Nachhaltigkeitsexperten händeringend gesucht
Von Silke Stoltenberg, Frankfurt
Nicht nur fehlende Standards und Daten zu vielen Aspekten der nachhaltigen Finanzwirtschaft machen der Branche zu schaffen. Eine viel grundlegendere Frage ist: Wo soll eigentlich das darauf spezialisierte Personal so plötzlich herkommen? Während Fondsgesellschaften, Banken und Versicherer mit Schulungen das vorhandene Personal für die Themen Umweltschutz, soziale Aspekte und gute Unternehmensführung fit machen, berichten Headhunter, dass die ESG-Kompetenzen (Environment, Sozial, Governance) in rasender Geschwindigkeit zum Standard in den Stellenausschreibungen bei Junior- wie Seniorpositionen werden. Die Suche nach darauf spezialisiertem Fachpersonal treiben die nach der kurzen Pandemiedelle wieder aufgeblühten Geschäfte der Personalvermittler ordentlich an. Dabei läuft die Akquise auch in ungewohntem Terrain für Headhunter, während das Angebot an den Universitäten sich noch bescheiden ausnimmt.
Angesichts der sich beschleunigten Taktzahl bei den vielen verschiedenen regulatorischen Vorhaben aus Brüssel unter der großen Überschrift Nachhaltigkeit setzt die Finanzbranche derzeit vor allem darauf, durch viele Schulungen ihr Personal mit den neuen Anforderungen vertraut zu machen. „Ein erheblicher Teil des benötigten Personals wird inhouse weiterentwickelt. Die ESG-Anforderungen sind ja kein Hexenwerk, wenn man das grundsätzliche Business schon kennt“, sagt Karin Schambach, Gründerin und Geschäftsführerin des Personalvermittlers Indigo Headhunters. Dennoch sei das benötigte ESG-Wissen nicht mit einer einzigen Schulung oder einem Zertifikat einer Weiterbildungsstätte erreicht.
Ziel müsse ein Bewusstseinswandel der Mitarbeiter sein, so Ingo Speich, Head of Sustainability and Corporate Governance bei Deka Investment. Portfoliomanager sollten nun ESG-Aspekte bei der Entscheidungsfindung miteinbeziehen, die es in den Jahren zuvor noch nicht gegeben habe und die daher erst einmal verinnerlicht werden müssten. Insofern sind Schulungen zum Thema ESG auch in vielen Häusern verpflichtend geworden. Schließlich müsse ein grundsätzliches Firmenwissen zur Nachhaltigkeit aufgebaut werden, so Henrik Pontzen, Abteilungsleiter ESG im Portfoliomanagement von Union Investment. Die HypoVereinsbank bildet ihr Personal zusammen mit der European Business School zu zertifizierten Nachhaltigkeitsexperten aus, die Schulungen sind verpflichtend.
Headhunter formulieren es drastischer: Ohne ESG-Weiterbildung fliegen die Mitarbeiter aus dem Markt, da fundierte Kenntnisse zum Standard werden. Zugleich räumen auch die Personalvermittler ein, dass sie den massiven Personalbedarf rund um das neue Thema Nachhaltigkeit unterschätzt hätten. Denn nicht nur die Banken, Fondsgesellschaften und Versicherer haben Bedarf, ebenso die Ratingagenturen wie die Beratungsgesellschaften brauchen dieses Fachwissen. Es werden seit vergangenem Jahr jede Menge neue Posten besetzt, die es zuvor nie gab: Head of ESG, Chief Sustainable Officer usw.
Exponentielles Wachstum
„Die Nachfrage nach ESG-Talenten wächst exponentiell. Aktuell machen Stellensuchen mit klarem ESG-Bezug bei uns circa 40 % der Rekrutierung aus – Tendenz steigend“, berichtet Carsten Kröhl, Senior Client Partner bei Korn Ferry. „In den letzten zwei Jahren stand bei jeder Portfoliomanagement-Stelle, die wir besetzt haben, ESG-Kenntnisse als Anforderung mit in der Ausschreibung drin“, so Schambach.
Wenn Stellen auf Junior- oder Seniorebene extern besetzt werden sollen, sei es gar nicht so einfach, fähige Kandidaten zu finden, das Angebot sei eher dürftig, sagt Kröhl. „Es geht vor allem darum, echte Business-Strategien für die Nachhaltigkeit zu entwickeln, die sich kommerzialisieren lassen. Und es geht um ein tiefes Verständnis für die ESG-Regulierung – diese verstehen nur wenige sehr gut.“ Die vielen verschiedenen Vorstöße aus Brüssel, deren Ziel eine nachhaltige Finanzwirtschaft ist, alle in ihrer Komplexität und der schieren Menge an Seiten zu durchdringen, ist tatsächlich eine immense Aufgabe (siehe Grafik).
