Regulatorik auch als Chance sehen

Gesetzgebung darf aber nicht übers Ziel hinausschießen - Regeln müssen zur Realität passen - Beratungsprotokoll ist das beste Beispiel

Regulatorik auch als Chance sehen

Wir alle haben gesehen, dass das Finanzsystem Fehler hatte und dass Entwicklungen aus dem Ruder gelaufen sind. Daher ist es richtig, dass Regierungen auf nationaler wie auf europäischer Ebene sich zum Ziel gesetzt haben, das Vertrauen der Kunden und damit das gesamte System nachhaltig zu stärken. Aus gutem Grund stehen dabei die Stabilität der Institute sowie der Verbraucherschutz im Fokus der Regulierung. Allerdings: Gut gemeint ist nicht immer gut gemacht. Denn in vielerlei Hinsicht schießt die Regulierung übers Ziel hinaus. Gedankenstütze: Das passtDas immer noch beste Beispiel hierfür ist das Beratungsprotokoll. Es ist durchaus hilfreich, um nachzuvollziehen, was Kunde und Berater besprochen haben. Denn wir wissen aus Erfahrung, dass beide Seiten häufig unterschiedliche Dinge verstehen, wenn es etwa ums Thema Risiko geht. Darüber hinaus liegt es in der Natur der Sache, dass es im Laufe der Zeit für beide Seiten immer schwieriger wird, sich an Details aus dem Beratungsgespräch zu erinnern. Hier schafft die Dokumentationspflicht auch nach mehreren Jahren noch Abhilfe. Das Beratungsprotokoll als Gedankenstütze für Berater und Kunden: Das passt. Das Beratungsprotokoll als Treiber struktureller Entwicklungen in Kreditinstituten, die für den Kunden nachteilig sind? Das sollte nicht sein!Direkt nach Einführung des Beratungsprotokolls ergaben sich viele praktische Fragen, die zum großen Teil inzwischen geklärt sind. Man mag über die Diskussion schmunzeln, ob “Hausfrau” ein Beruf ist und als solcher im Beratungsprotokoll eingetragen werden kann oder muss. Tatsächlich können aber schon kleine Fehler beim Ausfüllen des Protokolls den Berater in ernsthafte Schwierigkeiten bringen. Um die Auslegung solcher Fragen ringen Bankenverbände und Aufsichtsbehörden oft mehrere Monate. Auch war nicht von Beginn an klar, wo ein allgemeines Informationsgespräch aufhört und eine Wertpapierberatung anfängt. Muss der Berater auf die Frage eines Kunden, welches der beste Börsenplatz ist, um ein bestimmtes Produkt zu handeln, schon das Beratungsprotokoll zücken?Wir alle wissen aus Erfahrung, dass bei der Einführung neuer Instrumente, Regeln und Prozesse solche praktischen Fragen nicht unüblich sind. Doch die beiden Beispiele sind aus meiner Sicht symptomatisch für zwei strukturelle Entwicklungen in den Kreditinstituten, die sich für die Kunden letztlich negativ auswirken. Ungeplante FolgenDa ist erstens die Unsicherheit, die um sich greift. Selbst der gewissenhafteste Berater läuft leicht Gefahr, ohne böse Absicht regulatorische Vorgaben zu verletzen. Daher ist es für die Institute auch wichtig, dass die Mitarbeiter ihre Routine bei der Gesprächsdokumentation beibehalten. Um diese Routine zu gewährleisten, muss ein Berater wöchentlich eine bestimmte Anzahl an Kundengesprächen durchführen. Daher werden nun die Kundenströme stärker gebündelt: In vielen Instituten gibt es immer weniger, dafür umso stärker spezialisierte Berater, die noch eine Anlageberatung vornehmen dürfen. Im Gegenzug verlieren viele Mitarbeiter, die inzwischen keine solchen Empfehlungen mehr aussprechen dürfen, ihr Fachwissen auf diesem Gebiet. Das hat zur Folge, dass sich das Berufsbild “Bankkaufmann/-frau” verändert und dass sich auch die Strukturen in den Filialen verschieben. Und für den Kunden, der nur mal eine kurze Frage zu Wertpapieren stellen möchte, bedeutet diese Entwicklung: Neben seinem eigentlichen Berater erhält er einen zusätzlichen Ansprechpartner, dem er gegebenenfalls seine Situation erneut schildern muss. Beratung aus einer Hand sieht anders aus, und für das Kreditinstitut geht hiermit ein größerer Abstimmungsbedarf einher.Zweitens merken wir nach sechs Jahren Erfahrung mit der Gesprächsprotokollierung, dass wir bei unseren Kunden zunehmend auf eine geringere Akzeptanz bei der Umsetzung der Dokumentationspflicht stoßen. Der Grad der Unzufriedenheit hängt davon ab, wie gut informiert und aufgeklärt der Kunde und wie hoch sein Vermögen ist. Kein Wunder: Ein Kunde, der regelmäßig zu uns in die Filiale kommt, ist bald bestens über Chancen und Risiken einer Wertpapieranlage informiert – und hat dies auch schon mehrfach schriftlich bestätigt. Ist es wirklich notwendig, dass er auch beim fünften und sechsten Mal über das gleiche Produkt aufgeklärt wird? Ich habe meine Zweifel. Natürlich ist es auch Aufgabe der Kreditinstitute, dem Kunden den Hintergrund der Protokollpflicht darzustellen. “Den Kunden abholen” ist das Stichwort. Ich habe aber den