Im Interview:Oliver Bäte und Claire-Marie Coste-Lepoutre

Allianz will Wachstumstriathlon starten

Die Allianz glänzt mit den Ergebnissen im zweiten Quartal. Vorstandsvorsitzender Oliver Bäte und Finanzvorständin Claire-Marie Coste-Lepoutre wollen jedoch den Versicherer noch größer machen. Im Interview verraten sie, wie das klappen soll.

Allianz will Wachstumstriathlon starten

IM INTERVIEW: Oliver Bäte und Claire-Marie Coste-Lepoutre

„Wir wollen einen Wachstumstriathlon starten“

Vorstandsvorsitzender und Finanzchefin identifizieren drei Hebel für weitere Expansion der Allianz – Plädoyer für Diversifikation von Unternehmen

Herr Bäte und Frau Coste-Lepoutre, ist die Allianz immun gegen die Krisen allerorten und Zeichen eines Wirtschaftsabschwungs?

Bäte: Eine sehr gute Frage. Die Antwort lautet erst einmal: Nein, sind wir nicht. Aber zu einer vollständigen Antwort gehört auch: Ich erinnere mich an viele Gespräche in den vergangenen Jahren, in denen wir über die Kraft und die Vorteile einer echten Diversifikation gesprochen haben.

Diese Vorteile zeigen sich nun?

Bäte: Genau. Sie sind klar im zweiten Quartal zu sehen, aber eigentlich sogar über die letzten 18 Monate. Während die Welt ein unruhiger Ort wird, ernten wir die Vorteile davon, ein global diversifiziertes Geschäft aufgebaut zu haben. Und übrigens hat Siemens heute ebenfalls starke Zahlen vorgelegt. Man sieht diesen positiven Effekt der Diversifizierung auch dort.

Das wird der Siemens-Vorstand gerne hören. Er wehrt sich dagegen, den Konzern weiter zu zerlegen.

Bäte: Siemens gehört zu den wenigen Konzernen, die wirklich in Technologie und Digitalisierung investieren. Nur dies bringt die Unternehmen dorthin, wo die Werte des heutigen Wirtschaftens liegen. Dies ist die zentrale Herausforderung, die wir alle haben: Widerstandsfähig bleiben, aber dennoch weiter in die Zukunft investieren.

Wie zeigt sich der Vorteil der Diversifizierung konkret bei der Allianz?

Bäte: Alle Sparten tragen dazu auch im zweiten Quartal bei. Es ist nicht nur die Sach- und Unfallversicherung, die in Deutschland hohe Belastungen aus den Überflutungen tragen musste. Wir sind einer der wenigen großen aktiven Vermögensverwalter. Die Zuflüsse sind erneut sehr hoch gewesen. Dies setzt sich übrigens im Juli fort. Unsere US-Gesellschaft Pimco meldet Nettozuflüsse von 11 Mrd. Euro. Es zeigt sich: Wenn man wirklich gut ist in dem, was man tut, kann man gewinnen. Aber man muss wirklich gut sein.

Sind Sie auch zufrieden mit dem Wachstum im ersten Halbjahr?

Bäte: Ja, das war sehr stark. Für uns war es insbesondere in der Sach- und Unfallversicherung sehr wichtig, die anhaltende Inflation auszugleichen. Es ist ein zentraler Punkt, der die Investoren bewegt: Sie wollen von uns wissen, ob die Schadeninflation immer noch stark ist.

Und?

Bäte: Leider ist sie immer noch viel höher als die Steigerung des öffentlichen Verbraucherpreisindexes. Insbesondere setzen die Autohersteller weiterhin die Preise für Ersatzteile herauf, in den Kfz-Werkstätten steigen die Stundenlöhne unverändert. Diese Erhöhungen führen zu mehr Schadenzahlungen der Versicherer. Dies ist nicht gut für den Verbraucher. Wir werden den Preiseffekt auch in Zukunft ausgleichen müssen.

