Immobilienaktien rücken in ein größeres Blickfeld

Erstmalige Aufnahme eines Immobilienunternehmens in den Dax wirkt positiv für die Assetklasse - Langfristiger Anlagehorizont gefragt

Immobilienaktien rücken in ein größeres Blickfeld

“Wir sind Dax!” – so hätte die Schlagzeile einer immobilienwirtschaftlichen Boulevard-Zeitung am 21. September 2015 lauten können. An diesem Tag stieg nämlich mit der Vonovia das erste Immobilienunternehmen Deutschlands in den Dax 30 auf.Möglich wurde dieses immobile Spätsommermärchen der Vonovia durch die konsequente Umsetzung eines Wachstumskurses mittels Akquisition. Die Übernahme der Immobilienportfolien der Gagfah sowie der Südewo war für die vormalige Deutsche Annington gleichbedeutend einem Anstieg ihres Wohnungsgesamtbestands auf bundesweit über 350 000 Einheiten. Eine auch bilanziell relevante Größe, mit der das gelistete Unternehmen die Aufnahmekriterien für den Leitindex erfüllte. Kapitalmarkt als GeldquelleFür die öffentliche Wahrnehmung einer Branche, die rund 19 % der gesamtwirtschaftlichen Bruttowertschöpfung in Deutschland trägt, kann dies nur förderlich sein. Und gerechtfertigt ist es allemal. Doch handelt es sich dabei nun um eine Börsenstory, oder ist es eine immobilienwirtschaftliche Geschichte, die die Vonovia erzählt? Ganz gleich. Die Chancen und Risiken von Immobilien-basierten Kapitalmarktprodukten rücken in beiden Fällen in ein größeres Blickfeld.Immobilienunternehmen bedienen sich seit langem der Kapitalbeschaffung über Aktienausgaben oder Anleiheemissionen. Unabhängig von der ansonsten (hypotheken-)banklastigen Mittelbeschaffung der Immobilienbranche erschließen sich Emittenten damit den Kapitalmarkt als Geldquelle. Der Markt ist reguliert, da die Zulassung von Emissionsprospekten durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) reglementiert ist. Eine Aktien- oder Bond-Emission verschafft den potenziellen Investoren eine detaillierte Einsicht in die wirtschaftliche Entwicklung des handelnden Unternehmens.Die Informationen sollen jedem Geldgeber die Prüfung ermöglichen, ob und inwieweit ein Zahlungspflichtiger in der Lage ist, seinen Verpflichtungen aus Zinszahlungen auf Anleihen beziehungsweise in Aussicht gestellte Dividendenzahlungen nachkommen zu können. Anders als beim Aktieninhaber spielt für den Anleihezeichner zudem eine Rolle, mit welcher Sicherheit der Emittent am Ende der Laufzeit seine Anleiheschulden zu 100 % tilgen kann.Dabei bilden Ertragskraft und Substanzwert des jeweiligen Unternehmens die Kernkriterien der Bemessung von Chancen und Risiken einer Investition in das jeweilige Kapitalmarktprodukt. Hier kann die Immobilienwirtschaft eindeutig punkten. Die implizite Langfristigkeit des immobilienwirtschaftlichen Geschäftsmodells ist die Basis für eine hohe Eintrittswahrscheinlichkeit von künftigen Einnahmeströmen bei zugleich gut definierter Bemessung der Vermögenswerte, die zur Erzielung der Einkünfte genutzt werden. Die Bewertung von Grundstücken und Gebäuden einer Immobilienbilanz durch unabhängige Sachverständige verläuft anhand eines international standardisierten Verfahrens. Definition nach Red BookHier dient insbesondere die Definition nach dem Red Book der Royal Institution of Chartered Surveyors (RICS) als Maßstab. Flächengröße, Gebäudezustand und die Preissituation umliegender Konkurrenzobjekte sind eindeutig messbar. Eine Immobilie ist nun einmal nicht nur dem Begriff nach fest an ihren Standort gebunden. Im Vergleich zur Wertmessung von industriellen Patenten, internationalen Markenwerten und Produktionsverfahren in der Unternehmensbewertung anderer Dax-Unternehmen ist dies eine vergleichbar leicht zu bewältigende Aufgabe.Doch kann auch diese Position zum Bestandteil einer kritischen Diskussion werden, wie das Beispiel Deutsche Telekom im Jahr 2001 zeigte. Der Vorstand musste im Rahmen einer Neubewertung aller über 11 000 Unternehmensimmobilien eine Wertkorrektur von rund 2,5 Mrd. Euro (damals rund 4,9 Mrd. DM) abschließen, um die in der Eröffnungsbilanz 1995 ermittelten Werte final nach unten zu korrigieren. Transparent und vergleichbarZur Förderung der Markttransparenz und