Europa - attraktiv für faktorbasierte Anlagestrategien

Jüngste Turbulenzen eröffnen Chancen an den Aktienmärkten - Zunehmendes Interesse institutioneller Investoren

Europa - attraktiv für faktorbasierte Anlagestrategien

Fragt man einen Investmentprofi nach den einflussreichsten Anlagekonzepten der letzten Jahre, werden faktorbasierte Strategien vermutlich weit oben auf seiner Liste stehen. Und fragt man ihn nach den krisenanfälligsten Regionen, dürfte er als Erstes Europa nennen. Aktuellen Invesco-Analysen zufolge könnte beides zusammen eine perfekte Kombination ergeben.Quantitative Investmentstrategien sind deutlich beliebter geworden, vor allem aber nicht nur bei institutionellen Investoren. Der US-amerikanische Markt für “Smart Beta”-Exchange-Traded-Funds (ETF) zum Beispiel, der faktorbasierte Anlagestrategien umfasst, hat sich in den letzten fünf Jahren von 63 Mrd. US-Dollar auf 257 Mrd. US-Dollar mehr als vervierfacht. Relativ einfaches PrinzipDas grundlegende Prinzip, auf dem die faktorbasierte Anlage fußt, ist relativ einfach. Die These: Durch eine Anlage in Aktien mit bestimmten Merkmalen – oder Faktoren -, die in der Vergangenheit zu einer überdurchschnittlichen Wertentwicklung geführt haben, kann der Index auch künftig geschlagen werden. Traditionelle Faktoren sind zum Beispiel Momentum (positive relative Wertentwicklung), Bewertung (relative Attraktivität gemessen an Bewertungskennzahlen wie dem Kurs-Buchwert-Verhältnis oder dem Kurs-Gewinn-Verhältnis), Qualität (Kennzahlen wie eine stabile Profitabilität, eine starke Cash-Generierung und eine vergleichsweise geringe Verschuldung) oder Volatilität (typischerweise gemessen anhand der Fluktuation der Aktienkurse).Neue Analysen unseres Invesco Quantitative Strategies Teams signalisieren, dass sich ein quantitativer, faktorbasierter Anlageansatz eignen könnte, um von den größeren Ineffizienzen an den europäischen Märkten zu profitieren. Invesco entwickelt und implementiert seit mehr als 30 Jahren faktorbasierte Investmentstrategien. Vor kurzem haben wir zudem untersucht, wie effektiv der Einsatz faktorbasierter Anlagestrategien in Europa im Vergleich zu den globalen Märkten ist. Alte Welt versus neue Welt?Für unsere neue Studie mit dem Titel “The Case for Factor-Based Investing in European Equities” (März 2016) haben wir Daten der letzten zwanzig Jahre analysiert. Das Ergebnis: Auf globaler Ebene erzielen faktorbasierte Investmentstrategien auf lange Sicht generell eine höhere Rendite als marktbreite Indizes. Dabei haben bestimmte Strategien (insbesondere diejenigen mit Schwerpunkt Volatilität und Qualität) bei der Anwendung auf europäische Aktien in wirtschaftlichen Krisenzeiten sogar noch besser abgeschnitten. Warum ist das so? Gibt es grundlegende Unterschiede zwischen Anlagen in Europa und Anlagen in anderen Regionen? Gibt es so etwas wie “alte Welt” versus “neue Welt”?Wie alle Investmentstrategien funktioniert auch der Faktoransatz nur, wenn ihn nicht zu viele Investoren verfolgen und die Märkte zumindest in einem gewissen Maße ineffizient bleiben. Wenn zum Beispiel (1) Value-Aktien einfach zu identifizieren sind und (2) alle überzeugt sind, dass sie künftig überdurchschnittlich gut laufen werden, entfällt ein möglicher Vorteil des Faktoransatzes sehr schnell. Vielleicht ist das der Grund, warum einige Indizes, die auf geläufigen Faktoren basieren, in der Rückrechnung erfolgreich sind, im echten Leben aber weniger.Vor diesem Hintergrund haben Investmentmanager neue und weniger bekannte Faktoren entwickelt sowie Anlagestrategien, die das Anlageuniversum anhand mehrerer Faktoren filtern. Für die zuletzt zunehmende Verbreitung faktorbasierter Anlageansätze sind zum Teil institutionelle Investoren verantwortlich, die erkannt haben, dass diese Strategien ihnen die Möglichkeit geben, von Marktineffizienzen zu profitieren, die unter anderem durch kurzfristige Marktverwerfungen und irrationales Anlegerverhalten entstehen.Wenn man sie nach den krisenanfälligsten Regionen der letzten Jahre fragt, werden viele Anlageprofis vermutlich spontan an Europa denken. Erst stellte die Griechenland-Krise die Währungsunion vor die Zerreißprobe, und als diese – zumindest temporär – gelöst war, erschütterte die sogenannte Flüchtlingskrise die Grundfesten der Europäischen