Michele Bareggi, Athora

„Eine einfache, aber erfolgreiche Story“

Athora sieht sich nicht nur als Abwicklungsspezialist für geschlossene Lebensversicherungsbestände, sondern betreibt über Tochtergesellschaften in ausgesuchten europäischen Märkten auch das Neugeschäft. Wachsen will man auch über Zukäufe.

„Eine einfache, aber erfolgreiche Story“

Thomas List.

Herr Bareggi, was macht Athora?

Unsere Story ist relativ einfach, aber auch ziemlich erfolgreich: Athora ist ein sehr fokussierter Lebensversicherer, der sich als führender Anbieter von Lebens- und Pensionsprodukten in Kontinentaleuropa versteht. Wir garantieren dabei insbesondere bestimmte Erträge, aber auch Zahlungen im Todesfall, bei Invalidität oder als regelmäßige Renten. Vor allem wollen wir für unsere Kunden sichere und höhere Renditen erzielen und dies nicht nur über geringere Kosten und effizientere Prozesse, sondern vor allem durch ein verbessertes Assetmanagement sicherstellen. Hierdurch grenzen wir uns von Mitbewerbern ab. Das ist unser eigentlicher Daseinszweck als Teil der Lebensversicherungsbranche: in dem Moment Garantien abzugeben für eine große Zahl von Versicherten in Kontinentaleuropa, in dem der Wohlfahrtsstaat seine Leistungen einschränkt.

Viele Versicherer geben heute im Neugeschäft nur noch ungern feste Garantien.

Ja, das stimmt, viele Lebensversicherer haben sich dazu entschieden, sich nicht mehr auf solche Garantien für ihre Kunden zu konzentrieren. Wir sehen das anders.

… und das heißt für Sie…

… dass einerseits aus sozialen Gründen solche Garantien notwendig sind und andererseits aus wirtschaftlicher Sicht eine große Angebotslücke bei solchen Garantieprodukten entstanden ist. Unser darauf basierendes Geschäftsmodell hat sich sehr erfolgreich entwickelt. Konkret: 2021 konnten wir in Deutschland die am Markt höchste Überschussbeteiligung von 4% erzielen. Dies kommt allen Stakeholdern wie Versicherten, Mitarbeitern und Aktionären zugute.

Was haben Sie denn erreicht seit Ihrer Gründung im Januar 2018?

Wir sind in Irland, Belgien, den Niederlanden, Italien und Deutschland aktiv. In jedem Markt haben wir einen unterschiedlichen Ansatz. In den Niederlanden konzentrieren wir uns auf das aktive Pensions- und Gruppengeschäft und in Italien auf die Bancassurance, während wir in Belgien als Finanzberater und in Irland als Rückversicherer auftreten.

Sie haben gerade den Kauf von Amissima Vita, einem mittelgroßen Lebensversicherer mit 150000 Kunden und 95 Mitarbeitern bekannt gegeben. Was haben Sie auf dem italienischen Markt vor?

Italien ist für uns durch den gut ausgebauten Bancassurance-Markt in­teressant. Dadurch können wir uns den Retailmarkt für langfristige Sparprodukte erschließen. Wir wollen dort organisch über Vertriebskooperationen wachsen, aber auch wie in Deutschland über Portfoliokäufe. Wir sind überzeugt davon, dass es weitere Gelegenheiten für solche Übernahmen geben wird.

Welche Rolle wird Amissima Vita dabei spielen?

Amissima bietet Spar- und Versicherungsprodukte über ihr Vertriebsnetz von etwa 2200 Bankpartnern, 3300 Finanzberatern und Privatbanken sowie 170 eigenen Agenturen sowie über führende Versicherungsmakler an. Amissima soll als Teil des Athora-Netzwerks weiter wachsen und eine wichtige Rolle bei der Konsolidierung des italienischen Versicherungsmarktes spielen.

Und wie sieht es in Deutschland aus?

In Deutschland wollen wir nach der Akquisition des Axa-Portfolios mit den circa 900000 Versicherten weiter wachsen und dabei den Versicherungsnehmern langfristig stabile und sichere Erträge bieten.

Was ist mit Frankreich?

Frankreich ist ein großer Markt, den wir geprüft haben und den wir auch in Zukunft wieder prüfen werden. Aber wir wollen uns jetzt auf die fünf erwähnten Märkte konzentrieren.

