IM INTERVIEW: GEORGES BOCK, KPMG LUXEMBURG

"Für uns ist London ein wichtiger Verbindungspunkt"

Herkömmliche Modelle greifen beim Brexit nicht - Schnelle Übergangslösungen gefordert - Überraschend viele Versicherer sehen sich Luxemburg als Standort an

"Für uns ist London ein wichtiger Verbindungspunkt"

Durch den Bexit kommen auf die europäischen Finanzplätze Chancen, aber auch Herausforderungen zu. Georges Bock, der bei KPMG Luxemburg den Bereich Steuern verantwortet, führt im Interview der Börsen-Zeitung aus, um welche Aspekte es sich dabei im Fall von Luxemburg handelt. Bock hält es für wichtig, dass bei den Brexit-Verhandlungen schnell Übergangslösungen geschaffen werden, damit sich die Akteure nicht in einem Vakuum bewegen.- Herr Bock, bei den Brexit-Verhandlungen geht es um die künftige Ausgestaltung der Zusammenarbeit von Großbritannien und Europa. Welche Modelle kommen hierbei grundsätzlich in Frage?Es gibt vier Modelle, an denen man sich voraussichtlich in den Verhandlungen orientieren wird. Praktisch gesehen handelt es sich um das norwegische, das Schweizer, das amerikanische und das türkische Modell.- Was sind die Grundzüge des norwegischen und des Schweizer Modells?Die norwegische Option bietet alles wie in der EU, ohne dass man allerdings am Tisch der Entscheider sitzt. Man setzt aber alle Entscheidungen der EU eins zu eins im nationalen Recht um. Dafür ist der Zugang zum europäischen Markt uneingeschränkt. Bei dem Schweizer Modell hat man zwar einen komplett freien Zugang zum Gütermarkt, aber keinen freien Zugang zum Markt der Dienstleistungen.- Was sind die wesentlichen Charakteristika des amerikanischen und des türkischen Modells?Bei der türkischen Variante handelt es sich im Wesentlichen um eine Zollunion, allerdings hat das Land keinen freien Zugang zum EU-Markt. Und beim amerikanischen Modell oder der WTO-Option sieht es so aus, dass es keinen freien Zugang zu dem Markt gibt, aber stattdessen immer schrittweise bilateral verhandelt wird. Bei allen diesen Modellen ist immer wieder zu berücksichtigen, was die EU insgesamt weiterhin sehr hoch halten will: Das sind der freie Personenverkehr, freier Güterverkehr und freier Verkehr der Dienstleistungen.- Was glauben Sie denn, auf welches Modell es schlussendlich hinauslaufen wird?Da muss man sich einmal ansehen, wofür die Bürger abgestimmt haben und was auch Premierministerin Theresa May sagt: “Freier Personenverkehr ist mit uns nicht mehr zu realisieren, und bindende Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes sind mit uns auch nicht mehr zu machen.” Dem norwegischen und Schweizer Modell hat man damit eine klare Absage erteilt und im Grunde genommen auch der türkischen Option. Und damit bleibt eigentlich nur noch der Weg der bilateralen Verhandlungen, also das amerikanische Modell beziehungsweise die WTO-Option. Das wurde ja klar kommuniziert: Es gibt einen Hard Brexit – alles wird bilateral verhandelt. Wobei nicht mehr auszuschließen ist, dass man in einer “No Deal”-Situation, also dem Nichts endet.- Wenn es auf ein derartiges bilaterales Modell hinauslaufen sollte, ist ein solches Modell aus Sicht des Luxemburger Finanzplatzes zu favorisieren?Es gibt kein Modell, das wir aus unserer Sicht so richtig favorisieren können. Kein Modell ist wirklich nachhaltig überzeugend. Und man muss auch einmal konstatieren, dass diese gesamte Brexit-Situation für keinen so richtig gut ist. Aus Luxemburger Sicht kann man höchstens sagen, dass wir versuchen werden, mit allen Modellen oder Optionen umzugehen. Die Devise in Luxemburg lautet häufig: How to accommodate, also wie können wir die Situation bestmöglich anpassen oder ausgleichen. Man kann aber eben nicht sagen, dass das eine oder andere besser ist.