Union – die Prinzipien der Solidarität und des freien Personenverkehrs. Zwischen den Schengen-Ländern sind neue Zäune errichtet worden und wir scheinen zu einer Welt zurückgekehrt zu sein, von der wir dachten, dass wir sie mit Ende des Kalten Krieges hinter uns gelassen hätten. Als ob das noch nicht genug sei, hat sich das Brexit-Szenario von einer theoretischen zu einer realistischen Möglichkeit entwickelt.Kein Zweifel: Europa befindet sich im Ausnahmezustand. Aber für die Alte Welt sind Krisen wahrlich nichts Neues, und noch hat Europa sie alle überstanden, wenn auch mit viel Gezänk und Kompromissen in letzter Sekunde. Auf lange Sicht betrachtet ist das europäische Projekt eine Erfolgsgeschichte und viel deutet darauf hin, dass die aktuellen Krisen wie vergangene Krisen in einigen Jahren so gut wie vergessen sein werden und nur noch die Historiker beschäftigen werden – nicht mehr die Politik und schon gar nicht die Anleger.Mit Ausnahme der Populisten haben schließlich alle ein Interesse an einem stabilen Europa – Bürger, die sich einen hohen Lebensstandard wünschen, genauso wie multinationale Unternehmen auf der Suche nach neuen Geschäftschancen und Regierungen innerhalb und außerhalb Europas, die politische Stabilität wünschen. Im Rückblick werden Anleger den aktuellen Aufruhr vielleicht als reinen “Market Noise” betrachten – als Turbulenzen, die kurz für Schlagzeilen sorgen, aber keine dauerhaften Folgen haben.Wie bereits erläutert, ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein quantitativer Ansatz wie die faktorbasierte Anlage überdurchschnittliche Renditen abwirft, umso höher, je weniger effizient ein Markt ist. Europa ist vermutlich nicht der am wenigsten effiziente Markt der Welt, aber die meisten Marktbeobachter sind sich einig, dass Europa zumindest im Hinblick auf das Tempo der Informationsübermittlung und -verarbeitung nicht mit den USA mithalten kann. Das liegt vor allem an den höheren Handelsumsätzen in den USA, der höheren Kapitalisierung des US-amerikanischen Marktes und seiner Homogenität in Kombination mit einer großen Zahl von Portfoliomanagern und Analysten, die auf der Suche nach Fehlbewertungen sind.Andererseits ist der europäische Markt aber vermutlich weniger heterogen und komplex als die Schwellenmärkte, die zumeist und unserer Meinung nach mit Recht als am wenigsten effiziente Märkte der Welt gelten. Unserer Ansicht nach macht dies Europa zu einem attraktiven Kandidaten für faktorbasierte Strategien. Der Markt ist ausreichend ineffizient, um Chancen für quantitative Manager zu eröffnen. Zugleich ist er ausreichend homogen, um sich für einen Investmentansatz zu eignen, dessen Fokus auf einer begrenzten Zahl von Faktoren liegt. Auswahl der FaktorenBei der Frage der Auswahl der Faktoren, in die man investieren möchte, wird eine Reihe von Überlegungen eine Rolle spielen. In der Regel sollten das auf Investorenseite eher strategische als taktische Fragen sein. Hierzu gehört sicher die Frage nach dem erwarteten Ertrag – und die Frage, warum man für einen Faktor langfristig einen Mehrwert erwartet. Zudem die Frage nach dem Zusammenspiel mit dem bestehenden Portfolio und nicht zuletzt das Risikoprofil der neu entstehenden Kombination. Mindestens ebenso spannend ist die Auswahl des Ansatzes: Multifaktorportfolios oder Kombination aus Einzelfaktorportfolios; einfach, transparent und billig oder weiterentwickelt, teilweise transparent und weniger billig. Auch wenn der theoretische Vorteil von Multifaktorportfolios mit weiterentwickelten Ansätzen auf der Hand liegt – am Markt scheint sich hier noch keines der Lager durchgesetzt zu haben.Während die aktuell instabile Lage in Europa einige Investoren dazu veranlasst hat, eine abwartende Haltung einzunehmen, betrachten andere diese Situation als gute Gelegenheit, ihr Europaengagement auszubauen, und für den Einsatz faktorbasierter Strategien. Angesichts der jüngsten Erfolgsbilanz faktorbasierter Anlagestrategien in Europa und des allgemeinen Markttrends in diese Richtung beobachten wir auch bei unseren Kunden – vor allem im institutionellen Bereich – ein zunehmendes Interesse an diesen Strategien.—Michael Fraikin, Head of Research, Invesco Quantitative Strategies—Bernhard Langer, Chief Investment Officer, Invesco Quantitative Strategies