GastbeitragEuropäische Kapitalmarktunion

Kapitalmärkte in Deutschland: Ungeliebt, weil ungenutzt?

Die Europäische Kapitalmarktunion ist im abgelaufenen Jahrzehnt kaum vorangekommen. Gerade Deutschland braucht jedoch dringend Investitionen für die Transformation. Es ist Zeit für eine vertiefte Integration der EU-Finanzmärkte, um Wachstum und Innovation zu fördern, findet Adam Farkas, CEO der AFME.

Kapitalmärkte in Deutschland: Ungeliebt, weil ungenutzt?

Kapitalmärkte in Deutschland: Ungeliebt, weil ungenutzt?

In seiner Wahlrede vor dem Straßburger Parlament hat Jean-Claude Juncker 2014 ein Plädoyer für die europäische Kapitalmarktunion gehalten. Das Projekt sollte den freien Kapitalverkehr innerhalb der Europäischen Union über die Ländergrenzen hinweg ermöglichen. Zehn Jahre später zeigen sich die europäischen Kapitalmärkte indes weiterhin fragmentiert, die Bankenlandschaft unseres Kontinents ist national ausgerichtet, zwischen den Mitgliedstaaten fließt das Kapital nur spärlich.

Riesiger Kapitalbedarf und enorme Beharrungskräfte

2024 hoffe ich erneut auf eine Reform der Kapitalmärkte und die neue EU-Kommission. Die Vorzeichen stehen besser, denn endlich nehmen sich Deutschland und Frankreich gemeinsam des Themas an und setzen es auf die politische Agenda in Brüssel. Die Eurogruppe befasst sich damit. Heute allerdings ist der Finanzierungsbedarf in der Europäischen Union riesig und die Beharrungskräfte sind enorm.

Das gilt insbesondere für Deutschland. Wir haben in einer gemeinsamen Studie mit ZEB Consulting konservativ geschätzt: Bis 2030 besteht hierzulande ein externer Finanzbedarf von rund 175 Mrd. Euro jährlich – nur um die nachhaltige Transformation von Europas größter Wirtschaft zu gestalten.

Wie will Deutschland seine ambitionierten Pläne verwirklichen?

Die Kosten für die so dringend notwendigen Digitalisierung hierzulande sind darin noch gar nicht eingerechnet. Ich frage mich, wie Deutschland seine ambitionierten Pläne zum Umbau von Industrie, Gebäudebestand, Infrastruktur und Mobilität finanzieren möchte?

Die Ergebnisse der Studie deuten darauf hin, dass einige Banken – obwohl sie derzeit eine relativ gute Kapitalisierung aufweisen – in der Zukunft nicht in der Lage sein werden, diese massiven Zukunftsinvestitionen allein zu stemmen. Gleichzeitig ist es unwahrscheinlich, dass der gesamte Finanzierungsbedarf aus den Mitteln öffentlicher Haushalte gedeckt werden kann.

Wichtige Finanzierungsquelle

Vor diesem Hintergrund bin ich fest davon überzeugt, dass die Kapitalmärkte im zwar stagnierenden, aber stabilen Deutschland eine wichtige Quelle für die so dringend notwendigen Zukunftsinvestitionen darstellen können. Der Wachstumsbedarf ist riesig, wie die Studienergebnisse zeigen.

So liegt die Marktkapitalisierung aller börsennotierten Unternehmen in Deutschland derzeit bei knapp 50% im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt (BIP). Das ist nicht nur bezüglich des Vereinigten Königreiches (rund 140%) und der USA (rund 220%) wenig, sondern auch mit Blick auf den Nachbarn Frankreich. Hier liegt die Börsenkapitalisierung der Unternehmen zur gesamten Wirtschaftsleistung des Landes (BIP) bei über 100%.

Unterentwickeltes Private-Equity-Geschäft

Auch beim privaten Kapital hinkt Deutschland hinterher. 2022 lag die Finanzierung durch Private Equity in Relation zum BIP in Deutschland bei 0,4%. In den USA dagegen liegt der Anteil bei 3,6%, es ist also fast zehnmal mehr Wagniskapital verfügbar. In Großbritannien liegt die Quote mit 1,1% immer noch mehr als doppelt so hoch als in Deutschland.

Es besteht ein Trend zur Börsennotierung deutscher Unternehmen im Ausland. Dies bedeutet für Investoren, dass es weniger inländische Möglichkeiten zur Kapitalanlage gibt. Die Studie zeigt auch, dass Unternehmen, die im Ausland an die Börse gehen, tendenziell schneller wachsen als Unternehmen, die in Deutschland an die Börse gehen.

Am Freitag wird der Präsident der Eurogruppe, Paschal Donohoe, den Staats- und Regierungschefs im Europäischen Rat seine Schlussfolgerungen zur Zukunft der EU-Kapitalmärkte vorlegen. Es ist Zeit für eine vertiefte Integration der Finanzmärkte.

Wettbewerb am Kapitalmarkt nutzt auch kleinen Unternehmen

Wir sollten uns jetzt nicht davor scheuen, mutig zu handeln und uns über nationale Interessen hinwegzusetzen. Die Bürgerinnen und Bürger Europas werden profitieren, ganz besonders in Deutschland, der größten Volkswirtschaft. Denn mehr Wettbewerb am Kapitalmarkt stärkt nicht nur unseren Wohlstand. Er bietet auch Chancen. Auch für kleinere Unternehmen, die zukünftig bessere Finanzierungsoptionen erhalten, wenn die Hürden am Kapitalmarkt fallen.

Bereits heute legen Kapitalmarktinvestoren über Verbriefungen ihr Geld in KMU- und Unternehmenskreditportfolios von Banken an. Dieser Markt hat das Potenzial zu wachsen, um künftige zusätzliche – so dringend benötigte – Investitionen zu unterstützen. Nur so erhalten wir unsere Innovationskraft.

Unsere Wirtschaft benötigt jetzt einen Modernisierungsschub, um die nachhaltige Transformation voranzubringen. Ohne freien Kapitalverkehr befürchte ich jedoch, dass allfällige Investitionsbedarfe nach dem Muster der vergangenen zehn Jahre weiter in Richtung „Zukunft“ und schließlich auf die lange Bank verschoben werden.

Adam Farkas ist CEO der AFME – Association for Financial Markets in Europe

Adam Farkas

CEO der AFME – Association for Financial Markets in Europe

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