Wie sind Ihre Pläne für Ihre weiteren Kernmärkte Belgien, Niederlande und Irland?

Belgien ist ein kleinerer Markt. Dort haben wir von Generali Belgium ein Portfolio erworben. Das Closing erwarten wir im vierten Quartal dieses Jahres. Wir sind stark im Maklermarkt vertreten und wollen mit unseren Partnern weitere Garantie- und fondsgebundene Produkte entwickeln. Auch in Belgien sind wir zuversichtlich, in den kommenden Jahren weitere Versicherungsportfolien übernehmen zu können.

… und die Niederlande?

Die Niederlande sind in erster Linie ein Markt für Gruppenversicherungen. Die Reform der Rentenversicherung und die grundlegenden Änderungen in der betrieblichen Altersvorsorge eröffnen uns gute Geschäftschancen insbesondere in der Rentenversicherung.

… und wie sieht es in Irland aus?

Irland ist für uns vor allem als Rückversicherungsmarkt interessant. Unsere Rückversicherungstöchter dort und auf den Bermudas sollen insbesondere Lebensversicherer in unseren Spezialgebieten Garantie- und Rentenversicherungen unterstützen.

Wären für Sie Spanien oder osteuropäische Länder interessant?

Wir müssen die Komplexität unseres Geschäftsmodells im Auge behalten. Die EU-Länder unterscheiden sich in vielen Dingen wie Rechnungslegung, aber auch teilweise in der Regulatorik und der Aufsichtspraxis. Deshalb überlegen wir genau, wie komplex unser Geschäft wird, wenn wir weitere Märkte erschließen. Unter diesem Aspekt wäre Frankreich für uns der einzige Markt, der einen Eintritt rechtfertigen würde. Auf den anderen Märkten könnten wir in erster Linie als Rückversicherer aktiv werden.

… und was ist mit Spanien?

Spanien ist zwar ein großer Markt. Angesichts der wenigen dort dominierenden Anbieter ist es zumindest jetzt schwer vorstellbar, wo und wie wir diesen Markt betreten könnten.

… und wie sieht es mit Osteuropa aus?

In Osteuropa sind die Vorsorgeprodukte nicht so weit entwickelt wie in Westeuropa. Ein Markteintritt dort würde eine sehr genaue Kenntnis der jeweiligen Vertriebsmöglichkeiten erfordern. Dafür fehlt uns im Moment die Zeit.

Was planen Sie für die Zukunft in Deutschland?

Unser wichtigstes Ziel ist, den Versicherten die Leistungen zu bieten, auf die sie Anspruch haben. Im Falle von Deutschland heißt das, dass wir den jetzt dazukommenden 900000 Versicherten der Axa beziehungsweise der früheren DBV-Winterthur Leben (DWL) den gleich guten Service bieten wollen wie den schon in unserem Bestand befindlichen rund 200000 Versicherten der ehemaligen Delta Lloyd Deutschland. Damit sind wir erst mal gut beschäftigt.

Wie sieht es mit weiteren Akquisitionen aus?

Betrachtet man die Transaktionen der vergangenen Monate am deutschen Markt, wird klar, dass es gute Chancen für eine weitere Konsolidierung des Marktes gibt. Heute betreibt Athora kein Neugeschäft in Deutschland. Aber wir sind bereit, so viele Versicherte wie möglich zu betreuen. Durch den Kauf von Portfolien können wir eine große Anzahl von Versicherten in unsere Gruppe aufnehmen, anstatt sie über die üblichen Vertriebskanäle zu gewinnen, was ein langwieriger Prozess sein kann. Durch die Axa-Transaktion wird unsere Plattform erweitert, so dass wir in Zukunft weitere Portfolien aufnehmen können. Dabei werden wir wie bisher sehr diszipliniert vorgehen und uns immer erst auf unsere Bestandskunden konzentrieren. Wir sind davon überzeugt, dass es für uns weitere Akquisitionschancen am deutschen Markt geben wird.

Streben Sie die Größenordnung des Axa-Portfolios auch für künftige Geschäfte an?

Ja, das ist eine gute Größe. Das Axa-Portfolio passt sehr gut zu unserem Bestand und hat zusätzlich den Charme, in derselben Stadt wie das Delta-Lloyd-Portfolio beheimatet zu sein, nämlich Wiesbaden. Sehr positiv ist außerdem die auf fünf Jahre angelegte Partnerschaft mit Axa.

