GASTBEITRAG

Regionalbanken müssen verhältnismäßig reguliert werden

Börsen-Zeitung, 15.10.2016 Über Europas Banken ist in den vergangenen Jahren eine Regulierungswelle hinweggerollt. Mehr als 400 europäische Gesetze und dazugehörige Durchführungsbestimmungen wurden seit der Finanzkrise erlassen oder grundlegend...

Regionalbanken müssen verhältnismäßig reguliert werden

Über Europas Banken ist in den vergangenen Jahren eine Regulierungswelle hinweggerollt. Mehr als 400 europäische Gesetze und dazugehörige Durchführungsbestimmungen wurden seit der Finanzkrise erlassen oder grundlegend überarbeitet. Ziel war es, die Widerstandskräfte des europäischen Finanzsystems zu stärken. Unbestritten wurde in dieser Hinsicht viel erreicht. Die Gesamtbilanz der Regelungswut fällt aber trotzdem nicht rosig aus. Ungleich höher belastetDie Gesetzgeber haben es nämlich versäumt, das “Nach-Krisen”-Regelwerk auf Unzulänglichkeiten abzuklopfen. Inkonsistenzen und Redundanzen traten deshalb erst in der Praxis zutage. Darüber hinaus scheren viele der neuen Finanzmarktgesetze alle Banken über einen Kamm. Das führt zu der Nebenwirkung, dass Regionalbanken ungleich höher belastet werden als große Institute. So haben sich beispielsweise bei den 269 bayerischen Volksbanken und Raiffeisenbanken die Regulierungskosten auf mittlerweile 138 Mill. Euro pro Jahr hochgeschraubt. Das macht 5 % ihrer Betriebskosten aus und entspricht 10 % des letztjährigen Betriebsergebnisses der Institute. Diese Kostenbelastung liegt jenseits dessen, was verträglich ist. In der Praxis bedeutet das, dass sich Bankmitarbeiter immer öfter mit Regulierungsvorschriften herumschlagen müssen. Das Kundengeschäft rückt in den Hintergrund. Für jede Stunde Marktbearbeitung müssen die bayerischen Volksbanken und Raiffeisenbanken mittlerweile 50 Minuten Marktfolgetätigkeit einrechnen – mit steigender Tendenz. Und das trotz fortschreitender Automatisierung. Vor zehn Jahren waren es noch 40 Minuten.Abgesehen davon reicht der Schaden, den die übermäßigen Bürokratiekosten verursachen, weit über den Finanzsektor hinaus. Denn auch die Realwirtschaft ist betroffen, wenn der zunehmende Regulierungsaufwand den Eigenkapitalaufbau der Banken erschwert. Jeder Euro, den die Maßnahmen die Institute kosten, steht schließlich nicht mehr für die Stärkung der Eigenkapitalbasis zur Verfügung. Das wiederum begrenzt ihre Möglichkeiten, Kredite an den Mittelstand auszureichen. Das sind keine guten Vorzeichen für Wachstum und Beschäftigung. Schließlich reichen Sparkassen und Genossenschaftsbanken bislang knapp die Hälfte aller Mittelstandskredite in Bayern aus.Die Zeit ist überreif für mehr Verhältnismäßigkeit in der Finanzmarktregulierung. Die Vielfalt im deutschen Bankenmarkt erfordert eine angemessene und faire Regelsetzung, die Größe, Geschäftsmodell und Risikomodell der verschiedenen Institute gerecht wird. Bislang fällt viel zu häufig unter den Tisch, dass beispielsweise Melde- und Offenlegungspflichten kleine und mittlere Häuser erheblich stärker treffen als große systemrelevante Institute. Die Regulierungsmaßnahmen müssen daher stärker als bisher am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ausgerichtet werden.Diese Auffassung teilen Vertreter aus Politik und Aufsicht zunehmend. So hat Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble im Frühjahr ein Arbeitspapier vorgelegt, das regulatorische Erleichterungen für kleine Banken fordert. Schäuble fasste dieses Konzept unter dem Schlagwort “Small Banking Box” zusammen. Die Unionsfraktion im Bundestag griff die Ministeridee in einem kürzlich verabschiedeten Positionspapier auf. Darin