Politische Risiken treiben Investoren um
Von Stefan Paravicini, Berlin
Als das Amt für Statistik vor einigen Tagen die jüngsten Baugenehmigungszahlen für Berlin veröffentlichte, staunte mancher Beobachter der politischen Debatte über die angespannte Situation auf dem Wohnungsmarkt in der Hauptstadt nicht schlecht. Denn im ersten Halbjahr wurden in Berlin Baugenehmigungen für gerade einmal 9150 Wohnungen erteilt. Das sind fast 30% weniger als in der ersten Jahreshälfte 2020. Dabei fehlen in Berlin wegen der unzureichenden Bautätigkeit in den vergangenen Jahren schon heute mehr als 70000 Wohnungen, wie die Deutsche Bank in einer Studie zur Berliner Wohnungspolitik wieder einmal vorgerechnet hat. Die Folge des andauernden Nachfrageüberhangs sind rasant steigende Mieten, die das gesellschaftliche und politische Klima seit Jahren aufheizen. Erst Anfang August hat das Immobilienportal „Immowelt“ die Entwicklung der Angebotsmieten für 80 Städte in Deutschland seit 2016 ausgewertet und für Berlin ein Plus von 42% festgestellt. In keiner anderen Stadt haben die Mieten in den vergangenen fünf Jahren demnach schneller zugelegt, obwohl der Berliner Senat im Juni 2019 den Mietendeckel verfügte, der im Frühjahr dieses Jahres dann vom Bundesverfassungsgericht kassiert wurde.
Wohnungspolitik gescheitert
„Die Zahlen belegen einmal mehr, dass die aktuelle Wohnungsbaupolitik in Berlin krachend gescheitert ist. Statt den angespannten Wohnungsmarkt zu entlasten, verschärft sich die Lage weiter“, schimpfte Jan Eder, Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer (IHK) Berlin, nach der Veröffentlichung der Baugenehmigungen. „Die Berliner Zahlen haben es in sich“, sagte Maren Kern, Vorständin des Verbands Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU). Dahinter stecke eine unzureichende personelle und technische Ausstattung der Bauämter, vor allem aber das schlechtere Neubauklima in der Stadt. Insbesondere der zwischenzeitlich gescheiterte Mietendeckel sowie die Diskussion rund um das Volksbegehren „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ hätten zu diesem Klima beigetragen.
„Investoren sind immer noch genug da, das Land Berlin hat aber zu wenig Baugenehmigungen erteilt“, stellt Jörg Widhalm, Bereichsleiter und Generalbevollmächtigter der Berliner Volksbank für den Bereich Immobilienkunden und Infrastruktur, nüchtern fest. Bei rund 1,9 Millionen Wohnungseinheiten in Berlin müssten jährlich etwa 19000Wohnungen gebaut werden, um den Bestand zu erhalten, rechnet der Immobilienexperte vor. „Wenn nicht mindestens 25000 Wohnungen pro Jahr gebaut werden, wird es nicht gelingen, die Preise stabil zu halten“, betont Widhalm.
Volksbegehren gestartet
Am 26. September wird sowohl über das Volksbegehren „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ als auch – im Rahmen der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus – über die Wohnungspolitik des Berliner Senats abgestimmt. Sollte die rot-rot-grüne Koalition bestätigt werden, drohen nach Einschätzung vieler Marktbeobachter weitere Regulierungsschritte wie die Ende Juli beschlossene Genehmigungspflicht für die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen im Rahmen der Verordnung zur Umsetzung des Baulandmobilisierungsgesetzes. „Auch mit dieser Regelung wird keine einzige neue Wohnung in der Stadt geschaffen. Vielmehr geht der Berliner Senat erneut auf Konfrontationskurs. Dabei kann die Lösung nur in einem Miteinander mit der Bau- und Immobilienbranche liegen“, sagt Sven Weickert, Geschäftsführer der Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg (UVB). „Es braucht eine Bauoffensive mit vereinfachten Vorschriften und schnelleren Genehmigungen. Wir werden erst dann Entspannung auf dem Wohnungsmarkt sehen, wenn die Zahl der fertiggestellten Wohnungen schneller steigt als die Nachfrage nach Wohnraum“, betont Weickert die Bedeutung von Verbesserungen auf der Angebotsseite.
Mietendeckel und Enteignung seien nur Nebenschauplätze, sagt auch Burkhard Rhein, UVB-Abteilungsleiter für Industrie-, Energie- und Infrastrukturpolitik. „Das eigentliche Problem ist ein signifikanter Nachfrageüberhang, der weiter Bestand hat.“ Er sehe kein Bemühen des derzeitigen Senats, das Thema offensiv anzugehen und dabei auch die privaten Projektentwickler einzubeziehen, sagt Rhein.
Runder Tisch gefordert
Nicht nur die Unternehmerlobby wünscht sich nach dem Konfrontationskurs der vergangenen Jahre wieder mehr Miteinander in der Berliner Wohnungspolitik. „Die Immobilienbranche ist bereit, an den Runden Tisch zu kommen, und hat der Politik auch immer wieder kommuniziert, dass wir gemeinschaftliche Lösungen finden wollen“, sagt Sascha Klaus, Vorstandsvorsitzender des Immobilienfinanzierers Berlin Hyp. Am Ende müsse alles unter der Devise stehen, schneller mehr Wohnraum zu schaffen.