Sie haben vor zwei Jahren im Zuge der Übernahme der niederländischen Vivat Kapitalzusagen von 1,8 Mrd. Euro erhalten. Zusammen mit den bei Gründung eingelegten 2,2 Mrd. Euro sind das 4 Mrd. Euro. Reicht das?

Wir sind in der glücklichen Lage, über 52 Anteilseigner zu verfügen, die sich zu einem langfristigen Engagement verpflichtet haben und uns inzwischen 4,7 Mrd. Euro zur Verfügung gestellt haben. Wir sind sehr froh und haben darauf auch großen Wert gelegt, dass sich alle 52 Aktionäre bei Dauer, Art und Umfang ihres Engagements bei uns auf einer Linie befinden. Das ist heute auf den Kapitalmärkten häufig anders. Aufgrund der dort vorherrschenden kurzfristigen Sichtweise sind viele Gesellschaften nicht mehr bereit, ihre Produkte mit langfristigen Garantien zu versehen. Für unsere Vivat-Transaktion in den Niederlanden haben unsere Aktionäre sehr gerne weiteres Kapital zur Verfügung gestellt. Aufgrund unseres Erfolges in den vergangenen viereinhalb Jahren gehen wir davon aus, neue Aktionäre gewinnen zu können. Daran arbeiten wir, ohne jetzt schon Einzelheiten nennen zu können. Auf jeden Fall genießen wir große Unterstützung durch unsere jetzigen Aktionäre.

Sind Versicherer heute eher bereit, Versicherungsbestände zu verkaufen, als früher?

Der Versicherungsmarkt ist ein sich langsam entwickelnder Markt. Deshalb braucht die Entscheidungsfindung ihre Zeit. Viele große Versicherer haben jetzt entschieden oder sind zumindest dabei zu entscheiden, auf welche Produkte sie sich in Zukunft konzentrieren wollen. Versicherer erkennen, dass das dafür notwendige Kapital aus dem Verkauf alter Bestände generiert werden kann. Das hat Folgen für das Neugeschäft, aber auch für den Bestand. Das gilt auch, aber nicht nur für Deutschland.

Beim Run-off, bei dem der Versicherer kein Neugeschäft mehr betreibt und den vorhandenen Bestand an Versicherungsverträgen wie vertraglich vereinbart bis zum Ende der Laufzeit fortführt, haben die Versicherer mindestens zwei Möglichkeiten: intern zum Beispiel in einer eigenen Einheit fortführen oder extern über eine Gesellschaft wie Athora.

Ja, dafür gibt es in Deutschland ja durchaus erfolgreiche Beispiele. Unsere Daseinsberechtigung als Athora ist, dass wir uns um die Versicherten kümmern – ohne an das nächste Produkt denken zu müssen, das wir ihnen verkaufen wollen. Nach unserer Überzeugung ist je­mand, der sich ausschließlich auf das eine Produkt des Versicherten konzentrieren kann, erfolgreicher als derjenige, der diesen Kunden als belastendes Erbe sieht. Denn der Fokus des Managements wird eben nicht bei diesen Kunden liegen. Hinzu kommt, und hier grenzt sich Athora von anderen Gesellschaften ab, dass wir durch ein proaktives Assetmanagement über unseren strategischen Partner Apollo eine zusätzliche Rendite erzielen können.

Glauben Sie, dass die Bereitschaft der Versicherer, Portfolios zu verkaufen­, heute größer geworden ist als noch vor einigen Jahren?­

Auf den aktuellen Kapitalmärkten wird man kaum frische Mittel erhalten. Da sind wir als privat gehaltene Gesellschaft im Vorteil. Wir können dem überschaubaren Gesellschafterkreis unser Geschäftsmodell im De­tail erklären und erhalten von den Ge­sellschaftern im Gegenzug Unterstützung, auch in Zeiten, in denen das über den Kapitalmarkt nicht möglich wäre. Börsennotierte Gesellschaften müssen sich auf ihr vorhandenes Kapital stützen und können durch Portfolioverkäufe frei gewordenes Kapital in nach ihrer Ansicht lukrativere Geschäfte um­leiten.

Das Interview führte

BZ+
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