Finanzplatz im Wettbewerb um die klügsten Köpfe

Bankenbranche wird das Rennen machen - Ohne Finanzmathematiker und Physiker geht es nicht - "Cultural Fit" ist zu einem wichtigen Indikator geworden

Finanzplatz im Wettbewerb um die klügsten Köpfe

Die Konsolidierung des Bankensektors in Europa hat sich beschleunigt. Niedrigzinsen, Regulierung und zunehmende Digitalisierung sind die Treiber. Wie schnell sich die Branche verändert, wird besonders deutlich beim Personal: So hat sich laut Europäischer Bankenvereinigung allein 2016 die Zahl der Arbeitsplätze um 50 000 reduziert. EU-weit sind damit noch 2,8 Millionen Menschen im Bankensektor beschäftigt. Das entspricht dem Stand von 1997.In Deutschland sind die Banken nach den Leitindustrien wie der IT-Telekommunikation, dem Maschinen- oder dem Automobilbau, aber vor der Energiewirtschaft und der Lebensmittelindustrie unter den Top Ten immer noch ein wichtiger Arbeitgeber. Gleichwohl verläuft die Entwicklung ähnlich wie auf EU-Ebene. So hat sich laut Erhebung der Bundesagentur für Arbeit von 2012 bis 2017 die Anzahl der Beschäftigten bei Kreditinstituten um rund 5 % auf 649 000 vermindert.Am Finanzplatz Frankfurt hingegen blieb die Mitarbeiterzahl in der Branche in den vergangenen fünf Jahren mit rund 63 000 stabil. Gegen den Trend. Woran liegt das? Offensichtlich sind nicht alle Bereiche in den Banken in gleicher Weise von der Wucht des Verschlankungsprozesses betroffen. So dürften gerade die “Maschinenräume” der Frankfurter Institute als Motor der Digitalisierung für einen steten Bedarf an IT-Spezialisten und Datenmanagern gesorgt haben. Auch aufgrund der steigenden regulatorischen Anforderungen werden am Finanzplatz Frankfurt immer mehr Spezialisten benötigt. Der Abbau findet demzufolge vornehmlich in der Fläche statt. Laut Bundesbank verringerte sich die Anzahl der inländischen Bank-Zweigstellen im Jahr 2016 deutlich um über 2000 beziehungsweise fast 6 % auf rund 32 000 Zweigstellen.Die Finanzbranche ist auf Platz 2 unter den am stärksten von der Digitalisierung beeinflussten Wirtschaftsbereichen. Das zeigt die aktuelle Studie des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB). Danach sind hier rund 70 % der Arbeitsplätze von der Digitalisierung betroffen. Allerdings trifft das auch auf Branchen wie Elektrotechnik, Maschinenbau oder die Automobilherstellung zu. Klar ist: Für den bevorstehenden Umbruch gibt es insgesamt zu wenige Bewerber mit relevanten Fachkenntnissen. IT-Spezialisten gesuchtWie ernst die Situation ist, zeigt die Umfrage des Branchenverbands Bitkom. Danach hat sich der Mangel an IT-Fachkräften weiter zugespitzt. So gab es in Deutschland Ende 2017 rund 55 000 offene Stellen für IT-Spezialisten. Das entspricht einem Anstieg um 8 % im Vergleich zum Vorjahr. Gesucht werden genau die Spezialisten, die auch in Banken dringend benötigt werden: Software-Entwickler mit Know-how in Cloud Computing, IT-Sicherheit und Datenanalyse. Und gerade die Verarbeitung von Daten wird immer mehr zu einem Schlüsseltrend in der Finanzbranche, wenn es um die Umsetzung mittels künstlicher Intelligenz und Robotik geht. Hochqualifizierte gefragtZugleich braucht die Bankenbranche mehr Spezialisten für die Analyseabteilungen wie etwa das Risikocontrolling, die unter anderem für den Handel arbeiten und für die Entwicklung und Validierung der Risikomodelle zuständig sind. Diese sogenannten Financial Engineers sind meist promovierte Mathematiker oder Physiker. Weil es auch in diesem Feld nicht genügend geeignete Bewerber gibt, können schon jetzt viele regulatorische Anforderungen nur mit zusätzlichen Kapazitäten umgesetzt werden.Zudem wird der Brexit die Personalsituation und den Wettbewerb um die Talente zusätzlich anheizen. Wenn sich Großbritannien 2019 aus der Gemeinschaft zurückzieht, dürfte in Frankfurt und Paris die Nachfrage nach Hochqualifizierten deutlich steigen. Denn nicht alle Spezialisten werden ihren Banken folgen und London verlassen.Bei diesem Wettbewerb um Professionals und hochqualifizierte Berufseinsteiger steht der Bankensektor zunehmend in Konkurrenz zu neuen Spielern im Markt. Man denke nur an die in das Bankgeschäft drängenden Non- und Near-Banks. Fintechs stehen in der Beliebtheitsskala sehr weit oben. Dennoch bewerben sich immer mehr Hochqualifizierte etwa bei der DZ Bank, die insgesamt 5 500 