Vergleichbarkeit haben sich die europäischen börsengelisteten Unternehmen zu einem Verband zusammengeschlossen. Unter dem Dach der European Public Real Estate Association (EPRA) vereinheitlichen die Unternehmen ihre Berichtsstandards. Der Net Asset Value (NAV) ist eine der Kennzahlen, die zur Beurteilung eines börsennotierten Unternehmens im Vergleich zu seinem Aktienkurs eine entscheidende Rolle spielt. Der Nettovermögenswert eines Immobilienunternehmens ermittelt sich dabei durch Abzug der Schulden von allen Vermögenswerten und entspricht damit nahezu der Eigenkapitalposition des Unternehmens. Unter den Regeln der EPRA wird diese Position noch um die Marktwerte derivativer Instrumente sowie die Position der latenten Steuern korrigiert. Teilt man diese Summe durch die Anzahl der ausgegebenen Aktien, dann erhält man den Wert der Aktie als Substanzwert aller Vermögens- und Schuldenpositionen unter Weiterführungsprämisse (Going Concern).Die Wirkung und Bedeutung dieser Kennzahl in der Praxis lässt sich am Beispiel der Vonovia-Aktie gut demonstrieren. Die Bilanz von Vonovia zeigt einen EPRA NAV je Aktie von 27,17 Euro per Ende drittes Quartal 2015. Der Aktienkurs am 30. September 2015 betrug zum Schlusskurs 28,75 Euro je Aktie. Analysten sprechen hier von einem Aufschlag oder Premium auf den NAV pro Aktie, im konkreten Fall von rund 5,8 %. In der Regel spiegelt dies die Erwartung von Anlegern wider, dass es der Unternehmensleitung in der Zukunft gelingen wird, den Substanzwert des Unternehmens und damit den Wert je Aktie zu steigern. Diese Zukunftserwartung war im September 2015 pressewirksam unterlegt durch die Ankündigung von Vonovia, durch weitere Übernahmen wachsen zu wollen. Der Leitindex Dax stand zu jenem Zeitpunkt 30. September 2015 bei einem Schlusskurs von 9 660,44 Punkten.Die Chancen und Risiken der Investition in eine Immobilienaktie lassen sich nun im weiteren Zeitverlauf recht gut aufzeigen. Der Jahresstart 2016 verlief an den gesamten deutschen Aktienbörsen recht turbulent. Der Leitindex Dax verlor im Zeitraum 4. bis 11. Januar 2016 rund 7,3 % von 10 283,44 auf 9 545,27 Punkte. Für Vonovia ergab sich im gleichen Wochenzeitraum ausgehend von einem Schlusskurs von 27,61 Euro am 4. Januar eine Entwicklung auf 25,41 Euro am 11. Januar 2016, mithin ein Minus von 8,0 %.Vergleicht man diese Dynamik mit den Bilanzzahlen des Unternehmens, so ist festzustellen, dass der NAV pro Aktie im gleichen Zeitraum keineswegs um die gleichen 8,0 % gefallen sein kann. Weder haben sich die Substanzwerte noch die Ertragswerte des Unternehmens im betreffenden Wochenverlauf so signifikant verändert, dass sich der Aktienkurs von 25,41, gleichbedeutend einem Abschlag oder Discount von 6,5 % gegenüber dem zuletzt berichteten NAV von 27,17 Euro, aus Bilanzsicht erklären ließe. Naheliegend ist vielmehr, dass die Aktie in den Gesamtsog der wirtschaftlichen Unsicherheiten zu Jahresbeginn 2016 (unter anderem Ölpreisverfall, Flüchtlingsdebatte, Isis-Auseinandersetzung, Einbrechen der chinesischen Wirtschaft) geraten ist. Erfolgreiche SymbioseBörsennotierte Immobilienunternehmen befinden sich also im Spagat zwischen dem bilanziellen Abbild langfristiger Unternehmensentwicklung und der Wirkung kurzfristiger Angebots- und Nachfrageschwankungen der Anlageklasse Aktien. Eine Aussage, wohin das Pendel zwischen den beiden Wirkungsweisen dauerhaft ausschlägt, lässt sich nicht abschließend treffen. Gleichwohl zeigen langfristige Auswertungen die positive Wirkung einer Aktienanlage für Investoren mit langfristigem Anlagehorizont. Diese übereinstimmende Eigenschaft zum Lebenszyklus einer Immobilie kann der Ausgangspunkt einer erfolgreichen Symbiose sein. Die erstmalige Aufnahme eines Immobilienunternehmens in den Deutschen Aktienindex ist daher beides, eine immobilienwirtschaftliche wie auch eine börsenbezogene Geschichte. Beiden gemeinsam ist die positive Wirkung für die Assetklasse Immobilie, mit der jeder Mensch auf eigene Weise verbunden ist. Sei es als Mieter, Eigentümer, Händler, privat oder beruflich oder als Aktieninvestor.—Markus Kreuter, Teamleiter Debt Advisory Deutschland bei Jones Lang LaSalle