Wie sieht es in der Lebensversicherung aus?

Bäte: Dort ist der Wettbewerb richtig hart, weil die Banken viel höhere Zinsen als früher anbieten können. Trotzdem haben wir in der Lebensversicherung eine sehr starke Erholung gesehen, und dies setzt sich jetzt fort, da wir unser Produktportfolio angepasst haben. Es ist wirklich bemerkenswert, dass unsere drei Sparten allesamt in einem solchen Umfeld so gut abschneiden.

Der Schwung in der Schaden- und Unfallversicherung kommt allerdings primär von Preiserhöhungen: Sie steigen im zweiten Quartal um 7,2%, das Volumen erhöht sich nur um 2,9%.

Coste-Lepoutre: Die Fähigkeit in den Kernmärkten, die Beiträge an die Inflationsentwicklung anzupassen, zeigt die Qualität unserer Produkte. Die Zufriedenheit bleibt hoch, denn wir ziehen ja weiterhin neue Kunden an. Für mich ist wichtig: Wir wachsen definitiv dort, wo wir wachsen wollen.

Claire-Marie Coste-Lepoutre

Die Konkurrenz hat ja ebenfalls die Preise erhöht.

Coste-Lepoutre: Das ist richtig. Aber es gibt einige Märkte, und Deutschland gehört dazu, wo wir die Entwicklung sehr gut vorausgesehen haben und die Ersten waren, die Preise angehoben haben, aber auf eine nuanciertere Weise. Insgesamt bin ich sehr zufrieden mit dem Wachstum, das wir in unserem Portfolio sehen.

Wo liegen weitere Chancen?

Coste-Lepoutre: Wir können mehr tun. Insbesondere die Kundenbindung muss verbessert werden. Wir halten zu viele Kunden nicht, die wir eigentlich gerne weiter bedienen wollen.

Dies wird ja wohl auch Thema des Kapitalmarktages im Dezember sein.

Bäte: Genau. Das Thema dort wird sein: Wir wollen einen Wachstumstriathlon starten. Denn es gibt drei wichtige Hebel für das Wachstum. Wie Claire-Marie Coste-Lepoutre gesagt hat, gehört die Kundenbindung dazu. Dies ist der bei weitem wichtigste Ansatzpunkt für uns.

Warum?

Bäte: Der Wettbewerbsvergleich zeigt, dass wir schon sehr gut im Vertrieb unserer Produkte sind. Wir liegen bei der Kundenakquise typischerweise im ersten Quartil der Benchmarks. Aber wir sind nicht so gut in der Kundenbindung. Das ist einfach eine Tatsache. Also müssen wir mehr tun.

Was können Sie ändern?

Bäte: Wir müssen entlang der gesamten Wertschöpfungskette ansetzen. Es geht beispielsweise um die Incentivierung unsere Vertriebspartner oder die Festlegung der Preise.

Was gehört noch zum Wachstumstriathlon?

Bäte: Eine weitere Komponente ist das Cross-Selling. Die Aufgabe, dass jeder Kunde mehrere Versicherungsarten abschließt, ist eine ewige Herausforderung für die Branche.

Stimmt, dies taucht seit Jahrzehnten immer wieder auf.

Bäte: Aber jetzt ist etwas anders: Viele Leute suchen in der digitalen Welt starke Marken. Sie kommen auf uns zu. Wir müssen also den Kunden ermöglichen, einfach bei uns zu bleiben und mehr als ein Produkt zu kaufen.

Welches ist die letzte Disziplin des Triathlons?

Bäte: Dies ist der Ausbau der Vertriebskapazitäten. Große Teile des Marktes, auch in der Sach- und Unfallversicherung, werden von kleineren und mittelgroßen Maklern abgedeckt. Wir bedienen sie noch nicht effektiv genug.

Sie haben die Preiserhöhungen in der Kfz-Versicherung erwähnt. Dennoch hat die Allianz im zweiten Quartal eine kombinierte Schaden-Kosten-Quote von 93,9% erreicht. Wie kann das sein?