- Können Sie die Luxemburger Sicht zum jetzigen Zeitpunkt ein wenig genauer beschreiben?Für uns ist und bleibt London ein wichtiger Verbindungspunkt. Wir sind in Europa sehr stark im Finanzdienstleistungs- und Bankgeschäft aktiv, und London ist ein weiterer sehr wichtiger Standort in Europa, an dem es in dieser Hinsicht sehr rege Aktivitäten gibt. Von 85 Mrd. Euro Export von Dienstleistungen entfallen 14 Mrd. Euro, also 16 %, auf Großbritannien. Was den Import von Dienstleistungen angeht, beziffert der UK-Marktanteil 18 %. Und je nachdem, wie die Verhandlungen verlaufen, werden wir immer wieder hier am Platz entsprechende Rückkopplungen spüren, weil wir in diversen Geschäftsbereichen sehr eng miteinander verwoben sind.- Was heißt das für Luxemburg?Für uns sind drei Aspekte sehr wichtig. Erstens: Wie werden die bilateralen Ausgestaltungen später aussehen? Zweitens: Welche Übergangslösungen werden geschaffen? Aus Luxemburger Sicht brauchten wir keinen Brexit, um unser Geschäft zu stärken. Brexit heißt für uns einfach potenzieller Zusammenbruch oder zumindest erhebliche Störung. Für uns wird es nun wichtig, wie der gemeinsame Nenner aussehen wird, damit man weiterhin mit London Geschäftsbeziehungen aufrechterhalten kann. Wir sehen die Zukunft nach wie vor in der Kooperation und nicht in der Devise: Ich werde London jetzt ersetzen. Drittens: Wie viele Unternehmen werden sich für Luxemburg als ihren Hub zum EU-weiten Vertrieb von ihren Produkten entscheiden? Ein paar große Namen haben ihre Karten schon aufgedeckt und sich für Luxemburg entschieden. Es handelt sich hierbei um die Versicherer AIG und Hiscox, die Häuser Carlyle und Blackstone, das Internethaus Rakuten sowie den Assetmanager M & G. Weitere werden noch folgen.- Was sind die wesentlichen Vor- und Nachteile eines Modells bilateraler Verhandlungen für den Finanzplatz Luxemburg?Wir sehen sehr starke Aktivitäten im Bereich des Vertriebs von Finanzprodukten. Viele Adressen positionieren sich hier am Platz neu. Denn viele haben auch von ihren Kunden einen sehr starken Druck auferlegt bekommen, nach dem Motto, wenn ihr nicht schnell eine Lösung für den Vertrieb der Produkte in den europäischen Markt hinein liefert, dann werden eure Produkte – zum Beispiel Fonds – nicht mehr in unseren Portfolios vertreten sein. Das führt zu einer klaren Verstärkung des Geschäfts am Luxemburger Platz. Hier wird es Zuwachs geben. Die Nachteile werden genau dort sein, wo Teile der Wertschöpfungskette in Großbritannien liegen, die dann prinzipiell aufgrund des Brexit potenziell zu einer Inkompatibilität führen könnten.- Können Sie das konkretisieren?Nehmen wir einen luxemburgischen Investmentfonds. Der Fonds wird in Luxemburg gemanagt, er hat seine Depotbank in Luxemburg, das gesamte Reporting ist ebenfalls hier. Nur das Investment Advisory sitzt in London. Kommt es zum harten Schnitt, ist London nicht mehr Teil des EU-Binnenmarktes. Alle automatischen Anerkennungen in allen EU-Ländern wie zum Beispiel beim Aufsichtsrecht fallen somit weg. Wenn es keine Drittlandslösung gibt mit einer Anerkennung, ein “No Deal”, wird dieses Modell – also Investment Advisory für einen Luxemburger Fonds in London – illegal. Diese Aktivitäten müsste man also verschieben. Der Investment Advisor für diesen Fonds könnte demzufolge nicht mehr in London sitzen. Alternativ kann sich der Fonds auch einen Investment Advisor in einem anderen EU-Land suchen oder in einem Land mit sogenannten Äquivalenzverträgen, die also solches EU-Recht akzeptieren.