Eindruck, dass der Kunde sich irgendwann nicht mehr abgeholt, sondern entmündigt fühlt. Trend zum “Do-it-yourself”Infolgedessen beobachten wir die Tendenz zum “Do-it-yourself”. Um den bürokratischen Aufwand zu umgehen, der mit der Anlageberatung zusammenhängt, verlagert sich die Entscheidung von der Filiale aufs Sofa; der Kunde entwickelt sich zum reinen Selbstentscheider. Hier besteht nach meiner Erfahrung die Gefahr, dass der Kunde sich ein höheres Risiko ins Portfolio hineinkauft. Der richtige Umgang mit dem Risiko ist jedoch eine wichtige Erfolgsgröße bei der Vermögensanlage. In der aktuellen Niedrigzinsphase und bei der Gefahr von realem Vermögensverlust bei reinen Zinsanlagen ist ein kompetenter Partner wichtiger denn je. Andernfalls können sich gerade beim Aufbau der Altersvorsorge schwerwiegende Folgen für den Anleger ergeben. Eine Vermögensbildung mit festverzinslichen Wertpapieren und Lebensversicherungen, wie wir es jahrzehntelang gewohnt waren, kann aufgrund der daraus resultierenden Liquiditäts- oder Vermögensunterdeckung schwerwiegende Folgen für den Anleger haben.Es ist paradox, dass der Gesetzgeber den Kunden mit dem Beratungsprotokoll vor einer Falschberatung schützen wollte und ihn nun unter bestimmten Voraussetzungen mit dem gleichen Instrument einer Expertenberatung fernhält. Dieses Spannungsverhältnis könnte entzerrt werden, wenn Regulierung der komplexen Realität besser gerecht würde. Nach aktueller Sachlage stelle ich aber fest: Hier schießt Regulierung übers Ziel hinaus. DNA der SparkassenWas bedeuten diese Entwicklungen für Kreditinstitute, insbesondere für Sparkassen? Zu Beginn hatte ich erwähnt, dass im Fokus der Regulierung vor allem die Stabilität der Institute sowie der Verbraucherschutz stehen. Werte wie Vertrauen, Verantwortung und Sicherheit charakterisieren die Beziehung der Sparkassen zu ihren Kunden. Diese Werte gehören zur DNA der Sparkassen.Man sollte eines nicht vergessen: Das Beratungsprotokoll dokumentiert, dass eine umfassende, individuell auf die Bedürfnisse des Kunden abgestimmte Beratung stattgefunden hat und eine geeignete Empfehlung ausgesprochen wurde. Dieser Anspruch an Beratung ist nicht das “Sahnehäubchen” unserer Arbeit, sondern gehört zu unserem grundlegenden Selbstverständnis, und zwar bei allen Gesprächen. Es ist unsere Aufgabe, die Kunden in wichtigen Finanzfragen zu beraten und sie dabei zu unterstützen, ihre Ziele zu erreichen. Das muss auch unter den aktuellen regulatorischen Rahmenbedingungen weiterhin möglich sein.Die Frankfurter Sparkasse hat frühzeitig die Weichen gestellt, um die Qualität ihrer Beratung und ihren Service weiter auszubauen – und die regulatorischen Vorschriften womöglich sogar in einen Wettbewerbsvorteil umzumünzen. Wir haben direkt bei Einführung der Dokumentationspflicht ein Team gebildet, das die ausgefüllten Beratungsprotokolle analysiert. Ziel ist es, daraus Bearbeitungshinweise zu entwickeln, die die Berater in ihrem Alltag unterstützen. Weitere Mitarbeiter haben sich darauf spezialisiert, die Standards bei der Beratung mit dem Sparkassen-FinanzKonzept weiterzuentwickeln und die Berater entsprechend zu schulen.Uns ist es wichtig, dass unsere Kunden spüren, dass wir ihnen angesichts der zunehmenden Komplexität der Märkte eine Orientierung geben können. Das ist unsere Chance! Voraussetzung ist jedoch, dass wir weiterhin vorausschauend agieren und unsere Beratung ständig an künftige regulatorische, aber auch demografische, wirtschaftliche oder technische Entwicklungen anpassen. Augenmaß wahrenVor diesem Hintergrund müssen regulatorische Maßnahmen mit Weitsicht vorangetrieben werden. Regulierung darf nicht übers Ziel hinausschießen! Kreditinstitute müssen sich an Regeln orientieren können, die zur Realität passen. Regulatorik darf nicht zu Unsicherheit und Lähmung führen. Daher ist es insbesondere bei der Umsetzung der europäischen Anforderungen in nationales Recht wichtig, Augenmaß zu wahren und nicht die ohnehin strikten Regeln weiter zu verschärfen. Regulierung darf nicht dazu führen, dass einzelne Kundengruppen durch Selbstberatung ungewollt Vermögens- und Altersvorsorgerisiken eingehen oder von bestimmten Dienstleistungen ausgeschlossen werden. Dies kann nicht im Sinne des Gesetzgebers und schon gar nicht im Sinne der Kunden sein. Mehr Flexibilität und Freiraum in der Praxis würden dazu beitragen, den Anforderungen unserer Kunden auf einem hohen Niveau noch besser gerecht zu werden – gerade angesichts der weiterhin zu erwartenden Regulierungsdynamik. Die durch die Verschiebung von Mifid II gewonnene Zeit kann hierfür sehr sinnvoll genutzt werden.—Robert Restani, Vorsitzender des Vorstands der Frankfurter Sparkasse