Nachhaltiges Alpha verlangt mehr Freiheiten

Weshalb es sich für Anleger lohnt, aus dem Aktiv-Passiv-Paradox auszubrechen

Nachhaltiges Alpha verlangt mehr Freiheiten

Was waren das für paradiesische Zustände vor dem Platzen der Kreditblase: Praktisch risikolose Investments wie die zehnjährige Bundesanleihe warfen eine Rendite von rund 5 % ab. Damit war für Privatanleger eine Verdoppelung des Vermögens binnen 15 Jahren ausgemachte Sache. Institutionelle Investoren konnten somit nahezu ausfallsicher 2 bis 3 Prozentpunkte ihrer zugesagten Verzinsung von durchschnittlich 3 bis 4 % einfahren. Nur noch für 1 bis 2 Prozentpunkte mussten sie ins Risiko gehen.Und heute? Bei Großinvestoren ist der praktisch ausfallsichere Sockel auf nunmehr 0,5 Prozentpunkte zusammengeschmolzen. Und Kleinanleger, die ihr Kapital mit zehnjährigen Schuldtiteln des Bundes verdoppeln wollen, werden dieses Ziel nur in den seltensten Fällen noch zu Lebzeiten erreichen. Denn angesichts einer Rendite von unter 0,5 % sind dafür mittlerweile deutlich mehr als 100 Jahre nötig. Willkommen in der Welt der durch die ultraexpansive Geldpolitik der Notenbanken verursachten Niedrigstzinsen. Debatte über richtigen WegFür private und institutionelle Investoren führt in dieser neuen Wirklichkeit kein Weg an risikoreicheren Anlagen als erstklassigen Staatsanleihen vorbei. In jüngster Zeit ist jedoch eine teils hitzige Diskussion über den richtigen Weg dorthin entbrannt: Sind es aktiv gesteuerte oder passiv Indizes abbildende Portfolien? Dahinter stehen zwei konträre Überzeugungen: Das Passivlager schwört darauf, dass Kapitalmärkte effizient sind und alle Informationen allen Teilnehmern gleichzeitig und gleichermaßen zur Verfügung stehen. Damit wäre das Streben nach Outperformance von vornherein vergebene Liebesmüh.Das Aktivlager basiert hingegen auf der Annahme ineffizienter Kapitalmärkte, in denen es Informationsvorsprünge oder die smartere Interpretation von Informationen ermöglichen, die Gewinner und Risiken von morgen aufzuspüren. “Wären Märkte immer effizient, würde ich als Bettler mit der Sammelbüchse in der Hand auf der Straße stehen”, formulierte einstmals Warren Buffett. Aber nicht nur der Solitär aus Omaha, sondern auch der Blick auf den durchschnittlichen Fondsmanager belegt den Nutzen aktiver Vermögensverwaltung: Denn der hat in der Vergleichsgruppe der global investierenden Portfoliolenker seit 1990 eine Outperformance gegenüber dem MSCI-World-Index von jährlich 1,6 Prozentpunkten erzielt (Quelle: MercerInsight). Dessen ungeachtet sind passive Anlageformen mittlerweile zu Kerninvestments avanciert – für bestimmte Assetklassen oder Marktphasen auch völlig zu Recht. “Talent” muss sich entfaltenDoch warum hat sich die Disziplin “aktives Investieren” gerade in der jüngsten Vergangenheit eher schwer damit getan, ihre Chancen konsequent in Performance umzusetzen? Aktive Vermögensverwaltung ist die keinen Zwängen unterworfene Anwendung von Investmentexpertise – über unterschiedlichste Assetklassen und Strategien hinweg. Unglücklicherweise haben wir, die Verantwortlichen für aktives Assetmanagement, jedoch nicht immer dafür gesorgt, dass sich diese Expertise, im Englischen gerne auch als “talent” bezeichnet, auch tatsächlich entfalten kann. So wird etwa ein Portfoliomanager, der sich für Erfolge nicht genügend belohnt, für Misserfolge hingegen übermäßig bestraft fühlt, in psychologischer Selbstblockade erstarren.Ein gutes Beispiel dafür sind Investmententscheidungen, die von einer größeren Anzahl von Individuen getroffen werden. In einer solchen Konstellation lohnt es für den Einzelnen kaum, eine starke Überzeugung zu vertreten, die sich von der Mehrheitsmeinung oder einer vorgegebenen Benchmark unterscheidet. Liegt er richtig, wird der Verdienst der Gruppe zugeschrieben, liegt er falsch, weist der Rest der Gruppe mit dem Zeigefinger auf den Initiator der Idee.Darüber hinaus haben gerade große, global agierende Fondsgesellschaften in den vergangenen Jahren versucht, den Anlageerfolg zu institutionalisieren und dadurch unabhängig von Einzelpersonen zu machen. Der Investitionsprozess als dokumentiertes und nachvollziehbares Regelwerk soll in Analogie zur