- Von welchem Szenario gehen Sie aus?Ich glaube, dass wir solche Äquivalenzverträge mit Großbritannien bekommen. Aber das wird eine Zeitfrage sein. Es kann auch eine Frage einer Übergangslösung sein, und wie sieht eine derartige aus? Wenn wir den “No Deal”-Brexit an einem Tag vollziehen und dann am nächsten Tag keine Übergangslösung haben, kommt es zur Disruption, zu einem Bruch. Wir können also durchaus mit dem Risiko konfrontiert werden, dass die bekannten existierenden Wertschöpfungsketten umstrukturiert werden müssen. Das bedeutet Kosten, Unsicherheiten und neues Risiko. Das ist der Sache nicht unbedingt immer dienlich. Das Risiko besteht darin, dass die Drittlandsklauseln, die wir heute in Richtlinien haben, den realen Geschäften nicht Rechnung tragen und dann nicht schnell genug angepasst werden. Diese Drittlandsklauseln sehen vor, dass gleiche EU-Rechte für Länder außerhalb der EU gelten, wenn diese sich auch an die EU-Vorschriften halten. Diese Art von Äquivalenzbestimmungen sind in einigen EU-Gesetzen theoretisch vorgesehen, jedoch noch nicht in allen und nicht in allen praktisch umgesetzt. Bei dem Aspekt der Aufsicht ist es zum Beispiel so, dass die Luxemburger Aufsicht ein Memorandum of Understanding mit der britischen Aufsicht haben muss, wie zu regulieren ist. Wenn das nicht vorliegt, muss es geschaffen werden, und das kann dauern, und bis dahin befinden wir uns in einem luftleeren Raum. Um es zusammenzufassen: Wenn nur ein Teil der Wertschöpfungskette zum Beispiel bei einem Fonds nicht dem EU-Recht entspricht, dann können sie dieses Produkt, also den Investmentfonds, auch nicht mehr EU-weit vertreiben.- Die Brexit-Verhandlungen werden aller Voraussicht nach sehr schwierig und langwierig werden. Worauf kommt es bei diesem Verhandlungsprozess aus Luxemburger Sicht an?Das Problem bei den Verhandlungen der bilateralen Verträge besteht darin, dass nicht alle Europäer immer genau das gleiche Interesse haben. Manche Länder wollen vielleicht Übergangslösungen für den Finanzsektor haben. Andere Länder sind daran vielleicht nicht interessiert und wollen lieber Übergangslösungen für bestimmte Industrien haben, weil sie stärker an einem Güterverkehr beziehungsweise -austausch interessiert sind. Speziell für Luxemburg kommt es darauf an, Übergangslösungen für die Wertschöpfungsketten der Fondsindustrie, der Versicherer, der Banken und anderer Finanzinstitutionen zu bekommen. Das wird eine sehr große Herausforderung für uns bei den Verhandlungen.- Gibt es noch einen weiteren relevanten Aspekt?Ja, und der ist sehr wichtig. Ein internationaler Platz wie Luxemburg lebt von Arbeitskräften. In Luxemburg ist die Arbeitskräftewelt sehr international aufgestellt. Wenn wir nicht mehr in der Lage sind, die Briten als Arbeitskräfte in der EU zu halten, dann haben wir hier in Luxemburg schlichtweg ein Arbeitskräfteproblem. Denn wir brauchen hier am Platz Talente, um die ganzen Märkte letzten Endes auch bedienen zu können. Zu den Herausforderungen gehört auch, dass wir Personen aus Großbritannien, die hier vor Ort sind, relativ problemlos den Übergang von freiem Personenverkehr auf Drittlandstatus ermöglichen. Aber auch in diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass wir für Luxemburg nicht wieder nur eine Einzellösung erarbeiten können. Müssten wir am Ende womöglich auf diese Arbeitskräfte verzichten, wäre das ein Verlust für Luxemburg, aber auch für die EU.- Das Investmentfondsgeschäft ist ein wesentliches Standbein des Luxemburger Finanzplatzes. Sehen Sie eher Chance oder Risiko im Brexit?Risiken liegen wie schon besprochen in den Äquivalenzverträgen, Übergangslösungen und dem “No Deal”. Ich gehe davon aus, dass es zu einer Lösung kommen wird. Chancen liegen in den Bereichen der alternativen Fonds und des Marktzugangs unter Mifid und zukünftig Mifid II. Die einzige mittelfristige gangbare Lösung ist, den Vertrieb von Finanzprodukten aus dem EU-Binnenmarkt zu betreiben. Wir sind in Luxemburg exzellent aufgestellt, Front-Office-Aufgaben im Vertrieb zu übernehmen und das derzeitige Fondsgeschäft so zu erweitern.