Frühere HVB-Händler sollen Licht ins Dunkel bringen
Zu Beginn des allerersten Strafprozesses in Deutschland zu den Cum-ex-Geschäften hat einer der beiden angeklagten Ex-Aktienhändler angekündigt, detailliert Auskunft zu den Fondskonstrukten zu geben. Den Angeklagten drohen Haftstrafen zwischen sechs Monaten und zehn Jahren.ak Bonn – Das Landgericht Bonn will Licht in das Dunkel der über viele Jahre praktizierten Cum-ex-Geschäfte bringen. Als erste in Deutschland muss die Kammer um den Vorsitzenden Richter Roland Zickler klären, wie die Praxis des Dividendenstrippings, das die deutschen Finanzgerichte schon länger beschäftigt, strafrechtlich zu bewerten ist.Die Angeklagten, die britischen Staatsbürger Martin S. und Nick D. haben viel zur Aufklärung beigetragen. In 30 Vernehmungen bei der Staatsanwaltschaft Köln haben sie über die Konstrukte in den Jahren 2006 bis Anfang 2011 ausgesagt, mit denen die Rückerstattung von Kapitalertragssteuern und Solidaritätszuschlägen gleich doppelt gelang, obwohl die Abgaben nur einmal gezahlt wurden.Notwendig waren gute Geschäftskontakte und ein Netzwerk von Beteiligten, da die Geschäfte genau aufeinander abgestimmt werden mussten. Zunächst organisierten Martin S. und Nick D. das von ihrem Händlertisch bei der HypoVereinsbank (HVB) aus, bevor sie sich Anfang 2008 mit der Firmengruppe Ballance selbständig machten.Grob lief das System so: Bei den, wie es die Staatsanwaltschaft nennt, “großvolumigen Aktienkreisgeschäften” verkaufte ein Leerverkäufer Aktien mit Dividendenanspruch kurz vor dem Dividendenstichtag an einen Erwerber. Er lieferte jedoch erst kurz danach ex Dividende, aber mit einer Kompensationszahlung in Höhe der Nettodividende. Da die Depotbanken zwischen Nettodividende und Kompensationszahlung nicht unterschieden, stellten sie Steuerbescheinigungen sowohl für den Halter der Aktien als auch für den Kunden des Leerverkäufers aus, der die Aktien später an den ursprünglichen Inhaber wieder zurückverkaufte und alles wieder beim Alten war. Der ursprüngliche Aktienhalter und der Kunde des Leerverkäufers waren inländische Kapitalanlagegesellschaften, die sich die Kapitalertragssteuer, die nur einmal gezahlt wurde, beide vom Fiskus zurückerstatten ließen. Möglich war das, weil damals die Aktiengesellschaften selbst und nicht die Depotbanken die Kapitalertragssteuer abführten.Die Staatsanwaltschaft Köln hat Anklage in 34 Fällen erhoben, in denen Martin S. und Nick D. die Aktienkreisgeschäfte organisiert haben sollen und in einigen Fällen selbst als Investoren dabei waren.Die beteiligten Banken und Kapitalanlagegesellschaften gründeten Fonds mit Namen wie BC German Hedge Fund, Baca Fund, oder HI Aktien 1, die nur wenige Monate existierten und nach der Dividendensaison wieder aufgelöst wurden.Einer der ersten großen Kunden der von S. ins Leben gerufenen Ballance-Gruppe war nach Angaben der Staatsanwaltschaft M.M. Warburg, mit der ein Investment Partnership Agreement abgeschlossen worden sei. Die Warburg-Gruppe ist in dem Verfahren der Finanzdienstleister, durch dessen Geschäfte laut Anklage der größte Schaden entstanden ist. Bei M.M. Warburg soll er bei knapp 167 Mill. Euro liegen, bei Warburg Invest bei fast 157 Mill. Euro. Der Vorsitzende Richter wies jedoch darauf hin, dass bei Warburg Invest in einem Fallkomplex der Steuerbescheid zunächst storniert und 47,2 Mill. Euro von der Gesellschaft an den Fiskus zurückgezahlt worden waren. Später jedoch hatte Warburg Invest für denselben Fall nochmals eine Steuererstattung beantragt und sie auch bekommen. Die Summe, die eventuell bei Warburg Invest abgeschöpft werden könnte, reduziert sich dadurch. Der tatsächliche Schaden für den Fiskus aus den angeklagten Fällen würde damit insgesamt bei knapp 400 Mill. Euro liegen.Die genaue Gestaltung der Cum-ex-Konstrukte dürfe im Prozess ausführlich beleuchtet werden. Hellen Schilling, Verteidigerin von Martin S., kündigte in einem Eingangsstatement an, dass ihr Mandant umfassend aussagen werde. “Durch seine Erläuterungen der Cum-ex-Geschäfte wurde bereits das Verständnis der Ermittlungsbehörden deutlich verbessert. Sie haben dazu beigetragen, die Ermittlungen in diesem und weiteren Verfahren der Staatsanwaltschaft Köln und weiterer Ermittlungsbehörden zu beschleunigen und zu erleichtern”, betonte die Rechtsanwältin. Die Verteidigung dürfte darauf abzielen, die Rolle von Martin S. zu relativieren. “Martin S. ist mit der Erste. Er ist nicht der einzige und auch nicht die zentrale Figur von Cum-ex.”Der Vorsitzende Richter wies darauf hin, dass einige der verhandelten Fälle für S. und D. lediglich als Beihilfe zur Steuerhinterziehung gewertet werden könnten, da sich zum Beispiel S. in späteren Konstrukten etwas zurückgezogen hatte.Die 12. Strafkammer, die das Landgericht Bonn extra als neue Wirtschaftsstrafkammer angesichts des Cum-ex-Komplexes eingerichtet hatte, hat bislang 30 Verhandlungstage angesetzt. Für schwere Steuerhinterziehung sieht der Gesetzgeber eine Mindeststrafe von sechs Monaten und ein Höchstmaß von zehn Jahren vor. Zickler betonte, Gespräche über eine Teilverständigung habe es nicht gegeben und sie seien auch zu diesem Zeitpunkt nicht beabsichtigt.