Ein Liquiditätsplaner für Mittelständler
Von Björn Godenrath, Frankfurt
Berlin steckt voller internationaler Fintechs, und seit gut zwei Jahren ist mit Puls Project auch ein von russischen Gründern vorangetriebenes Projekt dort am Start. Yulia Yaroslavtseva und Stas Surikov hatten ihr Heimatland aber schon 2007 verlassen, als für sie klar wurde, dass in Russland auch der Privatsektor nur noch unter direkter staatlicher Lenkung funktionieren würde. Und so zogen sie mit Funktionen in der Finanzindustrie durch die Welt; erst in Großbritannien und Zypern und dann unter anderem in Hongkong. 2017 kamen sie in Berlin an, bauten zunächst über ihr frisch gegründetes Vehikel Montold Capital IT-Projekte auf und begannen 2016 damit, auf Basis ihrer Erfahrung aus Tech und Finance Start-up-Beratung zu betreiben.
Ihr Ziel: Ein Fintech aufzubauen, das KMUs einen Service für das Cashflow- und Treasury-Management bietet, wie es dies bislang nur für Großunternehmen gibt. Im Frühjahr 2020 war es dann so weit: Das Puls Project war in seiner Beta-Version fertiggestellt und die Gesellschaft Ende des Jahres mit Pre-Seed-Kapital von 1,8 Mill. Euro ausgestattet.
„Den KMU-Sektor kennen wir gut und hatten festgestellt, dass diesem ein Instrument für das tägliche Liquiditätsmanagement fehlt. Dafür haben wir dann die Infrastruktur aufgebaut“, so Geschäftsführerin Yaroslavtseva im Gespräch mit der Börsen-Zeitung. „Der Liquiditätsplaner funktioniert über Open-Banking-Systematik, sprich die Anbindung von Daten und Diensten geht über APIs, die wir programmiert haben. Das ermöglicht eine vorausschauende Liquiditätsplanung, wobei sich automatisiert erkennen lässt, wo sich kurzfristige Liquiditätslücken ergeben können“, erklärt COO Surikov.
Damit ein solcher Working-Capital-Bedarf geschlossen werden kann, hat Puls Project über Montold Asset Management eine AIF-Fondskonstruktion aufgebaut, über die kurzfristige Ausreichungen erfolgen können – ein solches Modell nutzen auch Kredit-Fintechs wie Iwoca.
Ein erstes, nur für Deutschland zugelassenes AIF-Vehikel wird derzeit mit 50 Mill. Euro befüllt, zu den Investoren gehören Corporate VCs und Versicherer, so Yaroslavtseva. Puls fungiere in diesem Modell nur als „loan broker“, erklärt Surikov. Der Kurzfristkredit ähnele einer Art Liquiditätsversicherung für den Mittelständler, der über das hauseigene Scoringsystem ein Limit erhält für Kredite bis maximal 100 000 Euro. Wenn die Bonität gegeben ist, durchlaufen Neukunden einen KYC-Check per Video-Ident sowie das AML-Prozedere und haben in wenigen Stunden das Geld auf dem Firmenkonto. Zu den Kunden zählen bislang vor allem Fertigungsbetriebe und die Immobilienbranche.
Yaroslavtseva und Surikov haben reichlich Erfahrung mit Regulierung. Bei der BaFin fühlen sie sich gut aufgehoben und sehen ihre deutsche Basis als gute Voraussetzung für eine mögliche europäische Ausweitung von Puls Project. Für einen neuen Fonds sei man im Dialog mit 240 Adressen, so Yaroslavtseva. Für den AIF fungiert Montold Asset Management als BaFin-registrierte KVG. Eine Payment-Lizenz für Kartenzahlungen und deutsche IBANs soll beantragt werden. Geld verdient das Fintech dann auf zwei Ebenen: Zum einen erhält es von den Firmenkunden eine Abonnement-Zahlung für die Nutzung der Plattformdienste im Cashflow-Management, zum anderen monatlich 1 % der ausgereichten Kreditsummen. Das Gros der Rendite aus den Kreditrückflüssen geht an die Fondsinvestoren.
Zu den Anteilseignern des Fintechs, das Anfang 2021 eine Seed-Runde absolvierte, zählt eine Reihe Angel-Investoren, denen 18 % gehören. Gut 80 % liegen bei Yaroslavtseva und Surikov sowie Dmitry Yurtsvayg als drittem Gründer. Jeder der drei ist in derselben Höhe beteiligt. Yurtsvayg ist in Moskau und wollte jetzt eigentlich nach Berlin kommen, hat davon aber nun vor dem Hintergrund des Ukraine-Krieges Abstand genommen. Yaroslavtseva und Surikov haben noch Familie in Russland, beide haben auch ukrainische Wurzeln. Drei Mitarbeiter des Fintechs sind in der Ukraine zu Hause, haben ihren Standort in dem von den Russen schwer beschädigten grenznahen Charkiw aber inzwischen verlassen können – ein letzter habe am vergangenen Dienstag nach Dnipro fliehen können.