Im GesprächUlrike Malmendier, Wirtschaftsweise

„Mehr Verbriefungen ist nicht das, was wir aktuell dringend brauchen“

Die ökonomischen Beratungsgremien der deutschen und französischen Regierung haben Vorschläge für die EU-Kapitalmarktunion vorgelegt. Die Wirtschaftsweise Ulrike Malmendier sieht im Gespräch aktuell ein Momentum, um auch bei schwierigen Themen voranzukommen.

„Mehr Verbriefungen ist nicht das, was wir aktuell dringend brauchen“

In die politische Debatte um eine Vertiefung der europäischen Kapitalmärkte mischt sich jetzt auch der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung ein. Gemeinsam mit seinem französischen Pendant, dem Conseil d’Analyse Écononomique (CAE), veröffentlichten die Wirtschaftsweisen Vorschläge für die neue EU-Kommission. „Es ist so wichtig wie noch nie, Fortschritte bei der Kapitalmarktunion zu erzielen“, betonte Ulrike Malmendier, die das Thema im Sachverständigenrat federführend betreut, im Gespräch mit der Börsen-Zeitung. „Es geht dabei um neue Wachstumsperspektiven für die EU, aber auch um eine stärkere Widerstandsfähigkeit der europäischen Volkswirtschaften.“

In einem Joint Statement verweisen die deutschen und französischen Ökonomen noch einmal darauf, dass die europäische Finanzarchitektur nach wie vor überwiegend bankbasiert sei und die Finanzströme weitgehend national liefen. Malmendier räumte ein, dass politische Maßnahmen auch auf nationaler Ebene ansetzen könnten. Aber es helfe natürlich, bei einer Vertiefung der Märkte nicht an den Grenzen zu stoppen. „Größere Märkte machen es für Investoren einfacher zu investieren – wenn diese Märkte nicht fragmentiert sind.“

 Anders als die Finanzminister ihrer Länder und die Bankenverbände legen der Sachverständigenrat und der CAE den Fokus ihrer politischen Forderungen nicht auf einen Anschub des Verbriefungsgeschäfts. Es stimme, dass das Thema Verbriefungen nach der Finanzkrise in Europa etwas zu sehr verteufelt wurde, sagt Malmendier. Aber: „Mehr Verbriefungen ist nicht das, was wir aktuell in Europa für mehr Wachstum und eine stärkere Krisenresilienz dringend brauchen.“ Zu überlegen sei vielmehr, wie die Eigenkapitalfinanzierung attraktiver werde. „Nötig sind nicht noch mehr Bankkredite, sondern Wachstumskapital für junge und vielleicht auch riskante Unternehmen, die neue Ideen entwickeln.“

Diese Start-ups benötigten vor allem in der Spätphase mehr und größere Finanzierungsrunden, so die Finanzmarkt-Professorin an der Berkeley-Universität. In den vorgelegten Vorschlägen werden die EU und die Mitgliedstaaten daher aufgefordert, auf dem Venture-Capital-Markt die öffentlichen Kofinanzierungen zu erhöhen. Dies könne durch mehr Mittel für den Europäischen Investitionsfonds (EIF) und die European Tech Champions Initiative (ETCI) erreicht werden, hieß es.

Momentum auch beim schwierigen Thema Insolvenzregeln

 „Wichtig ist, in einem System zu bleiben, in dem die Experten entscheiden, welche Unternehmen die großen Finanzierungsrunden bekommen“, stellte Malmendier klar. „Es darf hier also nicht um Industriepolitik gehen.“

Im Juni hatte sich sogar der EU-Gipfel explizit mit der Weiterentwicklung der Kapitalmarktunion befasst. Auch Malmendier sieht aktuell „ein Momentum“, um in Brüssel bei dem Thema voranzukommen. „Selbst beim Bohren der dicken Bretter wie der Harmonisierung der Insolvenzregeln scheint sich meiner Einschätzung nach etwas zu bewegen“, sagt sie. Von Investorenseite sei in den letzten Jahren immer wieder deutlich gemacht worden, dass die unterschiedlichen Insolvenzregeln eines der Hauptprobleme der Kapitalmarktunion seien. Dies sei mittlerweile auch der Politik bewusst geworden. „Es muss einfach etwas passieren, auch wenn es nicht zu einer vollständigen Harmonisierung kommt.“

Stärkung der EU-Aufsichtsbehörden gefordert

Zu den Hauptforderungen von Sachverständigenrat und CAE gehört eine Stärkung der europäischen Aufsicht. Nach Ansicht von Malmendier muss etwa bei der Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde ESMA die „nationale Fragmentierung“ aufgelöst und die Behörde von nationalen Interessen befreit werden. „Wenn man es gut angeht, kann man im Zuge einer Reform und einer Stärkung der ESMA auch ein wenig Bürokratie abbauen“, ist sich die Ökonomin sicher. Doppelstrukturen, vor denen etwa Finanzminister Christian Lindner gewarnt hatte, könnten vermieden werden. „Man muss aber bereit sein, nationale Kompetenzen abzugeben“, sagt Malmendier. Und das würde dann sicherlich auch die BaFin treffen. „Da könnte es natürlich ein gewisses Schmerzempfinden geben.“

Zu den Vorschlägen in dem Joint Statement der Ökonomen gehören auch eine Ausweitung der ESAP-Initiative (European Single Access Point), eine Stärkung der kapitalgedeckten Zusatzrenten sowie Maßnahmen gegen die „aktienfeindlichen Investitionsentscheidungen der Versicherer“. Aufgegriffen wird zudem ein bereits bekannter Vorschlag des Sachverständigenrates: die Einführung von öffentlich finanzierten Anlagekonten für Kinder.

Dies könnte auch auf EU-Ebene eingeführt werden und könnte es Kindern ermöglichen, verschiedene Finanzzyklen zu erleben und damit Vertrauen in den Kapitalmarkt zu erlernen. Nach Angaben von Malmendier ist diese Idee der Wirtschaftsweisen nicht nur in der deutschen Politik, sondern auch von französischer Seite mit großem Interesse aufgenommen worden.

Im Gespräch: Ulrike Malmendier

„Mehr Verbriefungen ist nicht das, was wir brauchen“

Deutsche und französische Wirtschaftsweise legen eigene Vorschläge für EU-Kapitalmärkte vor – Stärkere Aufsicht und mehr Wachstumsfinanzierung im Fokus

Die ökonomischen Beratungsgremien der deutschen und französischen Regierung haben gemeinsam Vorschläge für die EU-Kapitalmarktunion vorgelegt. Die Wirtschaftsweise Ulrike Malmendier sieht aktuell ein Momentum, um auch bei schwierigen Themen voranzukommen. Um Verbriefungen geht es dabei eher nicht.

ahe Berlin
Von Andreas Heitker, Berlin