Corporate Banking

Im Geschäft mit Zinsprodukten klingelt die Kasse

Im Geschäft der großen Corporate-Banken Deutsche Bank und J.P. Morgan mit Zinsprodukten klingelt derzeit mächtig die Kasse. Versicherer, Pensionsfonds, aber auch Kreditinstitute gieren nach Instrumenten, um sich angesichts von Zinswende und Inflation abzusichern, wie Verantwortliche berichten.

Im Geschäft mit Zinsprodukten klingelt die Kasse

Von Bernd Neubacher, Frankfurt

Zinswende und Inflationssorgen bescheren den großen Corporate-Banken derzeit rege Aktivitäten im Geschäft mit Zinsprodukten. Darauf lassen Einschätzungen aus der Deutschen Bank sowie von J.P. Morgan schließen. Die beiden Häuser zählen neben Goldman Sachs zu den Dickschiffen im europäischen Rates-Geschäft. Zum einen versucht die institutionelle Kundschaft momentan, sich tunlichst gegen überraschend schnell steigende Zinssätze abzusichern. Zudem scheinen die Aussichten sowohl makroökonomisch als geopolitisch momentan so unsicher wie selten zuvor. Über mangelnde Nachfrage können sich die Banker schon seit längerem nicht beklagen. Schon Ende April hatte die Deutsche Bank einen 15-prozentigen Ertragssprung im Geschäft mit festverzinslichen Wertpapieren und Währungen unter anderem mit einem starken Wachstum im Handel mit Zinsprodukten erklärt. Dieser Trend setzt sich offenbar fort. „Der Markt entwickelt sich schneller, als viele Marktteilnehmer nachsteuern können“, sagt Ersen Ustaoglu, Co-Head Macro Sales in Europa, dem Nahen Osten und Afrika, der Börsen-Zeitung.

„Wir haben einen deutlichen Anstieg der Nachfrage nach Hedges zum Liability Management regis­triert“, ergänzt Johannes Banner, Country Head für den Vertrieb in Deutschland und Österreich bei J.P. Morgan. „Kunden wollen ihren Zinsaufwand steuern. Und einige hat das Tempo des Zinsanstiegs überrascht.“ Ustaoglu: „Die Geldpolitik wurde gelockert, um die Schwankungen herauszunehmen. Jetzt passiert das Gegenteil. Das hat Kaskadeneffekte.“

Suche nach der Balance

Zugleich herrscht unter den Marktteilnehmern seinen Angaben zufolge Unklarheit darüber, wie der Markt nach Jahren quantitativer Lockerung zu einem neuen Gleichgewicht finden kann. Wer springt als Käufer ein, wenn die EZB Ende Juni ihre Anleihekäufe stoppt? „Vor allem für Versicherer steht des Tempo des Zinsanstiegs im Fokus“, sagt Mat­thieu Wiltz, Head of Markets Investor Services Sales for Continental Europe und Global Co-Head of Credit, SPG and Public Finance Cross Assets, Institutional Clients, Corporates Retail bei J.P. Morgan, der Börsen-Zeitung: „Dabei geht es vor allem um die Frage, wie sich risikoreiche Anlagen schlagen werden, wenn die quantitative Lockerung der Notenbank enden wird.“

Von der Verunsicherung zeugten Geld-Brief-Spannen im Staatsanleihesegment, die sich in gewissen Segmenten um den Faktor drei oder vier ausgeweitet hätten, sagt der Deutsche-Bank-Manager. Dabei wird wieder stärker nach Schuldentragfähigkeit differenziert. So ist die Rendite zehnjähriger Staatsanleihen Italiens binnen Jahresfrist von 77 Basispunkten auf 4,1% in die Höhe geschossen, während jene der zehnjährigen Bundesanleihe von minus 21 Basispunkten auf 1,6% geklettert ist.

Die Neubewertung führt auf breiter Front dazu, dass der Bedarf an Sicherheiten im Derivategeschäft sprunghaft zugenommen hat, wie Ustaoglu berichtet: „Durch die Veränderung des Zinsniveaus und der Volatilitäten steigen die Anforderungen an Sicherheiten, nicht nur für komplexe außerbörsliche Geschäfte, sondern auch für einfache Derivate. Die Auswirkungen sind schwer abzusehen. In jedem Fall wird ein effizientes Sicherheitenmanagement immer wichtiger.“ Wurde früher nur Cash akzeptiert, würden künftig vielleicht auch Unternehmensanleihen bei entsprechend höheren Sicherheitsabschlägen in Frage kommen.

Illiquiditätsprämien ziehen an

Zugleich ziehen die Prämien für Illiquidität an. So hat sich der vielfach als entsprechender Gradmesser angesehene Abstand zwischen Anleihen des Bundes und illiquideren Schuldverschreibungen der KfW bereits auf knapp das Doppelte ausgeweitet. Denn kehrt sich der jahrelange Trend weg vom risikolosen Zins und hin zum zinslosen Risiko nun um, drängt sich unweigerlich die Frage auf, was dies für illiquide Assets bedeutet. Viele Investoren haben sich schließlich nur deshalb in solche Anlageklassen geflüchtet, weil die EZB mit ihren Anleihekäufen sie aus den liquiden Märkten herausgedrängt hat. Manch ein Beobachter sieht denn auch erhebliches Abwertungspotenzial bei Private-Equity-Anlagen der Assekuranz. Ustaoglu relativiert das Risiko entsprechender Notverkäufe: „Versicherer können Phasen von Illiquidität in der Regel über eine gewisse Zeit aushalten.“ Der Aufbau entsprechender Portfolios beruhe dort auf einem strategischen Entschluss. „Es ist den Versicherern aber klar, dass sich das Wachstum aus der vergangenen Dekade nicht fortsetzen wird“, sagt er. Die Investoren wüssten, dass der Zyklus seinen Höhepunkt überschritten habe und es künftig schwieriger werde. Wenn Geld wieder etwas koste, werde sich die Spreu vom Weizen trennen.

