IM INTERVIEW: JÜRGEN GROS

"Genossenschaftssektor bleibt Goldstandard in der Finanzbranche"

Präsident der Volks- und Raiffeisenbanken in Bayern bewertet die Lage der Institute trotz Pandemie als robust - Kritik an zeitweiligem Dividendenverbot der BaFin

"Genossenschaftssektor bleibt Goldstandard in der Finanzbranche"

Herr Gros, schießt die BaFin mit ihren Empfehlungen wegen der Coronakrise in Bezug auf die Dividendenpolitik und die Verbraucherkredite der Banken über das Ziel hinaus?Das war schon der Eindruck, als die BaFin im Frühjahr einen Dividendenstopp für die Genossenschaftsbanken verhängt hat. Nach meiner Einschätzung haben der Blick für die Situation und der Mut zur Differenzierung gefehlt. Denn die Corona-Pandemie war und ist keine Bankenkrise. Der Konjunktureinbruch im zweiten Quartal hatte keine negativen Auswirkungen auf die Stabilität der Kreditgenossenschaften. Zwischenzeitlich hat die BaFin den Volksbanken und Raiffeisenbanken grundsätzlich die Auszahlung der Dividenden für 2019 gestattet. Entsprechende Überzeugungsarbeit hat also gefruchtet. Was bedeutet das für die Volksbanken und Raiffeisenbanken in Bayern?Die große Mehrheit der Volksbanken und Raiffeisenbanken in Bayern hat zunächst abgewartet und ihre Vertreter- beziehungsweise Generalversammlungen aufs laufende Quartal verschoben. Das bot die Gelegenheit, den Positionswechsel der BaFin zu nutzen und in den zumeist digitalen Versammlungen entsprechende Ausschüttungsbeschlüsse zu fassen. Die Vorstände haben damit ein gutes Timing an den Tag gelegt. Wie bewerten Sie die Politik der BaFin?Ich will mich nicht mit rückwärtsgewandten Bewertungen aufhalten. Der Blick geht nach vorn. Und da erwarte ich in ähnlichen Situationen eine Herangehensweise der Aufsicht, die auf eine individuellere Betrachtung der Banken abhebt und damit die Lage der einzelnen Geldhäuser in den Fokus stellt. Zudem sollten bei derartigen geschäftspolitische Eingriffen, wie wir sie im Frühjahr erlebt haben, schon auch darauf geachtet werden, was das bei den Eigentümern einer Genossenschaftsbank auslöst. Warum?Adressiert hat die BaFin ihre Erwartung zum Dividendenstopp an die Vorstände. Über die Dividenden entscheiden aber Vertreter- beziehungsweise Generalversammlungen. Für sie war es oft nur schwer nachvollziehbar, warum es für ein gutes Geschäftsjahr 2019 keine Dividende hätte geben sollen. Zumal die Diskussion 2020 in einem Umfeld stattfand, in dem es trotz Corona-Pandemie für die allermeisten Volksbanken und Raiffeisenbanken wirtschaftlich ordentlich lief. Selbst unter Berücksichtigung des nach wie vor widrigen Zinsumfeldes. Wie ist die Lage der Volksbanken und Raiffeisenbanken in Bayern im Detail?Die jüngste Ergebnisvorschaurechnung zeigt, dass die Lage stabil ist. Die Institute sind robust unterwegs. Das Firmenkreditgeschäft wird 2020 um 7 % wachsen, die Darlehensvergaben an Privathaushalte um rund 5 %. Die Ergebnislage ist gut, die Risikolage unauffällig. Damit zeichnet sich für 2020 das ab, was der Vergleich der Kreditsektoren im September-Monatsbericht der Deutschen Bundesbank für das Jahr 2019 zeigte. Unsere Gruppe ist wirtschaftlich stark und der genossenschaftliche Sektor bleibt der Goldstandard in der Finanzbranche. Lässt sich diese Aussage auch noch halten, wenn wegen Covid-19 die Belastungen über eine erhöhte Kreditrisikovorsorge steigen könnten?Ob sie steigen, bleibt abzuwarten. Die Fakten zeigen erstens, dass die Volksbanken und Raiffeisenbanken in Bayern die von der Coronakrise stark betroffenen Branchen kaum im Kreditbuch haben. Zweitens: Dort, wo sie diese Risiken haben, sind diese Firmenkunden mit Liquidität und mit eigenem Kapital nach wie vor gut ausgestattet. Die Institute begleiten im Mittelstand vor allem eigentümergeführte Unternehmen. Darunter fallen familiengeführte ländliche Gaststätten und Hotels. Diese kommen in der Regel mit der Krise besser zurecht als in Städten verankerte Betriebe, die insbesondere von Geschäftsreisenden und Touristen leben. Zudem helfen staatliche Hilfen und Darlehen der Förderbanken, Engpässe zu überbrücken. Aus diesen Gründen zeichnen sich für die bayerischen Volksbanken und Raiffeisenbanken derzeit keine signifikanten Kreditrisiken in den Büchern ab. Was bedeutet das für die Wertberichtigungen?Aus der Gruppe der Volksbanken und Raiffeisenbanken in Bayern erhalte ich diesbezüglich bisher entspannte Rückmeldungen. Wir gehen davon aus, dass sich die Wertberichtigungen im Forderungsbereich um die Nulllinie und damit im langjährigen Korridor bewegen werden. Beschleunigt