wir dann an die Genossenschaftsbanken weiter.

Zurück zur persönlichen Beratung: Kann die jeder Bankmitarbeiter selbst vornehmen?

Ja, falls er entsprechend qualifiziert ist. Andernfalls leitet er an den qualifizierten R+V-Versicherungsspezialisten weiter. Es gibt aber selten 100% reine Modelle.

Wie sieht der Beratungsprozess beim Bankberater bzw. den R+V-Außendienstlern aus?

Der Beratungsprozess ist voll digital. Fast unsere gesamte Produktpalette ist im digitalen Beraterarbeitsplatz der Bank oder unseres Außendienstmitarbeiters abgebildet.

Gibt es noch Papier im Beratungsprozess?

Der Kunde kann einen Antragsausdruck erhalten, er muss aber nicht. Unser Ziel ist es – nicht zuletzt aus Nachhaltigkeitsgründen –, auf den Ausdruck zu verzichten und die Dokumente ausschließlich digital zu versenden. Das gilt auch für alle weiteren Unterlagen und Korrespondenzen.

Haben Sie auch Online-Abschluss­strecken?

Wir haben inzwischen 13 Selbstbearbeitungsstrecken. Dort kann sich der Kunde online selbst die Informationen holen und den Vertrag vollständig digital abschließen. Zum Beispiel in der Mietkautions- oder der Auslandsreisekrankenversicherung.

Wie sieht es mit der Unterschrift aus?

Wir können heute rund 85% aller Geschäftsvorfälle digital unterzeichnen lassen. Im Privatkundengeschäft fast alles.

Wie wird dann unterschrieben? Am Bildschirm?

Nein, denn wir legen großen Wert auf Datenschutz und Rechtskonformität. Der Gesetzgeber unterscheidet drei Arten von Unterschriften: die einfache elektronische, die fortgeschrittene und die qualifizierte. Aus Gründen der Einfachheit nutzen wir immer diese qualifizierte elektronische Unterschrift. Damit haben wir den höchsten Sicherheitsstandard.

Wo kann ich dann meine Verträge sehen?

Unser Ziel ist es, dass die Kunden ihre Verträge in ihrer Banking-App sehen. Alternativ können sie unser Online-Portal Meine R+V nutzen. Dort sind alle Dokumente zu finden, und der Kunde kann Services nutzen, zum Beispiel die Zahlungsweise ändern, Schäden melden oder Arztrechnungen einreichen.

Gibt es für den Kunden noch weitere Zugriffsmöglichkeiten?

Ja, vor einem Jahr haben wir begonnen, auf Wunsch des Kunden Informationen zu einzelnen Verträgen in der Apple und der Google Wallet zu speichern. Das gilt inzwischen für die Unfall-, die Kfz- und die Rechtsschutzversicherung.

Bieten Sie über die Wallet weitere Informationen an?

Wir melden für das Zulassungsgebiet des Autos Wetterereignisse wie Starkregen oder Hagel, bevor diese eintreten. Damit kann der Kunde sein Auto rechtzeitig in Sicherheit bringen. Versicherung wird dadurch erlebbar, ohne gleich zu verkaufen.

Wie viele Kunden nutzen die Wallet aktuell?

Etwa 10% unserer Kunden.

Wie geht es in Sachen Wallet weiter?

Wir wollen über die Wallet unsere komplette Produktpalette verfügbar machen.

Wenn der Bankkunde seinen Versicherungsvertrag über den Bankmitarbeiter abgeschlossen hat: Wie sieht dann die Beziehung zwischen Bank und Versicherung aus?

Die Bank ist in diesem Fall klassischer Vermittler. Die Datenweitergabe wird einzelvertraglich geregelt. Wenn der Kunde einen Versicherungsvertrag unterschreibt, bestimmt er, welche Daten wir als R+V dem Vermittler, hier also der Bank, übermitteln dürfen. Diese Daten stellen wir in das CRM-System (Customer Relationship Management System) der Bank ein. Damit erhält die Bank die Vertragsinformationen.

Welche Daten sind das üblicherweise?

Persönliche Daten, Art der Versicherung, welches Auto ist versichert, welche Familienmitglieder sind in der Unfallversicherung mitversichert? Versicherungssummen.

Welche Pläne in Sachen Beratung hat die R+V für die nächste Zukunft?

Die Kunden wollen nach wie vor persönlich beraten werden. Jedoch wird dies durch digitale Angebote und Services im Rahmen unserer omnikanalen Kunden- und Marktbearbeitung modern unterstützt.

Warum ist das so?

Zum einen sind die Versorgungssituationen der Menschen sehr komplex, auch aufgrund der gesetzlichen Rahmenbedingungen. Das gilt für die Krankenversicherung und auch für die Altersvorsorge. Zum anderen sind Versicherungen nicht sehr leicht zugänglich. Niemand wacht morgens auf und will sich mit dem Thema beschäftigen. Lieber wird eine Person beauftragt im Sinne einer Concierge-Rolle, um sich um diese Aspekte zu kümmern.

Welche Schlüsse ziehen Sie aus dieser Analyse?

