Peter Kimpel, Citigroup

„Irgendwann wird es sich normalisieren“

Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat die Aktivitäten am bereits zuvor angeschlagenen IPO-Markt jäh gestoppt. Hinter den Kulissen dauern die Arbeiten an, sagt Citigroup-Manager Peter Kimpel der Börsen-Zeitung.

„Irgendwann wird es sich normalisieren“

Von Bernd Neubacher, Frankfurt

Citigroup enthält sich angesichts des Ukraine-Krieges jeglicher Prognose zum Geschehen am Aktienemissionsmarkt, beobachtet dessen ungeachtet aber unverändert Arbeiten an solchen Transaktionen. Nach Einschätzung von Peter Kimpel, Head Germany & Austria Banking, Capital Markets and Advisory (BCMA) hat dies einen einfachen Grund: „Man muss vorbereitet sein für den Punkt, an dem das Fenster wieder aufgeht“, sagt der im Sommer vergangenen Jahres in den Vorstand des EU-Broker-Dealers der US-Großbank gewechselte und früher als Finanzvorstand von Rocket Internet tätige Manager. Erst dieser Tage hätten die Bank drei Aufforderungen (Requests for Proposal) erreicht, sich an Ausschreibungen für ein Mandat zur Begleitung eines späteren Börsenkandidaten aus dem Portfolio von Finanzinvestoren zu beteiligen. „Es ist schwierig zu sagen, wie viele IPOs 2022 kommen werden“, sagt er daher: „Irgendwann aber wird es sich normalisieren.“

Unmittelbar nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine waren die Investoren ohnehin damit beschäftigt, ihre Portfolien zu durchforsten, und hatten somit keine Muße, sich mit den Chancen von Börsenkandidaten zu beschäftigen. Eine hohe Volatilität am Markt trägt ein Übriges zu einer allgemeinen Zurückhaltung bei. Allerdings: Schon vor Kriegsbeginn wurden die meisten Vorhaben eines Börsengangs angesichts eines schwierigen Marktes zurückgezogen, weil Anleger von Wachstums- in Substanzwerte umschichteten und die Kurse von Technologieaktien massiv korrigierten, wie Kimpel in Erinnerung ruft: „Wir haben davon abgeraten, eine Intention to Float anzuzeigen, weil die Anleger Desinteresse zeigten“, berichtet er.

Sekundärmarkttransaktionen seien allerdings weiterhin möglich. So hat Citigroup die Platzierung eines Anteils von KKR am Rüstungselektronikhersteller Hensoldt betreut. Der Ukraine-Krieg hat die Aktienkurse von Rüstungsunternehmen beflügelt, was der Finanzinvestor zu einem lukrativen Ausstieg genutzt hat.

Ein Kontrastprogramm zum Aktienprimarmarkt bietet derweil der Debt-Capital-Markt. „Dort laufen die Refinanzierungsaktivitäten weiter wie bisher“, sagt Kimpel: „Die Unternehmen hören nicht auf, aktiv zu sein.“

Unterdessen floriert das Beratungsgeschäft. Der Krieg in der Ukraine sei eine humanitäre Katastrophe, schickt Kimpel voraus. Zugleich löse die steigende Komplexität der Lage bei Kunden erhöhten Bedarf an Beratung aus. Citi sehe sich da als Anbieter von Lösungen.

Aus strategischer Sicht hat der Beginn des Krieges viel in Bewegung gebracht, wie Kimpel erläutert. Springende Energiepreise, die Sorge um Lieferketten, dazu die bereits zuvor bestehenden Lieferengpässe bei Speicher-Chips im Automobilsektor: Guter Rat ist teuer, entsprechend hoch die Nachfrage von Firmenkunden an Beratung und entsprechenden Finanzierungen. So trügen sich beim Blick auf ihre Lieferketten einzelne Unternehmen bereits mit dem Gedanken, sich in Minen einzukaufen, um sich den Zugang zu einzelnen Rohstoffen zu sichern, berichtet Kimpel – Russland zählt zu den größten Produzenten von Aluminium und Titan. Die Kollegen im Minen-Team von Citi können sich über mangelnde Arbeit derzeit kaum beklagen, wie er andeutet. „Die Anstrengungen, die eigenen Abhängigkeiten zu reduzieren, werden andauern“, prognostiziert er jedenfalls.

