Finanzmarktkrise

Evergrande mischt Chinas Bankenszene auf

Chinas Finanzmärkte werden durch die Gefahr eines Zusammenbruchs des Immobilienriesen Evergrande stark belastet. Die Zentralbank lässt außerplanmäßig Mittel in den Geldmarkt einschießen, um einer Liquiditätsklemme im Interbankgeschäft und weiteren Ansteckungsgefahren vorzubeugen.

Evergrande mischt Chinas Bankenszene auf

Von Norbert Hellmann, Schanghai

Die Existenznöte des zweitgrößten chinesischen Immobilienentwicklers China Evergrande Group verdichten sich zu einer immer ungemütlicheren Atmosphäre am chinesischen Finanzmarkt. Angesichts gewaltiger Verbindlichkeiten gegenüber Banken, Zulieferern, Baukontraktpartnern und anderen Gläubigern von über 300 Mrd. Dollar und einer immer drastischeren Liquiditätsklemme wachsen die Sorgen über „systemische Risiken“ beziehungsweise Ansteckungsgefahren im Falle eines ungeordneten Zusammenbruchs des dramatisch überschuldeten Bauträgers.

Lehman-Diskussion

Unter Marktteilnehmern, Analysten und China-Ökonomen ist eine heiße Diskussion darüber entbrannt, welche Konsequenzen ein unmittelbarer Kollaps des Sektorgiganten zeitigen könnte. Dabei fällt vor allem das Wort vom sogenannten „Leh­man-Risiko“, also dem plötzlichen Konkurs der im internationalen Finanzsystem breit vernetzten US-Investmentbank Lehman Brothers Mitte September 2008. Er führte zu einer rapiden Austrocknung des US-Geldmarktes, legte das Interbankengeschäft lahm und löste eine breite Vertrauenskrise im Bankensystem aus, die letztlich in einer historischen globalen Finanzkrise mündete.

Evergrande ist freilich ein gänzlich anderer Fall, es geht schließlich um einen Immobilienkonzern und nicht ein hoch vernetztes Finanzinstitut als Player am Geld- und Interbankenmarkt. Auch im Ernstfall würde es sich um einen Konkurs mit Ansage handeln, für den sich die Marktteilnehmer bereits wappnen. Bezeichnenderweise hat Evergrande nun Finanzberater und Umschuldungsspezialisten angeheuert, zu denen auch die US-Beratungsfirma und Investmentbank Houlihan Lokey gehört. Diese wiederum hatte sich in der Finanzkrise einen besonderen Namen als Krisenmanager und Berater der Gläubiger von Lehman gemacht.

Gegenwärtig gilt als wahrscheinlichstes Szenario, dass es zu einem äußerst komplexen, aber geordneten Umschuldungsverfahren kommen wird. Dennoch zeigt sich die chinesische Zentralbank alarmiert, zumal sie bereits 2018 eine Reihe von Nichtfinanzunternehmen, darunter auch Evergrande, als mögliches systemisches Risiko für Chinas Finanzsystem eingestuft hatte. So steht die Zentralbank auch Gewehr bei Fuß, um Liquiditätsspannungen am Geldmarkt im Zusammenhang mit Evergrande zuvorzukommen.

Am Freitag hat sich die People’s Bank of China (PBOC) denn auch dazu entschlossen, eine außerplanmäßige Liquiditätsinjektion im Rahmen von kurzfristigen Repogeschäften vorzunehmen. Damit wurden 100 Mrd. Yuan (gut 13 Mrd. Euro) in den Geldmarktkreislauf eingeschossen. Die Maßnahme trug allerdings nicht dazu bei, die Zinsen im Interbankenmarkt zu drücken, vielmehr zog der 7-tägige Reposatz als wichtiger Indikator für Refinanzierungskosten am Geldmarkt um 14Basispunkte auf 2,4% an und steht jetzt wieder auf dem höchsten Niveau seit Jahresmitte. Gegenwärtig sieht man zwar keine Anzeichen für Panik im chinesischen Bankenlager, allerdings gibt es Anzeichen dafür, dass chinesische Kreditinstitute Liquidität zu horten beginnen, um sich auf das „Worst-Case-Szenario“ eines Konkurses mit einem Totalausfall von Krediten und Anleihen und weitere Schockwellen im Finanzsystem vorzubereiten.