Mitarbeiter beschäftigt. Hier hat sich die Anzahl der Bewerbungen der Professionals in den letzten drei Jahren auf rund 3 000 pro Jahr fast verdoppelt.Die Bewerberzahlen zeigen: In diesem Wettbewerb haben die Banken angesichts der Digitalisierung und der Schnittstelle zu relevanten Finanzströmen letztlich anscheinend doch gute Chancen. Jedenfalls scheint die Finanzindustrie in der Wahrnehmung der hochqualifizierten Jobsucher attraktive Arbeitsplätze mit Perspektive zu bieten und dürfte deshalb auch künftig eine wichtige Rolle spielen. Es ist also ein harter Wettbewerb, aber einer den wir Banken in vielen Fällen für uns entscheiden können. Grundlegender WandelDie Einstellung der Generation Y – die jetzt in die Berufstätigkeit drängt – zur Arbeit hat sich grundlegend gewandelt. Sie hinterfragt nahezu alle Strukturen und will früh gestalten. Die Vertreter dieser Generation sind mit klaren Vorstellungen unterwegs, wie etliche Umfragen erkennen lassen: Der Beruf muss Spaß machen, den Neigungen und Fähigkeiten entsprechen und sich gut mit Privatleben und Familie vereinbaren lassen. Flexible Arbeitszeiten und Arbeitszeitmodelle können dabei die Klammer bilden für die angestrebte Einheit von Arbeit, Familie und Freizeit. Die digitale Vernetzung wird als selbstverständliches Rahmenwerk vorausgesetzt.Dennoch ist nicht die technische Weiterentwicklung die eigentliche Herausforderung für Banken, sondern der Übergang zu einer “neuen” Unternehmenskultur. Die Generation Y wird nur dann den Weg in die Banken finden, wenn das Umfeld insgesamt passt. Ging es noch vor einigen Jahren eher darum, möglichst viel zu verdienen, müssen heute auch weitere Rahmenbedingungen stimmen: Nicht “höher, weiter, schneller”, sondern der Teamgedanke, die Möglichkeiten aktiver Gestaltung und zugleich mehr Bodenständigkeit. Das mag zunächst abgegriffen klingen. Wir alle erleben diese Veränderungen aber praktisch jeden Tag in unseren Büros, und es sind Veränderungen zum Guten für die Bankenbranche.Der sogenannte “Cultural Fit” ist für Bewerber und Arbeitgeber zu einem wichtigen Indikator geworden. Es wird immer essenzieller, die Bewerber von der eigenen Kultur zu überzeugen. Allerdings ist auch ein Innovationslab noch lange keine Kulturveranstaltung, selbst wenn es als wichtige Keimzelle die Veränderungsbereitschaft im Unternehmen signalisiert. Solche Angebote mit funktionalem Charakter sind zwar notwendig, aber nicht hinreichend. Damit ist noch nichts über das Wertgefüge in der Bankenbranche gesagt. Dabei ist die Kultur das entscheidende Kriterium.Wie nachhaltig die Entscheidung für eine Neueinstellung ist, wenn Kandidat und Unternehmen zusammenpassen, wird in der geringen Fluktuationsquote deutlich. Fragt man nach, schätzen die neuen Mitarbeiter die Kollegialität und ihre persönliche Arbeitssituation. Diese Spezialisten arbeiten alle in Teams. Einzelarbeitsplätze im stillen “Nerd- Kämmerlein” gibt es nicht mehr. Einzelkämpfer haben da keine Chance. Diese “Traumkandidaten” sind definitiv keine Söldner mehr. Das ist deutlich anders im Vergleich zu früher und ein weiterer Beleg dafür, dass der “Cultural Fit” eine große Entscheidungshilfe für Bewerber und Arbeitgeber ist.Sicher ist: Der Finanzplatz Frankfurt braucht die umworbenen Professionals und hochqualifizierten Berufseinsteiger, um den vielfachen Anforderungen gerecht zu werden. Allerdings braucht es mehr als freie Softdrinks und schicke Arbeitsräume. Um organisatorisch im Wettbewerb um die klügsten Köpfe weiter zu bestehen, müssen die Banken ihre Wertgefüge verändern. Gerade eine große, breit aufgestellte Verbundgruppe, wie die genossenschaftliche Finanzgruppe mit ihren rund 190 000 Mitarbeitern, ist ein gutes Beispiel, wie sich die Wahrnehmung geändert hat. Interessante AlternativeFrüher oft als behäbig und langweilig empfunden, ist sie heute für die jungen Leute als Arbeitgeber eine interessante Alternative. Und es ist nicht nur das realwirtschaftliche Geschäftsmodell, nah am Kunden und Menschen, oder die weitreichenden Entfaltungsmöglichkeiten in den vielen unterschiedlichen Tochtergesellschaften und Spezialinstituten. Es sind die Werte, die bei jungen Leuten immer mehr Gefallen finden, wie die genossenschaftlichen Prinzipien der Solidarität, Integrität und Hilfe zur Selbsthilfe.—-Thomas Ullrich, Vorstandsmitglied und Arbeitsdirektor der DZ Bank AG