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Grüne Deals und andere Etikettenschwindel

Börsen-Zeitung, 14.12.2019 Die EU-Regierungschefs hätten sich nach langem Ringen auf das Ziel verständigt, bis zum Jahr 2050 auf dem Kontinent Klimaneutralität zu erreichen, vernahmen Europas Bürger am Freitag in den Morgennachrichten. Nur Polen...

Grüne Deals und andere Etikettenschwindel

Die EU-Regierungschefs hätten sich nach langem Ringen auf das Ziel verständigt, bis zum Jahr 2050 auf dem Kontinent Klimaneutralität zu erreichen, vernahmen Europas Bürger am Freitag in den Morgennachrichten. Nur Polen habe dem Kompromiss wegen der hohen Abhängigkeit von der Kohle noch nicht zugestimmt und Bedenkzeit für die Art der Umsetzung bis Mitte 2020 erhalten. Wer sich das Vereinbarte genauer ansieht, wird schnell feststellen, dass außer dem generellen Ziel der Klimaneutralität noch wenig konkret vereinbart wurde und schon der Zeitplan viele Ausnahmen enthält, vom anzustrebenden Energiemix oder der Finanzierung des Vorhabens ganz zu schweigen. Urselchens MondfahrtDeshalb wird sich Europas “Mann-auf-dem-Mond”-Moment, wie die neue EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ihren Green Deal anpries, bald als “Urselchens Mondfahrt” erweisen: zu schön, um wahr zu sein. Denn was auf dem Etikett des Green Deals nicht vermerkt ist und den EU-Bürgern erst nach und nach präsentiert werden dürfte, ist der Preis dafür. Klimaschutz gibt es nicht umsonst. Klimaauflagen wie auch deren finanzielle Abgeltung durch CO2-Steuern oder Emissionszertifikate werden die Produktion verteuern und damit die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Produkte in der Welt verschlechtern, umgekehrt Importe preislich besserstellen. CO2-intensiven Branchen droht damit auf dem europäischen Kontinent das Aus. Deshalb arbeitet man in Brüssel schon am nächsten Etikett, das dem Green Deal umgehängt werden soll. Darauf steht: CO2-Grenzausgleichssystem. Mit einer solchen an den EU-Grenzen zu erhebenden Steuer glaubt man, die nachteilige Veränderung der Terms of Trade neutralisieren zu können. Die Handelspartner der EU und nicht zuletzt die Handelsorganisation WTO werden dieses Etikett anders verstehen, nämlich als Strafzoll für Nicht-EU-Ware.Wie viel Etikettenschwindel werden Europas Handelspartner akzeptieren? Dass auch ein zunehmender Teil der EU-Bürger immer weniger gewillt ist, die Brüsseler Bevormundungen zu akzeptieren, haben die Bewohner der britischen Insel soeben zu Protokoll gegeben. Mit der Wahl Boris Johnsons haben die Briten unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass sie sich nicht länger europäischen Kompromissen unterwerfen, sondern wieder ganz ihr eigener Herr sein wollen. Mag sein, dass die Briten mit der Entscheidung für den Brexit einem anderen Etikettenschwindel aufgesessen sind. Aber wer die Tories gewählt hat, wusste, dass er sich damit für Boris Johnson und den Brexit entscheidet. Der Wähler der Europawahl konnte weder ahnen, dass von der Leyen Kommissionspräsidentin werden würde, noch, dass zwei Wochen nach Amtsantritt der grüne Umbau Europas verkündet würde.Es wird niemand bestreiten, dass die Bekämpfung des Treibhauseffekts und damit die Senkung des CO2-Ausstoßes erstens notwendig und zweitens nicht im nationalen Alleingang zu erreichen ist. Insofern ist Politik zum Klimaschutz bei der EU richtig angesiedelt. Da viele politische Ziele aber zueinander im Konflikt stehen, und sei es nur bei der Zuweisung von finanziellen Mitteln, müssen die Bürger selbst über die Prioritäten entscheiden und die Wege zum Ziel wählen können. Konkret: Es gibt unzählige Ansatzpunkte zur CO2-Einsparung: vom Autoverkehr über die Stromproduktion bis zur Gebäudedämmung. Hierfür einen Masterplan aufstellen zu wollen – und von der Leyens Grüner Deal mit einem 50 Punkte umfassenden Fahrplan erinnert daran – wäre der Marsch in eine Zentralverwaltungswirtschaft. Unter dem Etikett des Grünen Deals treibt die EU-Kommission ihre europäische Industriestrategie voran, mit Subventionen (zum Beispiel für Batterieproduktionen), mit Vorgaben für Produkteigenschaften und Eingriffen in energieintensive Branchen. Ginge es Brüssel nicht um eine europäische Industriestrategie, sondern tatsächlich nur um das Klimaziel, könnte sich die Kommission auf bewährte marktwirtschaftliche Instrumente wie den Emissionshandel beschränken. Aktionäre werden abkassiertLeider muss Europa auch für manchen Etikettenschwindel herhalten, der gar nichts mit Europa zu tun hat, sondern im Grunde ein nationales, ja ein parteipolitisches Anliegen ist. Wie bei der europäischen Finanztransaktionssteuer, die Deutschlands Finanzminister Olaf Scholz Anfang der Woche vorgestellt hat. Zum einen beschränkt sich das “europäisch” auf zehn Länder und damit eine EU-Minderheit, zum anderen geht es nur um einen kleinen Teil der Finanztransaktionen, nämlich Aktienkäufe von börsennotierten Unternehmen mit einer Marktkapitalisierung von mehr als 1 Mrd. Euro. Hier besteht der Etikettenschwindel darin, dass es längst nicht mehr um das ursprüngliche Ziel geht, die Verursacher der Finanzkrise zur Kasse zu bitten und durch Eindämmung der Spekulation mit Derivaten einen die Finanzmärkte stabilisierenden Effekt zu erreichen. Scholz geht es nur noch um den fiskalischen Effekt von erhofften 1,5 Mrd. Euro zur Finanzierung der von seiner Partei gewünschten Grundrente. Und da eine Besteuerung von Derivaten, des Hochfrequenzhandels und anderer Finanztransaktionen mit sehr hohem Erhebungsaufwand verbunden wäre, hat sich das Bundesfinanzministerium für den einfachsten Weg entschieden, die Aktiensteuer.Dass die Bundesregierung damit andere politische Ziele verrät, wie die Entwicklung der Aktienkultur als Instrument der Unternehmensfinanzierung, die Förderung des Aktiensparens zur ergänzenden privaten Altersvorsorge oder das Vorhaben einer europäischen Kapitalmarktunion mit EU-weit einheitlichen Regeln, ist eine weitere Facette dieses Etikettenschwindels. Wer die Bürger im Namen Europas so an der Nase herumführt, wie derzeit von den politisch Verantwortlichen in Berlin und Brüssel vorexerziert, sollte sich nicht wundern, wenn die Entfremdung voranschreitet. Wohin das führt, konnte man am Freitag ebenfalls in den Morgennachrichten hören. Großbritannien lässt grüßen. – c.doering@boersen-zeitung.de——-Von Claus DöringHinter dem Grünen Deal der EU-Kommissionspräsidentin verbergen sich europäische Industriestrategie und Lenkung durch Brüssel. ——