Krisenerprobt durch die Zeitenwende?
Das europäische Bankensystem musste in den vergangenen eineinhalb Jahrzehnten zahlreiche Täler durchschreiten und Strukturbrüche überstehen: die Finanzkrise von 2007/08, die Staatsschuldenkrise ab 2012, die Niedrigzinsphase von 2014 bis 2019, den Brexit 2016 und die Corona-Pandemie seit 2020. Mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine und den sich hieraus ergebenden signifikanten Auswirkungen auf Inflation, Zinsen, Energiepreise und schließlich auch Kreditausfällen steht der nächste harte Test bevor.
Grund genug, einen genaueren Blick auf den Status quo der größten europäischen Banken zu werfen und Entwicklungen für die kommenden Quartale zu skizzieren. Als Basis dienen die 50 größten Institute, die mehr als 62 % aller Bankaktiva in Europa auf sich vereinen und damit wesentlich für die Beurteilung von Stabilität und Zukunftsfähigkeit des Bankensystems sind. Die verbleibenden knapp 38 % der Bankaktiva verteilen sich auf ca. 5 000 meist regional operierende Institute. Dabei hat in den meisten europäischen Ländern in den letzten Jahren eine starke Konsolidierung stattgefunden. Lediglich in ausgewählten Märkten, wie z. B. Deutschland, Österreich und der Schweiz, findet sich noch eine Vielzahl von mittelgroßen und kleineren Instituten.
Gegenläufige Effekte
Die Profitabilität der großen europäischen Banken erreichte in den ersten sechs Monaten 2022 auf den ersten Blick und gerade im historischen Vergleich über die letzte Dekade relativ stabile Werte. Die Eigenkapitalrendite nach Steuern betrug im Durchschnitt 8,4 % – nur ein leichter Rückgang zum sehr starken Wert des Vorjahres (9,1 %). Damit liegen die Banken allerdings weiterhin im Durchschnitt unter der Cost of Equity, die mit 12,3 % aufgrund des Zinsanstiegs und der gestiegenen Marktvolatilität einen neuen Höchststand erreicht hat.
Die aktuellen gesamtwirtschaftlichen Entwicklungen und Verwerfungen sind dabei durchaus in den Ergebnissen der Banken zu spüren – sie werden aber im Endergebnis von teils gegenläufigen Effekten überlagert. So führte der massive Zinsanstieg bei nahezu allen Instituten zu deutlich höheren Zinsergebnissen. Dieser positive Effekt „verpuffte“ jedoch weitestgehend und wurde mehr als vollständig von niedrigeren Erträgen im Investment Banking, gestiegenen Kosten – und hier insbesondere durch die Inflation getriebenen Sachkosten – sowie höheren Kreditrisikorückstellungen kompensiert.
Gleichermaßen sank die Kapitalisierung, gemessen als harte Kernkapitalquote (CET1-Ratio), deutlich von 15,3% auf 14,4 % und bewegte sich damit ähnlich wie die Leverage Ratio, die von 5,6 % auf 5,0 % zurückging. Ursächlich für diese Entwicklungen sind die von Analysten und Investoren teilweise lange eingeforderten Aktienrückkaufprogramme und höheren Dividendenzahlungen einiger Großbanken. Zudem stiegen die risikogewichteten Aktiva aufgrund von Wachstum und regulatorischen Anpassungen auch im ersten Halbjahr 2022 weiter deutlich an. Einige Institute mussten zusätzlich Bewertungsverluste hinnehmen.
Einige Monate nach Beginn der jüngsten Krise liegen die wesentlichen Kennzahlen der großen europäischen Häuser zwar unter den Vorjahreswerten, erreichen aber insgesamt immer noch ein stabiles Niveau. Mit Blick auf die unterschiedlichen Regionen zeigen sich im Durchschnitt die nordischen Banken im Vergleich zu den südeuropäischen Instituten stärker und stabiler. Bemerkenswert ist, dass in der DACH-Region die Streuung zwischen Instituten mit sehr auskömmlichen Renditen und eher belasteten Ergebnissen am deutlichsten ausgeprägt ist.
