„Wir sind der führende Börsen-Retailwert in Deutschland“
Herr Bäte und Frau Coste-Lepoutre, warum erhöht die Allianz die Dividenden-Ausschüttungsquote?
Oliver Bäte: Der Aktienkurs der Allianz hat sich so stark erholt, dass aus Renditegesichtspunkten die Ausschüttung über eine Dividende zunehmend dem Aktienrückkauf vorzuziehen ist. Außerdem präferieren unsere Investoren mittlerweile vorhersehbare Maßnahmen im Kapitalmanagement. Die Aktionäre wollen ihre Dividende planen können.
Warum orientieren die Anleger sich um?
Bäte: Die Aktionärsstruktur hat sich verändert. Wir sind der führende Börsen-Retailwert in Deutschland, denn die Allianz gehört zu den Unternehmen mit der höchsten Zahl an Privatinvestoren. Außerdem sind mehr als 70% unserer Arbeitnehmer Aktionäre der Allianz. Im Jahr 2015 waren es nur 15%.
Spiegelbildlich nimmt also das Interesse institutioneller Anleger ab?
Bäte: Es hat sich eher die Handelsstruktur an der Börse geändert. Immer mehr Anlagen stecken in passiv gemanagten Fonds. Vor allem aber sind Hedgefonds stark engagiert, die zwischen Short- und Long-Positionen wechseln. Dies führt zu höherer Volatilität. Aktienrückkäufe sind in diesem Umfeld nicht hilfreich, weil sie zu höheren Kapitalkosten führen.
Dann wäre es ja logisch gewesen, die Programme zum Aktienrückkauf grundsätzlich zu streichen.
Bäte: Wir gehen sehr sorgfältig mit dem Kapital unserer Aktionäre um. Daher wollen wir jene überschüssigen Mittel, die wir nicht für Akquisitionen oder organisches Wachstum benötigen, flexibel mit einem Rückkauf zurückgeben. Wir werden uns aber, im Übrigen anders als ein Teil unserer Wettbewerber, M&A-Optionen genau anschauen.
Warum hat man eine Quote von 60% gewählt?
Claire-Marie Coste-Lepoutre: Damit steigt die Dividende um gut 20% im Vergleich zum bisherigen Kupon, dies ist also sehr attraktiv für die Anleger. Wie erwähnt wollen wir uns zudem die Flexibilität erhalten, in der Zukunft Akquisitionen zu tätigen.
Bäte: Letztlich gilt: Wir können uns 60% leisten, und zwar aus zwei Gründen. Erstens haben die Sparten in den vergangenen Jahren immer mehr Cash an die Holding abgeführt. Zweitens brauchen wir seit dem vergangenen Jahr in der Lebensversicherung für unser Neugeschäft in Summe kein Kapital mehr, denn seine Profitabilität hat sich stark erhöht. Das hat noch fast keiner verstanden.
Zur Prognose: Wären Sie exakt in der Systematik der vergangenen Jahre geblieben, hätten Sie einen Mittelwert 2024 von 14,7 statt 14,8 Mrd. Euro für das operative Ergebnis anpeilen müssen.
Coste-Lepoutre: Das operative Ergebnis 2023 beträgt ja 14,746 Mrd. Euro. Wir haben uns daher die Freiheit genommen, die Prognose nach oben aufzurunden. Dies signalisiert auch unseren Optimismus für das laufende Jahr.
Woher kommt nach Ihrer Einschätzung der zusätzliche Schwung beim operativen Ergebnis?
Bäte: Wir setzen stark auf das Assetmanagement mit der hervorragenden Performance von Pimco. Die Nettomittelzuflüsse waren im vergangenen Jahr – mit Ausnahme des Oktobers – wieder besser. Sie sind in den ersten Wochen 2024 sogar hervorragend. Wir wollen uns aber auch im Retail-Teil der Schaden- und Unfallsparte weiter verbessern.
Dort scheint es Nachholbedarf zu geben, denn die Profitabilität der Sparte wird stark vom Firmengeschäft getrieben.
Coste-Lepoutre: Die beiden Kundensegmente befinden sich in einem unterschiedlichen Stand des Zyklus. Sie haben angesichts ihrer Rahmenbedingungen im vergangenen Jahr ein jeweils sehr solides Ergebnis erwirtschaftet. Die Preiserhöhungen schlagen sich langsam in den Zahlen nieder, und dies wird sich vor allem im Jahr 2024 zeigen.
Ist das Problem Inflation damit gelöst?