Im M&A-Geschäft haben sich derweil die Erträge im ersten Quartal laut Kimpel zwar nicht schlecht entwickelt. Dennoch sind die Zahlen, in denen sich nachlaufende Effekte von Abschlüssen zuvor angekündigter Transaktionen niederschlagen, besser als die Lage, wie er meint. So haben die Ankündigungen von Transaktionen bereits stark abgenommen, wie er berichtet. Viele „Situationen“ aber liefen weiterhin. Zudem säßen Beteiligungsgesellschaften generell auf hohen Barbeständen, und für diese Investoren sollte es nicht uninteressant sein, nach einer Bewertungskorrektur nach günstigen Einstiegskursen zu suchen. „Der Dialog hat eher zu- als abgenommen. Mit Blick auf Übernahmen ist er derzeit extrem aktiv“, stellt Kimpel denn auch fest.

Der Druck nimmt zu

In seinen Fokus rückt angesichts der erhöhten Unsicherheit im Markt dabei eine andere Entwicklung: „Bisher war die Refinanzierung auch für nicht profitable Wachstumsunternehmen kein Thema“, sagt er: „Die Frage ist, ob dies anhalten wird.“ Der Druck sei zuletzt größer geworden, hat er beobachtet.

Auch die Emission von Wandelanleihen verteuert sich: „Der Effekt steigender Zinsen ist im Euro gegenwärtig noch geringer. Aber die Wandelkonditionen verschlechtern sich bei Unternehmen mit niedrigen Kursen, denn ein niedrigerer Wandelpreis erhöht die Verwässerung“, erklärt er. Auch wirke sich dies auf den M&A-Markt aus, weil die Akquisitionswährung Aktie dann an Wert verliere. Hinzu komme die Signalwährung. Wer nach einem Kursverlust von etwa 60% Eigenkapital aufnehme, müsse nach Einschätzung von Investoren schon einigermaßen verzweifelt sein.

Unternehmen müssten sich angesichts dieses Umfelds stärker darauf fokussieren, profitabel zu werden, sagt der Manager. Mit dreijährigen Zeitspannen bis Erreichen der Gewinnschwelle sei der Markt jedenfalls nicht mehr zufrieden.

Als nach wie vor aktiv schätzt Kimpel gleichwohl den Markt für Privatplatzierungen ein. Die entscheidende Frage laute nun allerdings, inwieweit sich der Rutsch der Bewertung an den öffentlichen Märkten auf jene in den privaten Märkten durchschlage. Kimpel: „Jeder, der jetzt im privaten Markt finanziert, fragt sich natürlich, wie die Bewertung zum Zeitpunkt des Exits sein wird.“ Kimpel zufolge sollte eine Bank von Wagnis- über Wachstumskapital bis hin zur Privatplatzierung sowie der Begleitung von Kapitalmarkttransaktionen die gesamte Palette an Dienstleistungen abdecken.

Das Umfeld hat sich geändert

Im vergangenen Jahr sei für Citi das Geschäft in M&A und im Kapitalmarktgeschäft sehr erfolgreich verlaufen, sagt Kimpel. Man habe Marktanteile dazu gewonnen. Sein Augenmerk gilt dabei insbesondere Technologieunternehmen.

In Deutschland hätten Unternehmen wie Zalando, Delivery Hero, Hellofresh durch die Rotation von Technologie- in Substanzwerte zuletzt extrem gelitten, räumt der Manager ein. Dennoch würden sich die privaten Finanzierungen von Unternehmen fortsetzen. So habe sich Deutschland im Software-Geschäft stark entwickelt. Auch habe sich das Umfeld im Wagniskapitalmarkt in den zurückliegenden zehn Jahren fundamental geändert. So sei die Bundesrepublik etwa im Segment des High Performance Computing mittlerweile obenauf: „Wir haben in gewissen Bereichen absolute Weltmarktführer, und das wird sich auch weiterentwickeln.“