Zwei allgemeine Beobachtungen hat Kröhl gemacht. Angesichts des Mangels an geeigneten Bewerbern würden für Seniorpositionen auch Personen mit Juniorprofilen genommen, so dass auf der Karriereleiter locker Stufen übersprungen werden können. Zugleich sind höhere Gehaltsaufschläge möglich beim Wechsel zu einem neuen Arbeitgeber. Statt der üblichen 10 bis 20 % sind 30 bis 50 % möglich – vor allem, wenn Bewerber von außerhalb der Finanzbranche einen Zuschlag erhalten.
Denn immer häufiger würden auch Kandidaten von Umweltorganisationen den Zuschlag erhalten. „Auf der Junior-Ebene wird viel bei NGO, Non-Governmental Organisations, gesucht, etwa bei Greenpeace oder bei Amnesty International. Diese potenziellen Kandidaten haben intrinsische Motive, kommen oft aus dem Marketing, der Projektarbeit oder dem Kampagnen-Management. Sie wollen etwas bewegen und lassen sich dann für einen Wechsel in die Finanzbranche gewinnen, wenn sie dort die Dinge selbst in die Hand nehmen können“, erläutert Kröhl.
Diese Kandidaten bringen nicht nur Wirtschaftswissenschaften als Studiengänge mit, sondern auch Medizin oder Biologie. Allerdings ist der Wechsel zwischen diesen Organisationen und der Finanzbranche kein Selbstläufer, stehen doch hier durchaus Ideologien und Feindbilder im Kopf im Weg. „Kandidaten, die von einer NGO kommen, sind nicht ohne Weiteres für jede Stelle geeignet. Viele haben Probleme bei der Vorstellung, dass es um Profit geht, die Positionen in der Finanzbranche sind zu weit weg von den eigenen Denkmustern“, meint daher Schambach.
Kröhl dagegen hat die Erfahrung gemacht, dass diese Barrieren im Kopf überwindbar sind – auf beiden Seiten. Beispielsweise, wenn die Bewerber aus der Welt der NGO das Gefühl hätten, dass ihre Ideologien in dem Finanzunternehmen berücksichtigt würden und es um Stellen gehe, wo diese Kandidaten auch Dinge bewegen könnten.
Auf höherer Ebene dagegen findet die Personalsuche auf andere Weise statt. „Bei den Seniorpositionen wird gerne von Beratungsgesellschaften abgeworben, diese haben spezielle Beratungseinheiten zur Nachhaltigkeit gebildet. Überwiegend aber werden die Seniorpositionen eher mit Eigengewächsen besetzt, die sich in den vergangenen Jahren in diese Richtung entwickelt haben“, sagt Kröhl. Da ESG allerdings ein neuer Aspekt in der Finanzbranche ist, lässt sich beileibe auch noch nicht sagen, welche Standards bei der Personalsuche gelten. „Es gibt kein Standardprofil, weil es eine neue Anforderung ist, daher gibt es auch keine Benchmark, woran man den besseren Kandidaten erkennen könnte“, gibt Kröhl zu bedenken.
Bald als Risikomanagement?
Zudem ist auch noch eine andere Entwicklung erkennbar: „Bislang war das Thema Nachhaltigkeit grundsätzlich positiv besetzt und galt als sinnstiftend über das eher dröge Finanzbusiness hinaus. Jetzt dämmert vielen, dass es ein immer stärker regulatorisch getriebenes Thema wird sowie Reputationsrisiken drohen, siehe DWS. Damit könnte ESG Teil des Risikomanagements werden. Und gerade für den Bereich des Risikomanagements haben die Bewerber noch nie Schlange gestanden“, stellt Schambach fest.
Auch an den Universitäten ist ESG mittlerweile angekommen. Es gibt aber erst wenige Studiengänge oder Spezialisierungen zur Nachhaltigkeit. An der Universität Kassel z.B. gibt es einen eigenen Lehrstuhl zum Thema nachhaltige Finanzwirtschaft. Andere BWL-Professoren nehmen den Schwerpunkt Sustainable Finance mit dazu.
Gerade die Kombination der klassischen Finanzgrundlagen mit den neuen ESG-Aspekten gilt für eine künftige Karriere in der Finanzbranche als vielversprechend. Das Interesse der Studierenden jedenfalls ist gewaltig: Wenn es ESG-Angebote an den Unis gibt, kommt ein Vielfaches an Bewerbungen auf die wenigen Plätze herein.