Wir suchen weiter qualifizierte Berater vor Ort. In der Vertriebsunterstützung werden wir weniger Leute brauchen. Da setzen wir auf Digitalisierung, KI und einfachere Prozesse.

Was bedeutet das konkret für Sie?

Wir haben die Zahl der Auszubildenden im Vorjahr verdoppelt und werden in diesem Jahr über 300 neue Kolleginnen und Kollegen nur für die verkaufenden Funktionen einstellen.

Wie wollen Sie den Bedarf des Kunden zukünftig ermitteln?

Wir wollen datenbasiert und automatisiert bei jedem einzelnen Kunden erkennen, wann er welchen Informations- und Servicebedarf hat. Es geht hier nicht um Beratung und Verkauf, sondern um Prävention und Gesundheitsvorsorge. Beispiel: Wie kann der Kunde die digitale Information der gesetzlichen Rentenversicherung nutzen? Oder: Unser digitaler Pflegeberater hilft, durch das Dickicht der Vorschriften zu finden. Wir wollen eine Lebenswelt organisieren, die mehr ist als Versicherung.

Welche Rolle spielt künstliche Intelligenz für die R+V?

KI ermöglicht es uns, die Arbeitswelt unserer Mitarbeiter zu optimieren. So haben wir seit 1. Juli ChatGPT für alle Mitarbeitenden freigeschaltet. Dabei nutzen wir eine eigene Cloud. Die Mitarbeiter sollen den Chatbot nutzen, um Informationen zu analysieren, aber auch um Texte, Analysen, kleine Programme zu schreiben.

Warum ist das wichtig?

Wir brauchen Arbeitsbedingungen, die eine Arbeitsüberlastung unserer Mitarbeiter verhindern. Ich möchte von Verwaltung entlasten und mehr Kundenkontakt ermöglichen. KI hilft uns in der Beratungsvorbereitung, der Protokollierung von Beratungsgesprächen, aber auch in der Abwicklung von Schadenfällen.

Führen denn diese Entwicklungen zu einer Veränderung Ihrer Vertriebsstruktur?

Der wichtigste Vertrieb sind für uns die Genossenschaftsbanken. Dort sind wir auch mit Abstand am erfolgreichsten, und dort wollen wir auch Marktanteile gewinnen. Wir investieren weiter konsequent in unsere Verkäuferinnen und Verkäufer sowie in Direktberatung und digitale Kanäle zur Unterstützung der Bankberater und unseres Außendienstes.

Wie sehen Sie sich als R+V bei Technik und Produktangebot im Vergleich zum Wettbewerb?

Wir haben klare strategische Vorteile in Bancassurance, weil wir gemeinsam mit dem IT-Dienstleister der Banken, der Atruvia, die Prozesse und die Integration in das Banksystem mitentwickeln. Bis zu 100 Kollegen der R+V arbeiten mit der Atruvia zusammen, um Versicherungslösungen zu entwickeln.

Ein großes Problem der gesamten Branche sind die teilweise jahrzehntealten IT-Systeme. Wie sieht es da bei der R+V aus?

Wir investieren in unsere alten Backend-Systeme. Wir brauchen heute für eine Produktentwicklung etwa zwölf Monate. Das kann der Markt schneller. Wir wollen ab 2026 in der Kompositversicherung für Privatkunden neue Produkte in weniger als drei Monaten entwickeln. Produkt- und Preisanpassungen sollen dann innerhalb eines Tages möglich sein. Das gilt für Hausrat, Haftpflicht, Wohngebäude, Rechtsschutz und wird nach und nach erweitert.

Und in der Lebensversicherung?

In der Lebensversicherung bringen wir Mitte 2025 eine neue Arbeitskraftabsicherung auf einer neuen technologischen Plattform heraus. Ab dann sind wir in allen Segmenten im Wettbewerb top positioniert.

Wie werden Sie die gerade in der Lebensversicherung Jahrzehnte laufenden Verträge zukünftig verwalten?

Wenn Tarife nicht mehr für das Neugeschäft geöffnet sind, sondern nur noch dynamische Anpassungen vorgenommen werden, dann könnten sie weiter auf den Altsystemen bleiben. Alle Produkte mit Neugeschäft werden wir nach und nach auf die neue Technik umziehen – zuerst das Neugeschäft und dann den Bestand. Die Geschwindigkeit dieses Umzugs hängt von den vorhandenen Ressourcen ab. Ziel ist es, das auch für den Bestand innerhalb der kommenden drei bis fünf Jahre zu schaffen.

Wie sieht das in der Kompositversicherung aus?

Auch da brauchen wir natürlich alle Altdaten. Wir wollen diese ebenfalls teilweise technisch migrieren. Aber in der Kompositversicherung ist auch eine vertriebliche Migration sinnvoll. Das heißt, der Außendienst wird beauftragt, alle älteren Verträge auf die aktuelle Version umzustellen und dafür den Kunden anzusprechen. Im Beratungsgespräch wird der Vertrag an den aktuellen Bedarf des Kunden angepasst.

Die Kunden wollen nach wie vor persönlich beraten werden.

Das Interview führte Thomas List.

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