Allerdings sorgt sich auch der Berlin-Hyp-Chef wegen der politischen Risiken. „Ich glaube, man wird sich nicht mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zufriedengeben. Es gibt Parteien, die eine stärkere Regulierung verlangen bis hin zu signifikanten Eingriffen in den freien Markt. Ich kann vor signifikanten Eingriffen nur warnen“, sagt Klaus. Das würde nur Investoren abschrecken und den Zielen entgegenstehen, die man eigentlich gemeinsam erreichen wolle.
Als Vorbild nennt Klaus Hamburg, wo Politik und Immobilienwirtschaft gemeinsam Quartiersentwicklungen inklusive Verkehrskonzepten planten. „Das ist für mich eines der erfolgreichsten Beispiele in Deutschland“, sagt der Vorstandsvorsitzende der Berlin Hyp. Bei den UVB sieht man es genauso. „Das Positivbeispiel ist Hamburg, dort läuft es sehr viel harmonischer“, sagt Rhein. Auch die Deutsche Bank rät in ihrer Studie zu mehr Kooperation und schlägt Berlin einen Runden Tisch vor, um langfristige Baubedarfspläne mit den Unternehmen abzustimmen.
Ob es dazu kommt, hängt vor allem vom Ausgang der Wahl im September ab. Bis dahin dürfte das Klima unter großen privaten Investoren auf dem Berliner Immobilienmarkt „ambivalent“ bleiben, wie die Investitionsbank Berlin (IBB) die Stimmung beschreibt. Die Unternehmen seien grundsätzlich weiter bauwillig. „Gleichwohl beobachten sie aufmerksam die politischen Unwägbarkeiten, nicht zuletzt aufgrund der Diskussion um Enteignungen“, heißt es bei der Förderbank. Für spürbare Unsicherheit und Zurückhaltung sorge diese Debatte vor allem bei kleineren privaten Investoren. „Bis vor kurzem war es gerade die Mietendeckelthematik, die die Neubauaktivitäten dieser Klientel gedrückt hat.“
Auch wenn es um den Erwerb bestehender Mietshäuser geht, sorge das politische Klima bei einigen Investoren für Zurückhaltung. Es gebe allerdings auch jene, die sich davon unbeeindruckt zeigten, da sie nicht an die rechtliche Zulässigkeit der Enteignungsbestrebungen glauben und weitere Mietsteigerungspotenziale antizipieren. „Das Investorenverhalten hat sich mit der Enteignungsdiskussion verändert“, fasst Widhalm aus Sicht der Berliner Volksbank zusammen. Die internationalen Investoren, aber auch nationale Investoren seien teilweise ausgeblieben. „In Summe ist weniger Investitionsbereitschaft da als vorher“, sagt Widhalm.
Wohnungseigentum gesucht
Bei Eigentumswohnungen sei das Investitionsklima im Neubau nach wie vor eher positiv, schreibt die IBB. Beim Erwerb bestehenden Eigentums, insbesondere bei Eigentumswohnungen, bestehe ebenfalls hohe Nachfrage. Wegen der erschwerten Umwandlungsmöglichkeiten von Miet- in Eigentumswohnungen werde es aber gerade für junge Familien schwieriger, Wohneigentum aus dem Bestand zu erschwinglichen Preisen zu finden. „Die Konsequenz ist eigentlich, dass man den Bestand an Eigentumswohnungen einfriert“, beschreibt Magnus Andres, Leiter Immobilien & Finanzierungen bei der Weberbank, die Wirkung der Regulierung. Das führe zu einer Verknappung von Eigentumswohnungen und nehme sowohl Mietern als auch kleinen privaten Investoren die Chance, Eigentum zu moderaten Preisen zu erwerben.
„Die Preisentwicklung kennt nur eine Richtung“, beobachtet Andres auch für die Nobelbezirke im Berliner Südwesten, wo die Kunden der Privatbank derzeit besonders häufig Objekte suchen. Das Kapital suche Anlagemöglichkeiten, Zinsen seien nicht vorhanden, und Renditeobjekte verlören im Zuge der Umsetzung des Baulandmobilisierungsgesetzes an Attraktivität, weshalb private Investoren nach Immobilien zur Eigennutzung suchten und nach den Erfahrungen aus der Corona-Pandemie auf Balkon oder besser noch eigenen Garten Wert legten.
Einen Corona-Effekt beobachtet auch Roland Woelk, Leiter des Immobiliencenters Potsdam der Mittelbrandenburgischen Sparkasse. So habe in den vergangenen eineinhalb Jahren neben dem Blick ins Grüne auch die Anbindung an ein leistungsfähiges Internet weiter an Bedeutung gewonnen – Stichwort Homeoffice. Manche Firma aus Berlin suche Büroflächen im Umland. Große Anziehungskraft etwa auf Logistikunternehmen entfalte der neue Hauptstadtflughafen BER im Landkreis Dahme Spreewald.
Potsdam und Umland gefragt
„Der Potsdamer Immobilienmarkt und das Umland haben sich in den vergangenen Jahren sehr positiv entwickelt“, sagt Woelk. Die Preise in Potsdam hätten sich in den vergangenen fünf Jahren glatt verdoppelt. „Wir werden weiter profitieren, dass Berlin bei der Bereitstellung von Wohnraum nicht hinterherkommt“, ist Woelk überzeugt. Die Zahl der Baugenehmigungen in Brandenburg hat im ersten Halbjahr übrigens um ein Fünftel zugelegt.