LEITARTIKEL

Out of Griesheim

Armin Pabst wirkt wie die Inkarnation von Bedächtigkeit. Dramatisierend auf den Putz zu hauen ist nicht sein Ding. Und so entschuldigt sich der Vorstandsvorsitzende der Volksbank Griesheim erst einmal dafür, dass er "ein bisschen erregt" ist, wenn...

Out of Griesheim

Armin Pabst wirkt wie die Inkarnation von Bedächtigkeit. Dramatisierend auf den Putz zu hauen ist nicht sein Ding. Und so entschuldigt sich der Vorstandsvorsitzende der Volksbank Griesheim erst einmal dafür, dass er “ein bisschen erregt” ist, wenn er über die “haarsträubende Belastung” durch die Zinspolitik der EZB und den “Moloch Bankenregulierung” spricht sowie darüber, “wie uns der Hals zugeschnürt wird durch die Regulatorik”. Doch einer Dramatisierung bedarf es auch gar nicht. Pabst, ein 60-jähriger Genossenschaftsbanker mit Leib und Seele, muss nur wenige Zahlen nennen, um am Beispiel seiner vor Ertrags- und Kapitalkraft strotzenden, 35 Mitarbeiter beschäftigenden Bank aus einem Stadtteil im Westen Frankfurts deutlich werden zu lassen, was gerade in der deutschen Kreditwirtschaft passiert: die mutwillige Zerstörung etablierter und bewährter Strukturen. Im Durchschnitt 15 (in Worten: fünfzehn!) aufsichtliche Rundschreiben, teils mit seitenlangen Anlagen, gehen arbeitstäglich bei der – nach Bilanzsumme – Nummer 563 der deutschen Kreditgenossenschaften ein. 15 Schreiben, die zunächst mal auf ihre Relevanz geprüft sein wollen, denn die Aufsicht gilt als eher humorlos. Lebte Neil Postman noch, könnte er ein neues Hauptwerk schreiben: “Wir regulieren uns zu Tode.”Derweil sind bei der aktuellen Zinsumfrage der Finanzaufsicht BaFin und der Bundesbank auch von der Volksbank Griesheim kurzfristig 1 200 (eintausendzweihundert!) Datenfelder auszufüllen. Dabei kann Pabst von Glück reden, dass sein Haus nicht obendrein noch für die parallel laufende Umfrage der EZB bei hierzulande 40 national beaufsichtigten “nichtsignifikanten” Instituten auserwählt wurde.Die seit vielen Jahren im positiven Sinne unauffällige Miniaturbank, die, wie Pabst glaubhaft versichert, “keine Leichen im Keller” hat und sich nun mit der Frankfurter Volksbank verbandeln will, ist eines aus der Legion genossenschaftlicher Primärinstitute, die resignieren und ihre Selbständigkeit aufgeben. Knapp 50 waren es im vorigen Jahr, etwa 80 dürften es 2017 werden. Die Fusionitis grassiert in sämtlichen Größenklassen, es gibt auch Dreier- und Viererfusionen, und sogar sogenannte Sprungfusionen von Häusern, deren Geschäftsgebiete nicht aneinandergrenzen, sind nicht mehr tabu. Selbstredend müssen strukturelle Umbrüche wie der Konzentrationsprozess von rund 12 000 Volks- und Raiffeisenbanken, Sparda- und PSD Banken noch etwa Mitte des vorigen Jahrhunderts auf aktuell 972 Institute nicht per se schlecht sein. Märkte und Kundenbedürfnisse verändern sich, und heute darf auch das Geschäftsgebiet einer “Ortsbank” durchaus weiter reichen als von einer Milchkanne bis zur nächsten. Gerade die Erben der genossenschaftlichen Urväter Raiffeisen und Schulze-Delitzsch haben die Entwicklung ja unter Leitgedanken wie “Bündelung der Kräfte” und “Ein Markt – eine Bank” bewusst forciert. Die Orientierungsmarke von bundesweit 800 Kreditgenossenschaften, die sich der Verbund auf der legendären Mitgliederversammlung 1999 in Garmisch-Partenkirchen auf Zehnjahressicht selbst gesetzt hat, wird frühestens 2018 erreicht sein.Von der Mikroebene aus betrachtet sind Bankfusionen ebenfalls nicht von vornherein kritikwürdig. Es ist auch nicht unbedingt suspekt, wenn sich zwei Häuser gerade aus einer jeweiligen Position der Stärke heraus zusammentun. Die Bündnisse können für die Beteiligten und alle ihre Stakeholder – Kunden, Eigentümer, Beschäftigte und das auf vielfältige Weise geförderte gesellschaftliche Umfeld – von Vorteil sein, umso mehr wenn man dabei so verantwortungsvoll handelt, wie es die Frankfurter Volksbank traditionell praktiziert, indem sie Geschäftsstellen und Marke der Partnerbanken erhält, soziales oder kulturelles Engagement fortsetzt und die Beschäftigten als “Schutzbefohlene” behandelt. “Betriebsbedingte Kündigung” ist für die mitgliederstärkste deutsche Volksbank seit ihrer Gründung vor 155 Jahren ein Fremdwort – auch nach Fusionen.Was extrem stört, ist die Tatsache, dass solche Verbindungen heute meist nicht in freier unternehmerischer Entscheidung zustande kommen, sondern von außen erzwungen werden. Man muss kein unverbesserlicher Nostalgiker sein, um zu beklagen, dass hier lebendige und gesunde wirtschaftliche Einheiten – koste es, was es wolle – von der Negativzins- und Regulierungsmaschine weggewalzt werden. Damit ist am Ende das ganze dezentral ausgerichtete Geschäftsmodell bedroht, das ja – die Frankfurter-Volksbank-Chefin Eva Wunsch-Weber erinnerte daran – in Europa ohnehin als Exot gilt. So gesehen taugt der exemplarische Fall “Out of Griesheim” weder als Komödie noch als Kultfilm.——–Von Bernd WittkowskiDie Negativzins- und Regulierungsmaschine walzt nicht nur gesunde Banken weg, sondern bedroht das ganze dezentrale Geschäftsmodell der Kreditgenossen.——-