die Pandemie auch den Strukturwandel?Das gilt für viele Branchen. Der Bankenbereich ist davon nicht ausgenommen. Die Digitalisierungsthemen haben in den letzten Monaten nochmals einen deutlichen Schub bekommen. Lockdown-Phasen, Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen zeigen, wie wichtig es für Banken ist, auf möglichst vielen Kanälen erreichbar zu sein. Erhöht sich mit dem Strukturwandel der Druck auf die Primärinstitute zu fusionieren?Das kann ich empirisch so nicht bestätigen. Im Jahr 2020 verzeichneten wir fünf Zusammenschlüsse. Das ist deutlich weniger, als wir ursprünglich prognostiziert hatten. Zu Jahresbeginn sind wir von zehn bis elf ausgegangen. Was waren die Gründe dafür, dass Ihre Erwartung so nicht eintraf?Die Gründe sind vielschichtig. Die Beteiligten merken unter Umständen nach einer Zeit, dass die Strukturen der Häuser dann doch nicht so zusammenpassen wie gedacht oder es menschelt auch mal kurz vor der Ziellinie. Ich will zudem nicht ausschließen, dass die Corona-Pandemie den einen oder anderen vorsichtiger gemacht hat. Vielleicht hat sich hin und wieder auch die Frage gestellt, ob in einer Phase, die Banken sehr fordert, ausgerechnet eine Fusion vorangetrieben werden muss. Wie wird es 2021 aussehen?Nach unserem Kenntnisstand zeichnen sich im kommenden Jahr sechs Fusionen ab. Das ist weniger als im Durchschnitt der vergangenen Jahre, der bei acht bis zehn lag. Fusionen sind kein Flächenphänomen. Sie stören sich an den Aktivitäten des Online-Vergleichsportals Check24 in Bezug auf Kreditvergleiche. Wo ist das Problem?Check24 hat zwei Vergleichsplattformen zu Finanzthemen, darunter eine zertifizierte. Dieses Portal namens Finanzen.Check24.de ist im Internet für Verbraucher allerdings nicht so einfach vom unzertifizierten Check24-Portal zu unterscheiden. Zudem findet man Zugang am ehesten noch über Check24, also das unzertifizierte Portal. Das alleine kann vielleicht tolerabel sein. Problematisch ist aber aus unserer Sicht, wenn ein Vergleichsportalanbieter in Teilen keine zufriedenstellende Qualität liefert und wie in diesem Fall zudem als Kontoanbieter auftritt. Zumal wenn unklar bleibt, wie der Vergleichsplattformanbieter mit seinen eigenen Konten umgeht. Für Verbraucher wird es dann schwierig, sich eine Meinung zu bilden, sauber zu differenzieren, ob sie sich auf der zertifizierten oder auf der nicht zertifizierten Plattform befinden. Wie gehen Sie in der Auseinandersetzung vor?Die Kollegen vom Sparda-Verband und wir haben den Sachverhalt beim Bundesjustiz- und dem Bundesfinanzministerium moniert. Kern ist die Frage, ob die Erwartungen der Politik an ein Vergleichsportal mit dem Anspruch, unabhängig zu informieren, erfüllt sind. Hier zweifeln übrigens nicht nur wir, sondern auch Verbraucherschützer. Wie war die Reaktion?Das Bundesfinanzministerium prüft diese Angelegenheit und nimmt die Informationen offenkundig auf in einen routinemäßigen Konsultationsprozess zu Vergleichswebsites, der ohnehin ansteht. Wie stehen Sie zu Fintechs?Wettbewerb hat noch nie dem Geschäft geschadet. Insofern ist es für uns ein Treiber, wenn neue Akteure in den Markt kommen. Es ist zudem unzweifelhaft, dass wir von den Fintechs einiges lernen können, unter anderem in Bezug auf Arbeitsweisen, Denkstrukturen und Ergebnisorientierung. Allerdings sollten sie regulatorisch nicht bevorzugt behandelt werden. Unternehmen, die gleiches Geschäft betreiben, müssen auch gleich reguliert werden. Ich bin kein Freund einer Sandkastenregulierung für junge Unternehmen. Wie steht es mit Kooperationen?In unserer Gruppe gibt es unterschiedliche Modelle der Zusammenarbeit mit Fintechs, darunter die Entwicklung von Apps oder im Bereich künstlicher Intelligenz. Das erlebe ich als durchaus produktiv. Sie bündeln Aktivitäten mit dem Sparda-Verband auf der Ebene der Interessenvertretung. Ist das der Nukleus für einen Zusammenschluss der Regionalverbände?Die Kooperation mit dem Sparda-Verband, die wir im September formal besiegelt haben, hat tiefe Wurzeln. So sind die bayerischen Sparda-Banken seit langem Gastmitglied im GVB. Darüber hinaus arbeiten Sparda-Verband und wir seit geraumer Zeit intensiv bei politischen Themen zusammen, aber auch in Feldern der Prüfung und Bildung. Insofern gab es eine gute Basis, auf der wir mit dem urgenossenschaftlichen Modell der Kooperation aufsetzen konnten, um die Stärken zweier Verbände zu bündeln. Wir sind näher beieinander und doch jeder eigenständig. Das ist der organisatorische Imperativ. Das Interview führte Stefan Kroneck.