Immobilienfinanzierungen im Fokus der Bankenaufsicht
Die Immobilienmarktentwicklung in Deutschland lässt sich durch zwei gegenläufige Einflussfaktoren charakterisieren: Einerseits profitieren die Märkte im Niedrigzinsumfeld auf breiter Front von steigenden Mieten aufgrund fehlender Mietflächen, andererseits stellen die sich eintrübenden Konjunkturaussichten einen nicht zu unterschätzenden Belastungseffekt dar. Auf europäischer Ebene hat der bei der Europäischen Zentralbank (EZB) angesiedelte EU-Systemrisiko-Rat (ESRB) jüngst darauf hingewiesen, dass sich Transaktionsvolumina und Preise an den europäischen Märkten für gewerbliche Immobilienfinanzierungen nahezu schon wieder auf dem Niveau von 2007 befinden. Mit Blick auf die Finanzierung von Immobilientrans-aktionen kommt dabei den sogenannten “Non-Bank”-Finanzinstituten (wie zum Beispiel Versicherungen und Kreditfonds) eine gestiegene Bedeutung zu, da ihr Markteintritt zu einer Erhöhung des Vernetzungs-grades zwischen den Marktteilnehmern und damit zu einem Anstieg systematischer Risiken führt. Gestiegene RisikenEs verwundert daher nicht, dass die mit diesen Marktentwicklungen einhergehenden Risiken und Überhitzungstendenzen im besonderen Fokus der Bankenaufsicht stehen. EZB und Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) haben bereits angekündigt, in den nächsten zwei Jahren das gewerbliche Immobilienkreditgeschäft umfassend zu durchleuchten. Während die deutsche Aufsicht in einem ersten Schritt bereits große Datenmengen zum Immobilienkreditgeschäft von den Instituten angefordert hat und diese aktuell auswertet, sind darüber hinaus für 2020 zu diesem Themenkomplex auch umfangreiche Vor-Ort-Prüfungen geplant.Dabei ist zu erwarten, dass neben Prüfungen einzelner Kreditengagements sowie Werthaltigkeitsanalysen auf Portfolioebene vor allem auch untersucht werden wird, ob in den Instituten risikoadäquate und aufsichtskonforme Standards für Kreditprozesse etabliert sind. In diesem Zusammenhang kommt dem im Juni 2019 von der Europäischen Bankenaufsicht (EBA) vorgelegten Entwurfspapier “Guidelines on loan origination and monitoring” eine besondere Bedeutung zu, da diese Leitlinien bereits ab Juli 2020 für alle Kreditinstitute gelten sollen und insofern den Anforderungskatalog für diese geplanten Prüfungshandlungen prägen werden. EBA-EntwurfsleitlinienBereits bei einem rudimentären Vergleich zwischen diesem Entwurfspapier und den aktuell gültigen Mindestanforderungen an das Risikomanagement (MaRisk) fällt auf, dass die EBA-Leitlinien einen signifikant höheren Umfang aufweisen, wobei folgende prozessorganisatorische Themenfelder adressiert werden: Governance, Kreditvergabeprozess, Pricing, Sicherheitenbewertung und Überwachung. Ergänzend hierzu sind in drei Anhängen detaillierte Mindestanforderungen formuliert, und zwar zu Entscheidungskriterien, die im Rahmen der Kreditvergabe heranzuziehen sind (Annex 1), zu Art und Umfang einzuholender Informationen (Annex 2) sowie zu Risikokennziffern, die bei Kreditvergabe und Überwachung zu berücksichtigen sind (Annex 3).Innerhalb dieser Anhänge erfolgt jeweils wiederum eine Unterscheidung nach Firmenkunden, Immobilienfinanzierungen, Projektfinanzierungen und Schiffsfinanzierungen. Es wird daher erforderlich sein, die jeweiligen bankinternen Kreditstan-dards daraufhin zu überprüfen, ob sie bereits heute schon den von der EBA geforderten Mindestanforderungen im Detail genügen. Rating-/ScoringmodelleIm Rahmen dieser Analyse kommt den von allen Instituten eingesetzten Rating-/Scoringmodellen eine doppelte Bedeutung zu: Zum einen muss geprüft werden, ob die vorhandenen Modelle auch tatsächlich in allen in der Entwurfsrichtlinie aufgelisteten Teilprozessen sachgerecht eingesetzt werden. Zum anderen ist sicherzustellen, dass sich die von der EBA geforderten prozessualen Mindestanforderungen zu den o. a. Bereichen “Entscheidungskriterien”, “Informationen” und “Risikokennziffern” auch in den jeweils verwendeten Rating-/Scoringmodellen widerspiegeln, und zwar sowohl im Rahmen der Entwicklungs- und Validierungsdaten als auch im jeweiligen Modelldesign. Weitere Unterlagen nötigFür die gewerbliche Immobilienfinanzierung bedeutet dies insbesondere, dass das verwendete Modell nicht nur auf die Sphäre des Kreditnehmers abstellen darf. Vielmehr sind neben diesen “Unternehmensinformationen” für die konkret zu finanzierende Maßnahme regelmäßig auch weitergehende Unterlagen einzuholen (“Objektinformationen”), um – wie zum Beispiel in Annex 3 der Entwurfsrichtlinie gefordert – eine Berechnung von LTV (Loan-to-Value) und DSCR (Debt Service Coverage Ratio) durchführen zu können, welche dann als Risikokennziffern in das Ratingmodell einfließen müssen. Daneben spielen bei Finanzierungen von Projektentwicklungen weitere Faktoren eine wichtige Rolle, wie zum Beispiel Informationen über den Bauten- und Vermarktungsstand, die ebenfalls im Modell zu berücksichtigen sind.Auch wenn sicherlich abzuwarten bleibt, welche Anpassungen noch gegenüber dem Entwurfspapier bis zur Verabschiedung der finalen Richtlinie vorgenommen werden, ist mit einer deutlichen Konkretisierung der aufsichtsrechtlichen Anforderungen an Kreditprozesse zu rechnen. Alle Finanzinstitute sind daher gut beraten, die von ihnen eingesetzten Rating- und Scoringmodelle nicht nur im üblichen Validierungsturnus auf Risikoadäquanz hin zu überprüfen, sondern sich zeitnah auch mit der Frage auseinanderzusetzen, ob die sich abzeichnenden Detailanforderungen der neuen Richtlinie auch in den Modellen angemessen berücksichtigt werden. Aufgrund der Vielfalt möglicher Finanzierungsanlässe im Bereich der gewerblichen Immobilienfinanzierung stellt dies für Modellentwicklung und -pflege eine besondere Herausforderung dar. Christoph Müller-Masiá, Geschäftsführer der CredaRate Solutions GmbH, Köln