Neue Verkehrsknotenpunkte als Investitionschancen
Investoren legen beim Kauf von Büroimmobilien großen Wert auf eine gute Verkehrsanbindung. Allerdings stößt der motorisierte Individualverkehr in den europäischen Metropolregionen immer mehr an seine Grenzen. So summierte sich 2017 die Gesamtlänge aller Staus in Deutschland gemäß ADAC auf rund 1,45 Mill. Kilometer. Dies entspricht einem Zuwachs von 5 % im Vergleich zum Vorjahr. Der Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) gewinnt daher weiter an Bedeutung und ist zwingend notwendig, um dem Verkehrskollaps zu entgehen.Viele Städte in Europa erweitern deshalb ihre S- und U-Bahn-Netze auch vor dem Hintergrund des anhaltenden Bevölkerungswachstums. Großprojekte finden sich zum Beispiel in London, Paris, Amsterdam, Wien und Berlin. Von den neu gebauten Strecken und Bahnhöfen profitieren auch die angrenzenden Immobilienmärkte. Prominentes BeispielEin prominentes Beispiel für die Aufwertung von Immobilienteilmärkten durch Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs sind die Großprojekte Crossrail 1 und 2 in London. Crossrail 1, die sogenannte “Elizabeth Line”, soll im Herbst 2019 in Betrieb gehen. Diese soll die bestehenden elf Linien, die täglich 4,8 Millionen Passagiere transportieren, entlasten. Kernstück dieser West-Ost-Verbindung ist ein 21 Kilometer langer Abschnitt mit mehreren Tunneln zwischen den Fernbahnhöfen Paddington und Stratford beziehungsweise Canary Wharf. Die Linie berührt alle klassischen Büroteilmärkte in Central London: West End, Midtown, City und Docklands. Insbesondere Bürostandorte im Norden und Osten der City profitieren von der besseren Anbindung.In Clerkenwell, Shoreditch und Aldgate haben sich in den vergangenen Jahren verstärkt Unternehmen des Technologie- und Mediensektors sowie viele Start-ups niedergelassen, was zu einem Anstieg der Mieten führte. Neben einer Verkürzung der Fahrzeiten sorgt die “Elizabeth Line” für eine schnelle Anbindung des Flughafens Heathrow an die zentralen Lagen. Die Gesamtkosten belaufen sich auf rund 15 Mrd. britische Pfund (16,8 Mrd. Euro).Etwas weiter in die Zukunft weist das Projekt Crossrail 2. Diese Nord-Süd-Verbindung soll die von Surrey kommende South Western Main Line mit der West Anglia Main Line in Richtung Cambridge verknüpfen. Am Bahnhof Tottenham Court Road würde sie die “Elizabeth Line” kreuzen. An dieser Strecke liegen sowohl die noch vergleichsweise jungen Büroteilmärkte um die Fernbahnhöfe King’s Cross, St. Pancras und Euston als auch die etablierte Lage um die Victoria Station. Dieser Teilmarkt befindet sich im Wandel.Stellten früher aufgrund der Nähe zu Parlament und Buckingham Palace vor allem Ministerien und Behörden traditionell die Hauptmieter, sind es inzwischen Handel, Industrie, Finanz- und Beratungsdienstleister. Die Victoria Station wird derzeit für 700 Mill. Pfund einer Sanierung und Erweiterung unterzogen. Die Bedeutung des Bahnhofs wird durch das Projekt Crossrail 2 weiter zunehmen. Dessen Baubeginn ist für 2023 vorgesehen, die Inbetriebnahme soll in den frühen 2030er Jahren erfolgen. Die Kosten belaufen sich auf voraussichtlich 31 Mrd. Pfund (34,7 Mrd. Euro). Projekt “Grand Paris Express”In Paris sollen mit dem Infrastrukturprojekt “Grand Paris Express” rund 23 Mrd. Euro in den Ausbau des Nahverkehrs fließen. Das Metronetz der französischen Hauptstadt umfasst 14 Linien, die täglich von 4,2 Millionen Menschen genutzt werden. Das bestehende Netz ist überwiegend radial ausgerichtet, vor allem im Außenbereich gibt es nur wenige Querverbindungen zwischen den einzelnen Linien. Wichtigster Bestandteil des Projektes “Grand Paris Express” ist daher die Ringlinie 15, die das flächenmäßig eng begrenzte Pariser Stadtgebiet (105 km2) auf einer Länge von 75 Kilometern umrundet und damit in erster Linie die direkt angrenzenden Gemeinden erschließt.An fast jedem neuen Bahnhof wird es eine Umsteigemöglichkeit zur Metro, RER (S-Bahn), Transilien (Vorortzüge) oder