Euronext baut Clearinggeschäft aus
Von Gesche Wüpper, Paris
Euronext soll ihre Souveränität beim Clearing zurückerhalten – mit dieser Botschaft hat Euronext-Chef Stéphane Boujnah auf einer Veranstaltung für Investoren am Dienstag für seinen neuen Strategieplan geworben. Die Mehrländerbörse will ihr Clearingangebot nicht nur ausbauen, sondern das Clearing von Cash- und Derivateströmen künftig selber verwalten.
Bislang ist Euronext einer der letzten großen Börsenbetreiber ohne eigenes Clearinghaus. Das änderte sich jedoch Anfang des Jahres, als der Konkurrent der Deutschen Börse im Rahmen der Übernahme der Borsa Italiana von der London Stock Exchange (LSE) auch das Multi-Asset-Clearinghaus CC&G erwarb. Euronext will die neue Clearingtochter, die bislang ausschließlich italienische Produkte abwickelt, in Euronext Clearing umbenennen und ihr Geschäft mit einem europäischen Fokus ausweiten. Dafür sollen die bestehenden Teams in Rom und Mailand verstärkt werden und eine neue Tochter in Paris gegründet werden.
Bis Euronext Clearing in allen Märkten des Börsenbetreibers aktiv sein kann, wird es jedoch noch bis 2024 dauern. Denn bislang wickelt Euronext den Großteil ihrer Cash- und Derivate-Handelsströme über die LCH ab, eine in Paris ansässige Clearingtochter der LSE, an der Euronext mit 11% beteiligt ist. Um aus dem 2017 um zehn Jahre verlängerten Vertrag auszusteigen, wird Euronext nun eine Auflösungsgebühr bezahlen.
Damit macht Boujnah eine strategische Entscheidung rückgängig, die mancher als Fehlentscheidung wertet. Der Börsenbetreiber hatte sein Clearinghaus Clearnet 2003 an die LCH verkauft und 2016 vergeblich versucht, die LCH zu übernehmen.
Die LSE teilte dazu mit, dass die „potenziellen Gesamtauswirkungen“ der Entscheidung des Vertragspartners weniger als 1% des Gesamtumsatzes der Gruppe ausmachen. Sie besitzt ein Vorkaufsrecht für den Anteil von Euronext an LCH. Der früheste effektive Kündigungstermin für das Clearing von Finanz- und Rohstoffderivaten ist ihren Angaben zufolge Januar 2024.
Durch den Umbau erhofft sich Euronext weitere Einsparungen. Bis 2024 will die Mehrländerbörse dank der Integration der Borsa Italiana inklusive des Ausbaus des Clearinggeschäfts Synergien in Höhe von 100 Mill. Euro pro Jahr dank erzielen. Bisher hatte Euronext die Synergieeffekte auf 60 Mill. Euro beziffert. Die Kosten, die für die Synergien notwendig sind, schätzt der Börsenbetreiber auf 160 Mill. Euro.
Beschleunigtes Wachstum
Im Rahmen des neuen Strategieplans peilt Euronext zudem im Zeitraum 2020 bis 2024 ein organisches Umsatzwachstum von jährlich 3 bis 4% an. Ihr voriger Strategieplan hatte als Ziel 2 bis 3% vorgesehen. Das Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) wiederum soll im Schnitt um 5 bis 6% pro Jahr steigen.
Im Zusammenhang mit dem Ausbau des Clearinggeschäfts will Euronext auch ihr Rechenzentrum von London nach Bergamo verlagern. Die erste Phase der Migration soll im Juni 2022 erfolgen. Außerdem soll die zur Borsa Italiana zählende Anleihehandelsplattform MTS ausgebaut werden, neue Dienstleistungen für ihre vier Zentralverwahrer entwickeln und neue ESG-Produkte anbieten.
Euronext-Chef Boujnah zeigte sich weiter offen für neue Akquisitionen. Eine Expansion in nordische Länder sei nach den Akquisitionen von Nordpool, VPS und der Osloer Börse eine natürliche Möglichkeit, sagte er der Wirtschaftszeitung „Les Echos“. Aber auch in den USA gebe es eine ganze Reihe anderer potenzieller Ziele im Nachhandel, bei Dienstleistungen und im Devisenhandel.