Regierung hält sich zurück

Die chinesische Regierung wiederum hält sich weiter zurück und gibt keinerlei Signale, dass die vom Milliardär Hui Ka Yan maßgeblich kontrollierte Evergrande-Gruppe mit staatlichen Mitteln aufgefangen werden soll, um den chinesischen Immobilienmarkt und andere Bauträger vor größeren Schäden zu bewahren. Allerdings scheinen chinesische Behörden und Finanzregulatoren hinter den Kulissen die in der Regel staatskontrollierten heimischen Banken angewiesen zu haben, Evergrande nicht plötzlich fallen zu lassen, sondern zumindest vorläufig mit dem Aufschub von Zinsrückzahlungen und einem Rollover von fällig werdenden Krediten zahlungsfähig zu halten.

Freilich wächst dennoch die Unruhe, dass die chinesischen Banken mit letztlich hohen Kreditausfällen wegen Evergrande konfrontiert werden und auch andere hoch verschuldete Immobilienentwickler, da­runter der Marktführer Country Garden Holdings und die Nummer drei, Sunac China Holdings, in Liquiditätsnöte geraten und zu säumigen Zahlern werden. Zuletzt standen denn auch die Aktien einiger Großbanken mit hohem Exposure gegenüber Evergrande und weiteren Immobilienfirmen unter Druck.

Besonders im Fokus steht China Minsheng Banking Corp., deren Kurs in Hongkong am Freitag weitere 5,3% verlor und damit auf ein Allzeittief abgerutscht ist. Seit Anfang April, als die Überschuldungsprobleme von Evergrande immer manifester wurden, hat die Minsheng-Aktie nun bereits gut 40% ihres Werts eingebüßt. Chinas führende Kreditinstitute ICBC und China Construction Bank, bei denen Evergrande ebenfalls in der Kreide steht, tendierten am Freitag allerdings relativ stabil.

Auf der Bondseite wiederum liegen die Ratingagenturen mittlerweile bei einem Basisszenario, das auf einen sogenannten „Haircut“ (Schuldenschnitt) von rund 75% hinausläuft, so dass die Anleihegläubiger im Zweifelsfall drei Viertel ihres Einsatzes zu verlieren drohen. Entsprechend stehen auch die auch umlaufenden Dollaranleihen der Evergrande immer tiefer im Keller, während der Handel mit Onshore-Bonds, also Yuan-denominierten Evergrande-Anleihen zur Wochenmitte bereits ausgesetzt wurde. Am Freitag fiel Evergrandes Benchmarkanleihe mit Laufzeit bis Oktober 2023 um weitere 10% zurück und notiert nunmehr nur noch bei rekordtiefen 16 Cent zum Dollar.

Bondrenditen steigen

Die Unruhe am Anleihemarkt macht sich auch im weiteren Renditeauftrieb von chinesischen Unternehmensanleihen mit Junkbondrating bemerkbar. Mittlerweile gehören fast alle chinesischen Immobilienentwickler aufgrund gestiegener Ausfallrisiken zum Segment der Junkbondemittenten. Bislang liegt die sogenannte Default Rate (Zahlungsausfallquote) für chinesische Hochzinsanleihen nur bei etwa 3%, würde bei einem Totalausfall von Evergrande jedoch auf 14% hochschießen, betonen Analysten. Zum Wochenende hin kletterte die Durchschnittsrendite auf chinesische Dollaranleihen im Hochzinsbereich auf fast 14%. Damit liegt man fast wieder auf dem im März 2020 erreichten Rekordniveau, als der Ausbruch der Corona-Pandemie kurzzeitig Chinas Junkbondrenditen in die Höhe jagte.

Wertberichtigt Seite 6

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