Straßenbahn geben. Die Ringlinie führt sowohl durch länger etablierte Büroteilmärkte wie zum Beispiel La Défense oder Issy-les-Moulineaux als auch neuere Lagen in der Première Couronne wie Asnières/Gennevilliers oder St. Denis, wo das Olympische Dorf für die Sommerspiele 2024 entsteht. Auch die östlichen Vororte von Paris, in denen es bisher keine nennenswerten Bürostandorte gibt, profitieren vom Ausbau der Infrastruktur. Neben der Ringlinie sind vier weitere neue Metrolinien sowie die Verlängerung von zwei bestehenden Linien geplant. Die Realisierung soll abschnittsweise bis 2030 erfolgen, die Kosten werden mit insgesamt 23 Mrd. Euro veranschlagt.Noord/Zuidlijn Amsterdam: Die im Jahr 1977 eröffnete und vergleichsweise junge U-Bahn in Amsterdam war bisher vor allem auf die Verbindung zwischen dem Stadtzentrum sowie den großen Wohngebieten im Südosten ausgerichtet. Ende Juli 2018 ging die neue Nord-Süd-Linie in Betrieb, die auf einer Länge von 9 Kilometern die Wohngebiete nördlich des IJ-Gewässers mit der Centraal Station und dem Bahnhof Zuid verbindet. Sie kommt vor allem den Büroteilmärkten Zentrum, Oud-Zuid und Zuidas (Südachse) zugute. Die neue U-Bahn-Linie stärkt zusätzlich auch die 1-a-Lage der niederländischen Metropole, denn sie verläuft parallel zur Kalverstraat und deren Seitenlagen Damrak und Rokin. Wienerberg muss noch wartenU-Bahn-Linie 2 Wien: Die U-Bahn in der Donaumetropole transportiert auf ihren fünf Linien 1,2 Millionen Passagiere pro Tag und befindet sich in der vierten Ausbaustufe. Einige Wiener Büroteilmärkte wären ohne die U-Bahn nie entstanden. Beispiele hierfür sind Erdberg-St. Marx (U 3) seit den 1990er Jahren oder der Standort am nördlichen Rand des Praters (U 2) seit 2008. Andererseits gibt es etablierte Teilmärkte, die bis heute noch keinen U-Bahn-Anschluss haben und sich durch ihn einen neuen Entwicklungsschub erhoffen.Der Wienerberg, dessen Hochhaus-Ensemble das südliche Eingangstor nach Wien darstellt, muss noch bis circa 2026 warten. Dann dürfte die Verlängerung der Linie 2, die am Rathaus beginnt, den Betrieb aufnehmen. Sie verknüpft in ihrem Verlauf bereits bestehende Bahnhöfe der Linien 3 und 4 und erhält vier neue Stationen. Am Wienerberg entstehen bereits jetzt nicht nur neue Bürogebäude und Hotels, sondern auch ein neues Wohnviertel mit direkter Anbindung an ein großes Erholungsgebiet.U-Bahn-Linie 5 Berlin: Die Büromieten in Berlin steigen dank Hauptstadt-Boom auch ohne neue U-Bahn-Linien. Dennoch stellt der Lückenschluss der U 5 zwischen Alexanderplatz und Brandenburger Tor eine deutliche Verbesserung der bisherigen Situation dar, indem er den Hauptbahnhof und damit den Bürostandort Europacity vollwertig in das Berliner U-Bahn-Netz integriert und außerdem die besten Bürolagen in Mitte in Ost-West-Richtung erschließt. Auf 2,2 Kilometern entstehen die drei neuen Stationen Unter den Linden, Museumsinsel und Rotes Rathaus. Ende 2020 soll der neue Streckenabschnitt den Betrieb aufnehmen.Fazit – Die Liste der Projekte ließe sich beliebig fortsetzen, zum Beispiel mit dem Neubau der Metrolinie 4 (Blue Line) in Mailand, der West-Metro in Helsinki oder dem U-Bahn-Ring (Cityringen) in Kopenhagen. Festzuhalten bleibt, dass ein Ausbau der Infrastruktur insbesondere beim Öffentlichen Personalnahverkehr zu einer nachhaltigen Standortaufwertung führt. Dies untermauern die zahlreichen Investitionsprojekte im Umfeld neuer Bahnhöfe, wodurch sich zum Beispiel neue Büroteilmärkte etablieren. Der Einfluss von Verkehrsprojekten auf die Mietentwicklung lässt sich zwar nicht exakt messen, da eine Reihe von anderen Faktoren eine Rolle spielt, wie zum Beispiel das Marktumfeld oder die wirtschaftliche Entwicklung. Gerade die Erfahrungen mit Projekten wie der “Elizabeth Line” in London zeigen jedoch, dass die Erreichbarkeit eines Standortes maßgeblich die Entscheidung von Unternehmen beeinflusst, wo sie sich ansiedeln.—-Andreas Wellstein, Senior-Immobilienanalyst bei der DekaBank