- Gibt es auch Geschäftsbereiche, in denen Sie vom starken Interesse eher überrascht sind?Ja, das gibt es in der Tat. Die üblichen Verdächtigen waren zunächst einmal Banken und das Fondsgeschäft. Aufgrund der Marktführerschaft war dann auch schnell zu sehen, dass es hier ein großes Interesse dieser Institutionen an Luxemburg gibt, insbesondere natürlich beim Vertrieb und der Administration von Fonds. Es gibt zwei Bereiche, bei denen man vom starken Interesse überrascht ist. Der eine Bereich ist die Versicherungsindustrie. Vom Timing her ist es der Sektor, der am frühesten die Gegebenheiten vor Ort überprüft. Zurzeit gibt es in erster Linie ein sehr großes Interesse von amerikanischen Versicherern. Viele von ihnen sind bislang in London und sehen sich nun nach alternativen Plätzen um. Luxemburg befindet sich bei diesen Adressen aber nicht mehr nur im groben Analysestadium, sondern man ist schon ein gutes Stück weiter, und zwar bei der konkreten Bewertung der Machbarkeit der Geschäfte vor Ort. Das bedeutet: Es wird schon an einer konkreten Umsetzung gearbeitet. Dabei geht es aber nicht nur, wie man vermuten könnte, um Lebensversicherungen, sondern hauptsächlich um Sachversicherungen. Wie schon erwähnt, die US-Riesen AIG und Hiscox haben ihre Entscheidungen schon öffentlich gemacht.- Was sind weitere Bereiche?Die Fintechs sind sehr schnell umgeschwenkt. Es gab in London Anbieter im Bereich Virtual Currencies und E-Payments, die den europäischen Markt nun nicht mehr bedienen könnten. Viele gehen davon aus, dass das Geschäft auch nach den Brexit-Verhandlungen nicht mehr von Großbritannien aus in den europäischen Markt hinein weiter betrieben werden kann. Ein konkretes Beispiel ist Rakuten, die sich entschieden haben, ihre Bank in Luxemburg aufzumachen. Es gibt in der Finanzwelt ganz klar Bereiche, die in der Zukunft sehr wichtig sein werden, und wir finden bei den Anbietern in der Fintech-Szene ein klares Interesse vor, das auch von Luxemburg aus operativ zu gestalten.- Gibt es noch andere Bereiche, die sich in Luxemburg umsehen?Ja, bei den Banken hat uns zum Beispiel das starke Interesse der Trading Desks überrascht. Zum Beispiel haben aus dem asiatischen Raum viele Häuser ihre Handelseinheiten in London gehabt, und diese Adressen sehen sich nun ebenfalls nach Alternativen um. Hierbei geht es um die gesamte Bandbreite der Handelsaktivitäten, bei denen überlegt wird, sie von London wegzuverlagern.- Welche Aspekte des Luxemburger Platzes wirken gerade auf die Versicherer attraktiv?Das kann man nur anhand der Fragen beantworten, die wir hier von diesen Adressen gestellt bekommen: Hat man in Luxemburg Erfahrung mit internationalem Geschäft? Haben die regulatorischen Einheiten die kritische Masse, um jeweilige Unternehmungen überhaupt professionell auf ihrem Geschäftsweg begleiten zu können? Denn gute regulatorische Einheiten gehören zur kompetitiven Infrastruktur eines Platzes. Dazu gehören bei einer Aufsicht auch folgende Punkte: Hat man überhaupt die notwendige Anzahl von Mitarbeitern, um die Anfragen zum Beispiel einer Versicherung zu bearbeiten, oder ist man damit überfordert und Anfragen bleiben – zu lange – liegen, und das Unternehmen verpasst deshalb Geschäftschancen, die es von einem anderen Finanzplatz aus hätte realisieren können?- Gibt es noch weitere Fragen?Des Weiteren gehören dazu auch Fragen nach der Kompetenz: Wird das Geschäft auf Seiten der regulatorischen Einheit verstanden? In welchen Sprachen kann das Unternehmen seine Anfragen stellen? In welchen Sprachen bekommt man die Antwort? Die Frage ist dann auch, ob ein amerikanischer Versicherer sein Geschäft vor Ort in der englischen Sprache abbilden kann, so zum Beispiel bei den Angestellten, die vor Ort angeworben werden, oder wiederum bei den regulatorischen Einheiten.- Bei welchen anderen Institutionen sehen Sie gute Chancen, dass sie sich bei dem derzeit laufenden Beauty Contest für das Großherzogtum entscheiden werden?Zusammenfassend kann man sagen, dass Luxemburg bei allem, was zu Fondsindustrie und Vertrieb gerechnet werden kann, aus heutiger Sicht vermutlich sehr stark als Standort punkten kann. Bei Fintechs, die sich sehr interessiert zeigen, haben wir voraussichtlich ebenfalls gute Chancen. Die Bankenaufsicht CSSF ist dafür bereits sehr gut positioniert, und das kommt auch bei den Institutionen sehr gut an. Denn wir sprechen von recht komplexen Technologien, und hier braucht es auch bei der Aufsicht entsprechende Experten.