Was der Manager allerdings sehr wohl registriert, sind Versicherer, die angesichts des Zinsanstiegs und der damit verbundenen Volatilität die Steuerung ihrer Ergebnisrechnung umtreibt, vor allem wenn sie nach IFRS bilanzieren. Kursverluste bei Festverzinslichen haben etwa dem Finanzdienstleiter W&W im Startquartal bereits hohe Belastungen aus der Fair-Value-Bilanzierung und einen mächtigen negativen Swing im Sonstigen Ergebnis beschert. In Anbetracht entsprechender Wertverluste bei ihrer Versicherungstochter R+V hat jüngst auch die DZ Bank ihre Prognose fürs Gesamtjahr heruntergeschraubt. Auch wenn sich die Assekuranz in der Wiederanlage über eine höhere Rendite freuen kann – zunächst eliminiert der rasche Zinsanstieg viele stille Reserven. Zahlreiche Anleihen, die sich Versicherer oder Banken in den vergangenen drei Jahren ins Buch legten, handeln derzeit unter pari. Auch Pensionsfonds sind aktiv geworden: „Große Pensionsfonds zum Beispiel sind damit konfrontiert, dass der Zinsanstieg den Kapitalwert ihrer Verbindlichkeiten fürs Erste reduziert“, sagt J.P.-Morgan-Manager Banner. „Der Wert ihrer Fixed-In­come-Assets ist jedoch aufgrund der kürzeren Duration nicht im gleichen Umfang gefallen, so dass der Zinsanstieg in Summe zumeist einen positiven Effekt auf den Deckungsgrad hatte. Dieser Effekt wird nun durch Zinshedges gesichert.“ Das geschieht mitunter im großen Stil, haben manche Pensionsfonds doch Verbindlichkeiten, die sich schon einmal auf weit über 30 Mrd. Euro summieren können. Zudem regen sich vermehrt Exporteure. Banner: „Die Stärke des Dollar gegenüber dem Euro hat es für EU-Kunden zuletzt zudem attraktiv erscheinen lassen, sich erwartete Dollar-Einkünfte zu sichern. Daher haben wir auch einen deutlichen Anstieg des Hedging-Flows bei Exporteuren gesehen.“ Nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine war man bei J.P. Morgan auch damit beschäftigt, deutschen Unternehmen die Vergütung ihrer in Russland tätigen Beschäftigten in Rubel zu ermöglichen, was Banner zufolge in Anbetracht des Sanktionsregimes auch mit Blick auf Korrespondenzbanken nicht trivial gewesen ist.

Viele Diskussionen

Nicht zuletzt treibt der Anstieg der Zinsen auch Finanzinstitute um, deren Immobilienfinanzierung zu­letzt nochmals einen Schub erfuhr, da Kunden sich niedrige Bauzinsen sichern wollten. Der Bedarf der Häuser, sich mit Swaps gegen einen Zinsanstieg abzusichern, habe die Differenz zwischen der Swap- und der Bundkurve auf ein Niveau getrieben, das aus historischer Perspektive auf extremen Stress im System hindeute, momentan indes mit einem temporären Nachfrageüberhang im Swap-Markt zu erklären sei, heißt es im Markt. Hand in Hand mit den Sorgen um die Entwicklung der Zinsen geht die Angst vor der Inflation. „Inflationsabsicherungen sind für die Kunden sehr relevant“, sagt Ustaoglu und weist dabei auf Schwächen traditioneller Absicherungsstrategien gegen die Teuerung hin. Inflationsgeschützte Anleihen etwa brächten Investoren infolge einer oft langen Duration Verluste, führt er aus. Anlagen in Immobilien wiederum lägen derweil zwar als Absicherung nahe; allerdings korrelierten die dazu eingesetzten Real Estate Investment Trusts (Reits) vielfach mit dem Aktienmarkt, der sich im momentanen Umfeld zuletzt schwach gezeigt habe. „Idealerweise nehmen Stra­tegien zur Inflationsabsicherung Bezug auf Rohstoffe, Inflationsderivate und Nominalzinsen, optimiert im Portfoliokontext“, erklärt er. „Derzeit haben wir viele Diskussionen mit Kunden, die sich mit Absicherungen befassen, die auch skalierbar sind.“ Damit spricht vorerst rein gar nichts dafür, dass der Boom im Zinsgeschäft rasch abebben wird.

Was die Kapitalanlage angeht, prognostiziert der Manager, dass generell klassische, liquide Assets an Bedeutung gewinnen werden. Der Aufschwung der ETFs habe auch damit zu tun gehabt, dass eine stark wachsende Geldmenge alle Assets habe performen lassen. „Aktives Management, auch im Multi-Asset-Kontext, wird wieder wichtiger“, sagt Ustaoglu. Es werde Gewinner und Verlierer geben, prognostiziert er auch in Erwartung sich verkürzender Konjunkturzyklen. Dem pflichtet J.P.-Morgan-Manager Wiltz bei: „Die Generierung von Alpha wird ein Comeback erleben.“

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