Coste-Lepoutre: Die Combined Ratio hat sich wirklich stark verbessert, und zwar um mehr als fünf Prozentpunkte. Das zeigt wirklich die Qualität unserer Preisanpassungen. Wir sind richtig zufrieden mit diesem Niveau. Allerdings offenbart sich auch hier, wie Oliver Bäte sagte, der Wert der Diversifikation. Viele unserer Einheiten tragen zu diesem exzellenten Niveau bei.

Sie sind viel besser als die Konkurrenz, nicht wahr?

Bäte: In vielen Märkten: ja.

Auch in Deutschland.

Bäte: So ist es, auch in Deutschland.

Wie hoch ist dort die kombinierte Schaden-Kosten-Quote?

Coste-Lepoutre: Im zweiten Quartal haben wir dort in der Sachversicherung 99,8% erreicht. Die Belastung infolge der Überflutungen war signifikant. Naturkatastrophen haben die Combined Ratio um zehn Prozentpunkte verschlechtert.

Die Allianz kauft die Mehrheit des Versicherers Income Insurance zu. Was wollen Sie in Asien erreichen?

Bäte: Wir führen seit mehreren Jahren Gespräche mit der Regierung von Singapur, wie wir helfen können, eine der wichtigsten Säulen des sozialen Sicherheitssystems zu modernisieren. Dieser Dialog mündete in diese Partnerschaft.

Inwieweit trägt dies zur Modernisierung bei?

Bäte: Income Insurance ist nicht nur ein Autoversicherer, sondern auch ein wichtiger Anbieter von Gesundheits- und Rentenlösungen. Mit diesem Schritt werden wir führend in einem der wichtigsten Märkte in der Zukunft in Südostasien. Wir glauben wirklich, dass Singapur das Potenzial hat, das „Schweiz von Südostasien“ und das Zentrum des Verbands Südostasiatischer Nationen Asean zu werden. Wir hatten bisher kein starkes Geschäft in Singapur, daher ist es für uns ein enorm wichtiger Schritt nach vorne, sowohl in Bezug auf den lokalen Markt als auch mit Blick auf die Region.

Die Allianz hatte zu Jahresbeginn die Ausschüttungsquote erhöht und dafür weniger Geld für Aktienrückkäufe eingeplant. Nun wird das Rückkaufprogramm ausgeweitet. Beugen Sie sich damit jetzt dem Druck des Kapitalmarktes?

Bäte: Das ist eine sehr interessante Frage. Erinnern Sie sich an die Verwirrung, die wir zu Beginn des Jahres mit den Analysten hatten? Also: In den vergangenen rund sechs Jahren lag unsere durchschnittliche Ausschüttungsquote für Dividenden und Aktienrückkäufe bei rund 75%. Wir haben klar gesagt, dass die Investoren grundlegend für eine höhere konstante Dividendenausschüttung plädiert haben. Aber wir hatten nie die Absicht zu signalisieren, dass wir die gesamte Ausschüttungsquote reduzieren.

Genau dies war die Befürchtung des Kapitalmarktes.

Bäte: Zu Beginn des Jahres ergab die Dividendenzahlung 61%, und es sollte eine Milliarde Euro aus dem Rückkauf von Aktien hinzukommen. Dies ergab dann 71%. Mit den nun angekündigten zusätzlichen 500 Mill. Euro liegen wir genau beim langfristigen Schnitt von 75%. Nicht mehr, nicht weniger.

Die Finanzmärkte taumeln, doch die Allianz ist unverändert sehr zuversichtlich, ihre Jahresziele zu erreichen. Im zweiten Quartal hat der Versicherer die Erwartungen der Analysten sogar übertroffen. Vorstandschef Oliver Bäte und Finanzvorständin Claire-Marie Coste-Lepoutre betonen, dass die Allianz von der globalen Diversifizierung profitiert.

Das Interview führte Michael Flämig.