dringen die Abgeordneten darauf, “kleinere, nicht international tätige Banken wegen ihrer verminderten systemischen Risikoanfälligkeit und Komplexität von belastenden Regeln” auszunehmen. Diese Initiative für mehr Verhältnismäßigkeit ist richtig und sollte in konkrete Maßnahmen gemünzt werden. Doch in welche? Was gehört in die “Small Banking Box”?Im Genossenschaftsverband Bayern haben wir uns intensiv damit beschäftigt und Handlungsvorschläge in einem Positionspapier festgehalten. Ziel ist es, die Institute von Vorschriften zu befreien, die einen hohen Aufwand verursachen, aber keinen wesentlichen Beitrag zur Finanzstabilität und zu anderen Aufsichtszielen leisten. Gelegenheit, diesen Ansatz umzusetzen, bietet beispielsweise die von der EU-Kommission geplante Überarbeitung der Eigenkapitalregelwerke CRR und CRD IV. Darin sind mehrere Vorschriften verankert, die Ansatzpunkte für eine Vereinfachung der Regulierungsanforderungen bieten. Die folgenden Beispiele zeigen das.Erhebliches Verbesserungspotenzial besteht etwa im Beseitigen überflüssiger Offenlegungsvorschriften. Insbesondere die komplexen Anforderungen zur Veröffentlichung bestimmter Kennzahlen in einem Offenlegungsbericht – zusätzlich zum Jahresabschluss – schießen für Regionalbanken deutlich über das Ziel hinaus. So sollen rund 80 Einzelpositionen zu den Eigenmitteln gemeldet werden. Der daraus resultierende Aufwand steht bei kleineren Banken jedoch in keinerlei Verhältnis zum Nutzen. Denn Zielgruppe ihrer Berichte sind in der Regel Privatpersonen und keine institutionellen Investoren oder Ratingagenturen.Auch das Gewirr an Meldepflichten belastet kleinere Institute zunehmend und sollte vereinfacht werden. Bürokraten mögen sich zwar daran erfreuen können, dass manche Firmenkredite demnächst einer vierfachen Meldepflicht unterliegen: im Rahmen des Großkreditmeldewesens, des Millionenkreditmeldewesens, der Kreditnehmerstatistik und der umstrittenen EZB-Datenbank Anacredit. Doch für Regionalbanker sind diese Anforderungen ein echtes Ärgernis, weil sie erhebliche Mehrarbeit und damit Kosten verursachen. Ziel muss es sein, den Aufwand durch einheitliche Meldesystematik und -termine deutlich zu reduzieren.Ein weiterer Ansatzpunkt: Kennziffern, die sich nur mit großem Auf-wand ermitteln lassen, zugleich aber keinen echten Mehrwert bieten. Ein Beispiel ist die neue Liquiditätskennziffer NSFR, die eine solide Finanzierungsbasis der Banken sicherstellen soll. In Brüssel wird derzeit über die konkrete Ausgestaltung diskutiert. Doch wegen der Verbundangehörigkeit erhalten die Volksbanken und Raiffeisenbanken jederzeit ausreichend Liquidität über ihre Zentralbank. Kleine und mittlere Banken sollten deshalb von der Meldung ausgenommen werden. Das gilt auch für die neue Verschuldungsquote (“Leverage Ratio”), die bei den eigenkapitalstarken Kreditgenossenschaften nur begrenzten Erkenntnisgewinn bietet. Definitionen gefragtDie Definition der Maßnahmen für die “Small Banking Box” ist das eine. Das andere ist die Frage nach der Definition von “small”. Für welche Banken sollen die Vereinfachungen also gelten? Eine naheliegende Definition für eine kleine Bank ist das Kriterium des einheitlichen europäischen Bankenaufsichtsmechanismus. Institute, deren Bilanzsumme weniger als 30 Mrd. Euro beträgt, sollten als “kleine Bank” gelten. Diese Klassifizierung hat den Vorteil, dass sie inzwischen in der europäischen Aufsichts- und Meldepraxis verankert ist. Ein Festhalten daran wäre stringent. Auch das sollte im Rahmen der Überarbeitung von CRR und CRD IV fixiert werden.—-Jürgen Gros, Präsident Genossenschaftsverband Bayern (GVB)