- Befürchten Sie, dass viele Institutionen auf andere Plätze ausweichen werden?Wir sind hervorragend positioniert und also optimistisch. Jedoch ist es für uns sogar wünschenswert, dass man sich anderswo umsieht. Wenn sich morgen Barclays, HSBC und die Royal Bank of Scotland entscheiden, sämtliche Teile ihres internationalen Bankgeschäfts nach Luxemburg zu verlegen, dann haben wir in Luxemburg ein riesiges Problem, und zwar in puncto Schulen, Wohnungen und Büroraum – von dem entstehenden Verkehrschaos mal ganz zu schweigen. Das können wir überhaupt nicht stemmen. Diverse luxemburgische Ministerien – darunter Erziehung, Verkehr, Infrastruktur, Wirtschaft, Finanzen, Außenministerium – haben schon eine diesbezügliche Task Force gegründet, woran man ablesen kann, dass man sich hier im Land sehr wohl der Infrastrukturherausforderung bewusst ist. Die City of London kann hier nicht ersetzt werden. Es geht hier um die Zusammenarbeit von Finanzplätzen, also die Kooperation von Luxemburg mit London, Frankfurt, Paris et cetera und damit um die Frage, wie man finanzplatzübergreifend Geschäfte fortführen kann. Das heißt: Es können nicht alle nach Luxemburg kommen. Viele Adressen werden das auch erkennen und sich dann in Paris, Frankfurt, aber auch in Amsterdam umsehen. Aber große Umsiedlungen nach Dublin sehe ich nicht, denn dort würden die gleichen Infrastrukturprobleme entstehen.- Bei EU-Verhandlungen gibt es immer wieder Kompromisse, oftmals – wie man hört – auch mit suboptimalen Ergebnissen. Das europäische Regulierungsmodell für die Finanzbranche insgesamt hat aber weltweite Anerkennung. Besteht für Großbritannien nicht genau darin ein Anreiz, wesentliche Teile des Modells zu übernehmen, aber ohne den unnötigen Ballast?Zunächst einmal müssen wir davon wegkommen, den Brexit als Schuldzuweisung an die Briten zu betrachten. Es ist nämlich vielmehr ein Weckruf an die EU. Unser Finanzsystem hat vor einigen Jahren kräftig gewackelt. Danach wollte man über die Regulierung alles bombensicher machen. Aber man muss sich auch vor Augen führen, dass es ohne Risiko auch keinen Ertrag gibt. Damit einher ging auch die Philosophie: Es muss einer bestraft werden und bezahlen. Diese Denkweise hat die vergangenen sieben Jahre dominiert. Und die Briten führen uns jetzt ein anderes Modell vor, denn sie setzen auf Freiheitsgrade und Gestaltungsmöglichkeiten und streifen die Fesseln ab. Was sehen wir da jetzt? Nach Aussagen der Briten werden sie bei einer deutlichen Verschlechterung des wirtschaftlichen Klimas die Steuern so weit senken, dass keiner mehr um Großbritannien als Standort herumkommen kann. Es ist deshalb durchaus denkbar, dass die Briten den Regulierungsballast abwerfen und damit bei Banken, Versicherern und Industrie kräftig punkten, zum Beispiel nach dem Vorbild von Singapur. Singapur ist sehr gut reguliert, hat dabei aber immer auch die Kosten für die betroffenen Institutionen im Blick. Diese Denke wurde in Europa immer von den Briten angewandt, was nun in der EU fehlen wird. Das, was in der Vergangenheit die betroffenen Institutionen viel gekostet, aber wenig gebracht hat, könnten die Briten nun beiseiteschaffen und somit sehr konkurrenzfähig werden.- Worauf kommt es für die europäischen Finanzplätze an?Endlich die dringend notwendige Komplexitätsreduktion in Regulierung, Rechtsprechung et cetera anzugehen und möglichst schnell weitreichende und von Pragmatismus gekennzeichnete Übergangsregelungen ins Leben zu rufen, mit denen auf operativer Ebene vernünftig umgegangen werden kann.—-Das Interview führte Kai Johannsen.