industriellen Produktion eine gleichbleibende Qualität in Form nachhaltiger Performance gewährleisten. Das Umfeld, in dem Talente zur Entfaltung kommen und sich unterschiedliche Charaktere und Handschriften entwickeln können, sieht anders aus. Damit geht Anlegern übrigens auch eine attraktive Diversifikationsmöglichkeit verloren. Denn oft lassen sich Risiken effektiver über unkorrelierte Manager als über verschiedene Assetklassen streuen. Veritables ParadoxonUnd selbst die Investorenseite ist mit ihren – den “Talenten” vielfach durch Vorgaben der Risikobegrenzung für die Vermögensverwaltung auferlegten – Restriktionen nicht unbeteiligt. Zusammengenommen führen all diese Beschränkungen zu einem veritablen Paradoxon: Geringere Freiheitsgrade bedeuten ein niedrigeres Alpha, wodurch passive Investments attraktiver werden. Diese Verschiebung in Richtung “Passiv” erzeugt dann zwar eine Vielzahl von Marktineffizienzen, die aufgrund der bestehenden Beschränkungen jedoch nicht dazu genutzt werden können, Alpha zu erzeugen. Erst die Auflösung dieser Kausalkette bietet die Chance auf echtes aktives Assetmanagement, das die im Niedrigstzinsumfeld so dringend benötigte Zusatzrendite erwirtschaften kann.Eine aktive Vermögensverwaltung der alten Schule wird dafür aber nicht mehr ausreichen. Denn die in den vergangenen Jahren in der Tendenz gesunkene Volatilität hat für erodierende Tracking Errors und somit sinkende Ergebnisse durch aktives Management gesorgt. Darauf muss unsere Disziplin reagieren und entweder zusätzliche Risiken nehmen oder das Ergebnis je Risikoeinheit verbessern. Letzteres setzt dabei voraus, dass wir uns von selbst auferlegten Korsagen befreien und unsere Investmentuniversen erweitern.Dass schon allein höhere Freiheitsgrade bei der Einzeltitelselektion zu besseren Ergebnissen im aktiven Management führen, zeigt der Blick auf die Relation von Active Share und Wertentwicklung. So erwirtschafteten Portfoliolenker mit einem hohen Active Share über einen Zeitraum von neun Jahren, von Anfang 2004 bis Ende 2012, eine Outperformance von fast 20 Prozentpunkten gegenüber dem MSCI-World-Index. Die Manager mit einem durchschnittlichen Active Share kamen im gleichen Zeitraum lediglich auf etwas mehr als 10 Prozentpunkte, Fonds mit einem niedrigen Active Share lagen darunter, schnitten aber immer noch besser als die Benchmark ab. Keine wasserdichte KennzahlZugegeben, eine völlig wasserdichte Kennzahl ist der Active Share nicht. Denn bei einem Fonds mit dem Etikett “Anlageschwerpunkt im S & P-500-Index” und einem Active Share von 95 % werden sich Investoren völlig zu Recht fragen, ob sie tatsächlich noch das Rendite-Risiko-Profil bekommen, das sie sehen. Und auch ein Garant für gute Ergebnisse aktiver Vermögensverwaltung ist der Active Share nicht. Denn schlimmstenfalls bezahlt der Fondsmanager eine deutliche Emanzipation von der Benchmark mit drastischer Underperformance. Davor war übrigens selbst Warren Buffett nicht gefeit, als er um die Jahrtausendwende nicht an die kometenhaft aufsteigenden Technologiewerte glauben wollte. Deshalb musste er zwar eine zwischenzeitliche Performance-Durststrecke durchlaufen, behielt am Ende jedoch Recht.Auch kommt es in der Praxis eher selten vor, dass ein Fondsmanager über unterschiedliche Marktphasen und Zeitfenster hinweg erfolgreich ist. Solche Belastungsproben müssen dann nicht nur der Betroffene, sondern auch die beteiligten Vorgesetzten in der Berichtslinie aushalten. An dieser Stelle kommt die Unternehmenskultur ins Gespräch. Aber zusätzliche Freiheiten sind eben immer mit Risiken verbunden. Und eine Alternative gibt es nicht. Denn die aktuelle Niedrigstzinsphase wird nicht von heute auf morgen verschwinden.Zur Erinnerung: Die vorangegangene Finanzrepression hat sich hartnäckig über rund 35 Jahre gehalten. Wir müssen also in der Lage sein, unser wichtigstes Versprechen und unsere wichtigste Verpflichtung zu erfüllen, nämlich nachhaltiges Alpha für unsere Investoren zu erwirtschaften. Das ist unser Leistungsversprechen.—James Dilworth, Head of Active Management der Deutschen Asset & Wealth Management und Sprecher der Geschäftsführung der Deutschen Asset & Wealth Management Investment GmbH