Neues aus Neverland
Von Andreas Hippin, London
Der sechsmonatige Feldversuch mit der Viertagewoche bei vollem Lohnausgleich, an dem sich 61 britische Unternehmen beteiligten, war den Auftragsforschern von Boston College, University College Dublin und der Universität Cambridge zufolge ein „überwältigender Erfolg auf fast allen Ebenen“. Sie begleiteten das Experiment im Auftrag der 4 Day Week Global Foundation. Doch wirft ihr Bericht mehr Fragen auf, als er beantwortet. Wenn es sich um eine so bahnbrechende Neuerung handelt, warum haben sich am Ende des Feldversuchs weniger als ein Drittel (18) der beteiligten Organisationen entschieden, die Viertagewoche zur permanenten Einrichtung zu machen?
Nicht einmal die gemeinnützige Verbraucherberatung Citizens Advice aus Gateshead war dazu bereit. Für den Großteil des Geschäfts habe es funktioniert, sagte CEO Alison Dunn der BBC. Doch habe sie zusätzliche Arbeitskräfte benötigt, um das Kontaktzentrum besetzen zu können. Sie hoffe, dass sich der finanzielle Aufwand durch niedrigere Kosten für die Anwerbung von Personal, Mitarbeiterbindung und krankheitsbedingte Ausfälle rechne. Aber das sei noch „work in progress“.
Der ehemalige Labour-Chef Jeremy Corbyn, ein in die Jahre gekommener Peter Pan der radikalen Linken, versprach im Wahlkampf 2019, die Viertagewoche einzuführen. John McDonnell, der gerne Schatzkanzler geworden wäre, war der Meinung, dass sich das ohne Lohnabstriche machen ließe. Einer seiner Berater, Joe Ryle, steht an der Spitze der Kampagne 4 Day Week UK. Er macht zudem PR für die linke Denkfabrik Autonomy, die Research zuliefert.
Es lohnt sich, einen Blick auf die Liste der teilnehmenden „Unternehmen“ zu werfen. Bei denen, die namentlich genannt werden wollten, handelt es sich oft um gemeinnützige Organisationen oder kleine Marketing- und PR-Firmen. Auch ein paar Finanzdienstleister sind dabei: die Ethikbank Charity Bank aus Tonbridge, die Verbraucherkreditgesellschaft Evolution Money aus Manchester und der Londoner Versicherungsmakler Furness Insurance Services. Die Zusammensetzung der Beschäftigten der beteiligten Unternehmen zeigt, dass es sich bei der Viertagewoche wohl um ein Incentive für Akademiker mittleren Alters handelte, deren Tätigkeiten sich auf vier Arbeitstage verdichten lassen. Fast drei Viertel waren Weiße, mehr als zwei Drittel verfügten über mindestens einen Bachelor-Abschluss. Sie waren selbstredend begeistert, für vier Tage ebenso viel bezahlt zu bekommen wie zuvor für fünf. Symptome für Stress und Burnout ließen nach, die Arbeitszufriedenheit stieg. Insgesamt sprachen sich 97 % der Beschäftigten dafür aus, mit der Viertagewoche weiterzumachen.
Gerne würde man wissen, welche Erfahrungen man bei dem Fish and Chip Shop aus Norfolk oder der Londoner Pressure Drop Brewing mit der Viertagewoche gemacht hat. Das würde zeigen, ob es sich dabei wirklich um ein Modell handelt, das in die Realwirtschaft übertragen werden kann. Doch so richtig funktioniert es wohl nur in Neverland.