ESMA zieht Lehren aus Archegos-Debakel
jsc Frankfurt
Mehr als ein Jahr nach der Pleite des US-Hedgefonds Archegos treibt der Aufbau der Risiken im Derivatemarkt im Vorfeld des Zusammenbruchs die EU-Wertpapieraufsicht um. Es sei grundsätzlich möglich, stark gehebelte Investments und Konzentrationsrisiken auf Grundlage von Marktdaten nachzuvollziehen, hält ein Forschungspapier der European Securities and Markets Authority (ESMA) beispielhaft für Archegos fest. Bereits zwei Monate vor dem Kollaps im März 2021 tauchten „Warnzeichen“ auf, dass die Gesellschaft ihr Engagement in wenigen Aktien deutlich erhöht hatte und somit verwundbar für einen Kursrutsch war, wie die ESMA-Experten Antoine Bouveret und Martin Haferkorn feststellen.
Archegos Capital Management hatte über Aktien-Swaps auf wenige Titel gesetzt, darunter offenbar auf den chinesischen Internetriesen Baidu und auf den US-Medienkonzern Paramount, der damals noch als ViacomCBS auftrat. Die Geschäfte mit mehreren Investmentbanken, die Archegos in Form von Total Return Swaps abschloss, waren dabei gehebelt, der angesetzte Wert übertraf also bei weitem das hinterlegte Kapital. Kursverluste waren damit ein hohes Risiko für die Firma. Als der Hedgefonds nach fallenden Kursen Zahlungsaufforderungen nicht nachkam, lösten die Gegenparteibanken ihre Positionen auf. Ihre Sicherheiten in Form von Aktien verkauften sie in großem Stil, womit sie die Kursverluste beschleunigten.
Der Kollaps des Hedgefonds war vor allem für die Credit Suisse teuer, die unmittelbare Verluste von rund 5,5 Mrd. Dollar verzeichnete. Insgesamt blieb das Finanzsystem aber stabil, wie die ESMA hervorhebt. Die Banken waren demnach ausreichend kapitalisiert, und der Kollaps ereignete sich in einer ruhigen Marktphase. Der Geschäftsmann Bill Hwang, der Kopf hinter Archegos, muss sich Medienberichten zufolge derweil in New York vor Gericht verantworten, bestreitet aber eine Schuld.
Die ESMA bemängelt allerdings eine geringe Transparenz der Archegos-Geschäfte: Der Hedgefonds war als Family Office organisiert. In den USA sind Investmentvehikel in Familienhand von einigen üblichen Berichtspflichten ausgenommen, während in Europa die Berichtspflichten für alternative Investmentfonds nicht auf Family Offices anwendbar sind. Für Archegos war es nach Beobachtung der ESMA möglich, durch eine Vielzahl an Geschäften hohe Positionen aufzubauen, von denen die Banken als Gegenparteien nichts wussten.
Emir bringt Licht ins Dunkle
Sichtbar werden die Geschäfte in Europa über den Derivatehandel, der durch die Marktinfrastrukturverordnung Emir reguliert ist. Die Marktteilnehmer müssen dabei ihre ausstehenden Positionen im Derivatehandel melden. Bis Ende 2020 existierten dabei auch Daten aus Großbritannien, ehe die britischen Akteure die Meldung zur Jahreswende einstellten. In beiden Märkten, also in Großbritannien und im Europäischen Wirtschaftsraum, stieg das Exposure von Archegos vor der Pleite sprunghaft an (siehe Grafik).
Insgesamt ging der Hedgefonds in Europa Hunderte Derivategeschäfte mit sechs Großbanken ein, die ihrerseits die Derivatepositionen meldeten. Zwar sicherte sich Archegos mit marktbreiten Short-Positionen zum Teil gegen fallende Kurse ab, doch waren die Long-Positionen deutlich größer. Dabei wettete die Gesellschaft mithilfe der europäischen Gegenparteien überwiegend auf lediglich vier Aktien – welche Titel das konkret waren, schlüsselt die ESMA nicht auf.
Der Archegos-Kollaps deute auf „wesentliche Risikomanagement-Probleme“ der Gegenparteibanken hin, wie die ESMA schreibt. Aufsicht und Regulierung sieht die Behörde in Bewegung: So kamen in den USA seit der Pleite neue Berichtspflichten für bestimmte Swaps hinzu, während auf internationaler Ebene der Finanzstabilitätsrat FSB und die Wertpapieraufsichtsbehörde IOSCO eruieren, wie mit Marktdaten die Risikoanalyse vorangebracht werden könnte. Zwischen den Zeilen zeigt sich die ESMA selbstkritisch: Die Archegos-Pleite lege nahe, dass weitere Arbeit für eine verbesserte Risikobeobachtung notwendig sei.
Wertberichtigt Seite 6