Fall VW alarmiert Versicherer
Von Antje Kullrich, Köln
Es geht turbulent zu am deutschen Markt für D&O-Versicherungen. Der Fall VW und der gerade vereinbarte Vergleich, der das Konsortium der Managerhaftpflichtversicherer von Ex-Konzernboss Martin Winterkorn 270 Mill. Euro kosten wird, sprengt alle bislang gekannten Dimensionen. Dass es viel werden könnte, war seit Jahren klar. Jetzt hat es der Markt schwarz auf weiß: Die Schadenhöhe entspricht rund der Hälfte der bisherigen Jahresprämien des gesamten D&O-Marktes hierzulande. In der viel größeren Kfz-Versicherung wäre das so, als wenn ein einzelner Autounfall 14 Mrd. Euro kosten würde.
Der spektakuläre Vergleich fällt in eine Zeit, in der der Markt ohnehin schon stark in Bewegung geraten ist. Unternehmen klagen über stark steigende Preise und verschärfte Bedingungen, Versicherer über unrentable Geschäfte. Der Fall VW befeuert die Entwicklung. Die Situation dürfte sich nach Einschätzung zahlreicher Marktteilnehmer, die die Börsen-Zeitung befragt hat, weiter verschärfen.
Makler wie Aon und Marsh berichten, dass vor allem Großkonzerne kaum mehr den gewünschten D&O-Schutz zusammenbekommen. Während ein einzelner Versicherer früher 25 Mill. Euro pro Kunde gezeichnet habe und damit die Zahl der Anbieter in einem Konsortium für eine Deckungssumme von mehreren hundert Mill. Euro einigermaßen überschaubar blieb, begrenzen die D&O-Versicherer in der Regel heute ihr Engagement auf 10 bis maximal 15 Mill. Euro. „Ein großer Teil der Dax-Konzerne hat nicht mehr die Kapazitäten, einkaufen zu können, die sie mal hatten“, sagt Marcel Roeder von Aon. Die Programmgestaltung werde deutlich komplexer, heißt es bei Marsh. Es gelinge zwar noch in einigen Fällen, Deckungen im mittleren dreistelligen Millionenbereich zu organisieren. Daran seien mittlerweile aber häufig 30 bis 50 Versicherer beteiligt. Die Organisation und Orchestrierung kostet Zeit und Geld. Auch an den Bedingungen wie Nachmeldefristen für spät erkannte Schäden wird gedreht.
Gleichzeitig steigen die Preise für D&O-Versicherung. „Wir sehen Ausschläge bis zu 600%“, berichtet Roeder. Für Alexander Mahnke, Vorstandschef des Gesamtverbands der versicherungsnehmenden Wirtschaft (GVNW), neigt der Markt zu Übertreibungen. In den zurückliegenden Jahren seien die Preise zu niedrig und die Bedingungen zu weit gewesen. „Jetzt überschießen einige Anbieter in die andere Richtung“, kritisiert der Manager, der im Hauptberuf Versicherungsrisikomanager bei Siemens ist. „Professionell ist das nicht.“
R+V gegen den Trend
„Der Fall VW hat die ohnehin prekäre Situation in der D&O-Versicherung noch einmal verschärft“, sagt Martin Schiel, Chief Underwriter der R+V, die sich am deutschen D&O-Markt zu den Top 5 zählt. Sein Haus werde in jüngster Zeit öfter angefragt, seine Kapazitäten in großen Programmen zu erhöhen. Die R+V tut das gegen den allgemeinen Markttrend nach eigenen Angaben auch selektiv. Das Limit der R+V liegt bei 25 Mill. Euro für den Einzelfall.
Andere Anbieter haben sich dagegen aus dem Markt zurückgezogen. So ist der kleinere Anbieter Starstone von der Bildfläche verschwunden, Argo Global hat seine kontinentaleuropäischen Aktivitäten beendet und in Großbritannien haben einige Lloyds-Syndikate das D&O-Geschäft aufgegeben.
Genaue Zahlen zum deutschen Markt für Managerhaftpflichtversicherung sind kaum zu bekommen. Jahrelang wurde eine ziemlich konstante Zahl von 500 Mill. Euro Prämienvolumen als Schätzung herumgereicht. Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft veröffentlicht zwar seit kurzem eine Statistik zum Markt, doch die Allianz-Tochter AGCS als Marktführerin ist darin nicht enthalten. Die Anbieter selbst halten sich zu ihren Beitragseinnahmen und Schaden-Kosten-Quoten bedeckt. D&O-Experte und Anwalt Michael Hendricks schätzt das Marktvolumen durch die Preissteigerungen mittlerweile auf 800 bis 900 Mill. Euro, Tendenz weiter steigend:. „Die Milliardengrenze dürfte bei der nächsten Vertragsverlängerungsrunde geknackt werden.“ Klar ist: Zahlreiche D&O-Versicherer, aber nicht alle, haben in den vergangenen Jahren Verluste geschrieben. Der Preis für den Managerschutz war extrem niedrig, die Bedingungen für die Kunden großzügig. „Die Raten in der D&O-Versicherung waren jahrelang defizitär und die Kapitalreserven aufgezehrt. Darauf mussten wir reagieren“, kommentiert Stephan Geis, verantwortlich für das D&O-Geschäft der Allianz-Industrieversicherungstochter AGCS in Zentral- und Osteuropa. Und er warnt: „Das Wiederauffüllen der Kapitalreserven wird nicht in einem Jahr gelingen.“
Cyberfall Yahoo
Dazu kommen neue Haftungsrisiken für Manager. Cyberangriffe sind so ein Fall. Wer gehackt wird und nicht genügend für die IT-Sicherheit des eigenen Unternehmens gesorgt hat, dem drohen im Zweifel Schadenersatzklagen. Der Fall Yahoo in den USA gilt als mahnendes Beispiel. Dort flossen zwischen 2013 und 2016 Milliarden Kundendaten ab. Aktionäre verklagten das Management wegen Pflichtverletzung. Am Ende stand ein Vergleich über 29 Mill. Dollar. Einige D&O-Versicherer schließen Cyberrisiken mittlerweile aus. Bei der Allianz kommt das nach eigenen Angaben vor, ist aber nicht die Regel.
Auch ESG-Themen tangieren die D&O-Versicherung. Geis nennt als Beispiele Offenlegungspflichten von Vorständen im Zusammenhang mit Nachhaltigkeit, konkrete Umweltverschmutzungen sowie Greenwashing von Unternehmenslenkern, deren Angaben zu nachhaltigem Wirtschaften nicht der Realität entsprechen. Das sind bereits mehr als theoretische Überlegungen von Risikomanagern. „Wir haben in allen drei Punkten D&O-Fälle in der Praxis gesehen“, sagt Geis.