Coste-Lepoutre: Noch ist unklar, wie sich die Inflation weiterentwickelt. Auf der Schadenseite arbeiten wir sehr aktiv daran, die Auswirkungen der allgemeinen Preiserhöhungen auf uns zu redu-
zieren.
Bäte: Letztlich wissen wir nicht, wie die Schadeninflation läuft. Wir hoffen, dass wir durch die Preis- und Schadenmaßnahmen in die Vorhand kommen. Ich glaube: Im deutschen und auch in anderen Märkten wird es noch zwei bis drei Jahre dauern, bis das Gleichgewicht wieder hergestellt ist. Ich glaube, wir sind hier signifikant vor der Kurve.
Wie kriegen Sie die Schadenbelastung im Retailgeschäft in den Griff?
Bäte: Ich kann mich nicht erinnern in meinen 16 Jahren bei der Allianz, dass wir sowohl in der kombinierten Schaden-und-Kosten-Quote als auch beim Wachstum besser waren als die HUK-Coburg – die, ich wiederhole mich da gerne, wirklich spitze ist. Im Jahr 2023 haben wir es geschafft.
Woher kommt der Erfolg?
Bäte: Wir haben unsere Vertragsgestaltung stark verbessert. Aber auch in der Schadenabwicklung sind wir vorangekommen, etwa über die Werkstattsteuerung, die ja die HUK-Coburg vor langer Zeit erfunden hat. Ein Beispiel: Im Kasko-Steuerungstarif sparen wir unseren Kundinnen und Kunden im Schnitt 1.000 Euro pro Schaden. Dies dämpft dann letztlich den Anstieg der Beiträge. Nun müssen wir noch einen besseren Job machen, die Kundinnen und Kunden davon zu überzeugen, in diese Steuerungstarife einzusteigen. In Deutschland sind wir übrigens erstmals Service-Leader.
Wie wirkt sich die US-Immobilienkrise auf die Allianz aus?
Coste-Lepoutre: Wir sind ein Langfrist-Investor. Das Engagement in US-Gewerbeimmobilien im Vergleich zu den Gesamtinvestitionen der Allianz beträgt nur 5% unseres Portfolios von 740 Mrd. Euro. Diese 5% werden vor allem von Pimco verwaltet, das Geld stammt vorrangig aus der Lebensversicherung.
Wo liegen die Investments in US-Gewerbeimmobilien genau?
Coste-Lepoutre: Auf der Equity-Seite haben wir keinen Stress, weil unsere Investments in den Innenstädten der beliebten US-Städte angesiedelt sind. Wir sehen auch Möglichkeiten für Zukäufe in dieser Marktphase.
Die Solvenzquote ist allerdings von 212% per Ende September auf 206% Ende Dezember gesunken.
Bäte: In der Solvenzrechnung können Sie sehen, dass wir die Marktwertveränderungen der Immobilien und anderer illiquider Assets durch unsere Bilanzen führen. Wir haben eben nichts zu verstecken. Dies sollen die Investoren nachvollziehen können.
Was ist vom Kapitalmarkttag im Dezember zu erwarten?
Bäte: Das Thema des Kapitalmarkttages wird insbesondere sein: Wie können wir intelligentes Wachstum in einer Welt hinkriegen, die sehr volatil ist? Schließlich bietet die Volatilität Wachstumschancen. Wir wollen unsere Stärke, die sich auch aus der verbesserten Produktivität speist, hierfür nutzen.
Die neue Führungsspitze der Allianz
Das neue Führungsduo der Allianz hat am Freitag erstmals gemeinsam die Bilanzpressekonferenz bestritten – im Online-Format. Vorstandsvorsitzender Oliver Bäte (58) schätzt die größere Reichweite bei den Journalisten. Auch Kostenüberlegungen dürften eine Rolle spielen, dass die Allianz seit einigen Jahren die Internet-Präsentation bevorzugt. Bäte und die Finanzvorständin Claire-Marie Coste-Lepoutre sind schon seit Jahren ein eingespieltes Team, obwohl die 48-Jährige erst seit Jahresanfang an der Spitze des Finanzressorts steht. Sie kennen sich unter anderem aus ihren Stationen als Finanzvorständin des Allianz-Industrieversicherers AGCS und als regionaler CFO für Allianz Benelux.
IM INTERVIEW: Oliver Bäte und Claire-Marie Coste-Lepoutre
„Wir sind der führende Börsen-Retailwert in Deutschland“
Vorstandsvorsitzender und Finanzchefin haben mit der veränderten Dividendenpolitik neben den Mitarbeitern auch die Privatinvestoren im Blick
Das Interview führte Michael Flämig.