Milliardenrisiken für Luftfahrtversicherer
Von Antje Kullrich, Köln
Festsitzende Flugzeuge in Russland könnten für die Versicherer zu einem Milliardenproblem werden. Denn ein signifikanter Teil der Flotte russischer Fluggesellschaften ist von ausländischen Geldgebern finanziert worden, die Flugzeuge sind geleast. Im Worst-Case-Szenario schätzt die Ratingagentur Fitch den Schaden für deren Versicherer und Rückversicherer auf 10 Mrd. Dollar.
Nach den Daten des Analysehauses Cirium sind 515 Flugzeuge russischer Gesellschaften von ausländischen Leasingfirmen gemietet. Das entspricht gut der Hälfte der gesamten Flotte. 428 Maschinen davon befanden sich laut Cirium zuletzt in Russland und hängen dort derzeit fest (Stand: 14. März). Die Europäische Kommission hat im Rahmen ihrer Russland-Sanktionen den Leasinggesellschaften aufgetragen, die Verträge mit russischen Fluggesellschaften bis zum 28. März zu kündigen. In der Branche wird befürchtet, dass Russland die Flugzeuge jedoch nicht herausrückt. Den aktuellen Marktwert der geleasten Maschinen mit ausländischen Finanziers beziffert Cirium auf rund 10 Mrd. Dollar. Größter betroffener Anbieter im Markt soll die in Irland ansässige Aercap sein, die nach Russland britischen Medienberichten zufolge Maschinen im Wert von mehr als 2 Mrd. Dollar vermietet hat.
Im Falle einer Beschlagnahmung durch Russland dürften die Leasinggesellschaften ihre Versicherer in Anspruch nehmen. Der größte Teil der Luftfahrt-Versicherungsverträge wird im Londoner Markt Lloyd’s gezeichnet. Die Allianz ist nach eigenen Angaben in diesem sehr speziellen Gebiet kaum tätig. Fitch schätzt, dass 30 bis 40% des Exposures der Anbieter rückversichert sind. Damit könnte die Thematik auch Munich Re oder Hannover Rück treffen, die zusammen mit der Swiss Re das weltweite Top-Trio in der Rückversicherungsbranche bilden.
In München und Hannover halten sie sich bedeckt. Hannover-Rück-Vorstand Sven Althoff hat auf der Analystenkonferenz zur Bilanzvorlage am 10. März bereits von Unsicherheiten gesprochen, die die Situation aufwirft. Die Munich Re verweist auf ihren gerade veröffentlichten Geschäftsbericht. Dort schreibt der Vorstand ganz allgemein zum Ukraine-Krieg, dass keine direkten signifikanten Auswirkungen auf das Geschäft erwartet werden. Denn der Kriegsfall ist in den klassischen Versicherungsverträgen ausgeschlossen.
Eine Beschlagnahme von Leasingmaschinen durch Russland dürfte für die Versicherer und ihre Kunden jedoch jede Menge rechtlicher Fragen aufwerfen. Diverse Marktteilnehmer verfügen neben den Luftfahrt-Haftpflicht- und Kaskoversicherungen wohl über spezifische Kriegsdeckungen, die zu den herkömmlichen Policen hinzugebucht werden können. Und die könnten jetzt betroffen sein.
Klärung wird dauern
Fitch macht dazu diese Rechnung auf: In der Branche werde der versicherte Wert der festsitzenden Maschinen auf 13 Mrd. Dollar geschätzt. Die Kaskoversicherung habe in der Regel Obergrenzen für Verluste, so dass in einem realistischen Szenario sich die Kasko-Ansprüche an die Versicherer auf 5 bis 6 Mrd. Dollar, die gesamten Versicherungsschäden sich im schlimmsten Fall aber auf 10 Mrd. Dollar belaufen könnten. „Die Wahrscheinlichkeit, dass die 10 Mrd. Dollar sich materialisieren, wird als gering eingeschätzt“, sagte ein Branchenkenner der Börsen-Zeitung. Ansonsten wäre das laut Fitch bei Weitem der größte Schaden in der Geschichte der Luftfahrtversicherung.
Vom Prämienvolumen her ist der Markt überschaubar. Die Munich Re weist 2021 in der gesamten Luft- und Raumfahrtversicherung Beitragseinnahmen von 779 Mill. Euro aus, gut 1% der gebuchten Bruttobeiträge. Und davon dürften Aviation-War-Deckungen jedoch nur einen Bruchteil ausmachen.
Eine schnelle Übersicht über die Schäden für die Versicherer ist kaum zu erwarten – es sei denn, die Leasinggesellschaften erhalten ihre Flugzeuge in den kommenden Monaten zurück und das Thema hätte sich damit weitgehend erledigt.
Die Beschlagnahme durch Russland wäre in dieser Größenordnung ein bislang einmaliger Vorgang. Russland ist der elftgrößte Luftfahrtmarkt der Welt. Über die Details der Verträge würden sich Leasinggesellschaften und Versicherer voraussichtlich jahrelange Rechtsstreitigkeiten liefern.