Aus Sicht der Banken werden diese Themen auch die Agenda der kommenden Quartale bestimmen. Dabei ist sehr wahrscheinlich, dass die positiven Folgen der höheren Zinsen von negativen Effekten weiter überlagert werden. Die enormen Unsicherheiten bei Unternehmen und Privatpersonen werden sich nicht nur in der Kreditnachfrage und -vergabe niederschlagen. Auch die Erträge im Investment Banking, und dort insbesondere im M&A- und Emissionsgeschäft, oder dem Wealth Management stehen weiter unter Druck. Die große Frage bleibt, in welchem Maße zusätzliche neue Kreditrisiken auf die Banken zukommen. Zwar sind europäische Länder und Branchen teils sehr unterschiedlich stark von der Wirtschafts- und Energiekrise betroffen, und zusätzlich beeinflussen staatliche Hilfen die Märkte, ein breiter Anstieg der Risikokosten scheint aber trotzdem unvermeidbar.
Diese Beobachtungen spiegeln sich in der Bewertung der börsengelisteten Banken wider. Nachdem spätestens im Rahmen der Niedrigzinsphase die Kurse von Bankaktien deutlich unter Druck gerieten, holten diese mit den Zinsanstiegen in der Vergangenheit wieder deutlich auf. Dennoch, nur die besten 25 % der börsennotierten europäischen Großbanken erreichte eine Performance, die mit dem Marktdurchschnitt mithalten konnte (+6 % p. a. seit 2017). Im Durchschnitt lag der Total Shareholder Return aller europäischen Großbanken seit 2017 jedoch lediglich bei ungefähr 0 %. Bei den Low Performern (schlechteste 25 % der Banken) ergab sich ein dramatischer Wertverlust in Höhe von fast 10 % p. a. im Durchschnitt.
Nur bedingt vergleichbar
Verglichen mit US-amerikanischen oder asiatischen Banken erreichen europäische Banken gerade mit Blick auf die Profitabilität deutlich geringere Werte. So liegt der durchschnittliche RoE amerikanischer und asiatischer Banken mit 11,5 % und 12,3 % im ersten Halbjahr 2022 deutlich über den europäischen Werten. Selbstverständlich ist dieser Vergleich nur bedingt statthaft. Die volkswirtschaftlichen Rahmenbedingungen und damit auch die Art des Bankgeschäfts sowie Marktgröße und Konsolidierungsgrad unterscheiden sich maßgeblich. Hieraus abzuleiten, dass europäische Banken per Definition immer das Schlusslicht im internationalen Vergleich darstellen müssen, ist ebenfalls zu kurzfristig gedacht. Die positiven Beispiele europäischer Top-Performer legen nah, dass bei auskömmlicher Kapitalausstattung ansehnliche Renditen und positive Kursentwicklungen auch in Europa erzeugt werden können.
Damit zeigt sich, dass die zwei bekannten Stoßrichtungen für die Entwicklung des europäischen Bankenmarkts und der europäischen Banken konsequent weiter beschritten werden sollte. Erstens spricht viel dafür, auf Ebene der großen Institute die Bankenunion zu vollenden und damit bessere Möglichkeiten zur Generierung von Größenklassenvorteilen zu schaffen. Zweitens bleibt aber die Verantwortung der einzelnen Institute bestehen, ihre Geschäftsaktivitäten und Banksteuerungssysteme immer wieder zu hinterfragen bzw. zu optimieren. Statistische Analysen auf dem hier betrachteten Banksample zeigen sehr klare Muster zwischen Top- und Low-Performern in Bezug auf Geschäftsmix und Bilanzsteuerung. Hier können europäische Banken auch voneinander lernen.
Zuletzt erschienen:
Spaniens Banken halten sich für Krise gerüstet, 10. November