Hans Christoph Atzpodien

„Sie wissen nicht, was sie da tun“

Die deutsche Sicherheits- und Verteidigungsindustrie, eine Branche mit einer jährlichen Bruttowertschöpfung von über 12 Mrd. Euro, warnt vor massiven Finanzierungsproblemen aufgrund der EU-Taxonomie.

„Sie wissen nicht, was sie da tun“

Von Andreas Heitker, Brüssel

Die Geschäftspolitiken deutscher Banken haben sich nach Einschätzung des Bundesverbandes der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV) in den vergangenen Jahren aufgrund der Einführung der EU-Taxonomie verändert. „Schon heute kommt es vor, dass namhafte deutsche Banken ihren Kunden keine Garantien oder Kredite mehr geben, nur weil diese beispielsweise die Bundeswehr beliefern – mit der Begründung, dies sei ein nicht nachhaltiges Geschäft“, kritisiert Hauptgeschäftsführer Hans Christoph Atzpodien im Gespräch mit der Börsen-Zeitung. Auch Versicherungen begännen schon, den Unternehmen der Branche ihre Leistungen zu verweigern.

Der BDSV vertritt zahlreiche Mittelständler, aber auch Großkonzerne wie Airbus, Thyssenkrupp, ZF oder Rheinmetall. Erstmals, so berichtet Atzpodien, sei das Problem vor rund drei Jahren deutlich geworden, als die Deutsche Bank einem Unternehmen der Branche die Bankverbindungen gekündigt habe. Mittlerweile hätten das auch andere Institute mit anderen Unternehmen gemacht. „Die Banken denken an ihre Nachhaltigkeitsberichte und wollen daher oft nichts mit Unternehmen zu tun haben, die einen bestimmten Anteil ihres Umsatzes mit Waffen oder Rüstung machen.“

Zum Teil seien schon langjährige Kundenbeziehungen gekündigt worden. Selbst Mittelständler, die nur als Zulieferer am Bau von Bundeswehr-Ausrüstungen beteiligt seien, erhielten keine Bankgarantien mehr. Hinzu kommt: Die Sicherheits- und Verteidigungsindustrie wird auch aus den Nachhaltigkeitsfonds generell ausgeschlossen. Die Branche werde „von den Fondsmanagern dann immer gleich in einem Atemzug mit Alkohol, Glücksspiel und Kinderarbeit genannt“, moniert Atzpodien und verweist auf die Mittelverwendung, die für die erste grüne Bundesanleihe 2020 festgelegt wurde.

Aktuell besonders alarmiert den BDSV die in Brüssel anstehende Weiterentwicklung der Taxonomie, die die Lage wohl noch einmal verschärfen wird. Noch für 2021 wird der Schlussbericht der EU-Beratergruppe zum Thema Soziale Taxonomie erwartet. Danach ist es an der EU-Kommission zu entscheiden. In der Sozialen Taxonomie sollen auch Kriterien wie Arbeitsschutzstandards, Menschenrechte oder der Zugang zu Wasser, Nahrung und Bildung bei der Einstufung von Nachhaltigkeit eine Rolle spielen.

Der BDSV fordert, dass alles, was der Sicherheit und dem Erhalt des Friedens dient, in der Taxonomie auch in den positiven Kriterienkatalog aufgenommen und als nachhaltig klassifiziert wird. „Wie wollen wir denn die Lebensgrundlagen für die künftigen Generationen erhalten, wenn wir nicht Frieden und Sicherheit erhalten?“, fragt Atzpodien. „Wir glauben, dass wir mit unserer Tätigkeit einen funda­mentalen Beitrag zur Nachhaltigkeit leisten.“

„Schleichende Enteignung“

Die Politik in Berlin und Brüssel ist dagegen widersprüchlich, wie die Branche findet: Sowohl die Bundesregierung als auch die EU-Kommission hätten zuletzt immer wieder die strategische Bedeutung einer starken Verteidigungsindustrie betont, sagt Atzpodien. Gleichzeitig lasse es die Politik aber zu, dass der Finanzsektor vor allem mit dem Instrument der Taxonomie die ganze Verteidigungsindustrie zerlege. „Was hier passiert, ist eine schleichende Enteignung. Die Assets der Unternehmen werden entwertet.“ Wenn die Politik Frieden und Sicherheit wolle, so das Argument, müsse sie auch die Unternehmen, die die dafür zuständigen staatlichen Sicherheitsorgane in der EU und der Nato ausrüsten, mit dem Nachhaltigkeitslabel versehen. „Wie soll man denn Sicherheits- und Verteidigungsfähigkeit gewährleisten, wenn man der Industrie, die hierfür in Europa die Grundlage legt, den Geldhahn zudreht?“

Der BDSV ist – auch über den BDI – bereits an verschiedenen Stellen in Brüssel mit seinem Anliegen vorstellig geworden, hat EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen kontaktiert. Aber auch von der früheren Bundesverteidigungsministerin kam keine Reaktion.

„Nach unseren bisherigen Gesprächen in Brüssel und Berlin habe ich manchmal den Eindruck: Sie wissen nicht, was sie da tun. Das Problembewusstsein ist vielfach gar nicht vorhanden“, sagt Atzpodien. Es gehe nicht darum, die Einführung einer Sozial-Taxonomie zu verhindern. Das würde der Branche nicht wirklich weiterhelfen. „Wir wollen eine positive Einstufung unserer Industrie erreichen, damit wir dann auch wieder bessere Karten bei Banken und Versicherungen haben.“

Die Bedeutung der EU-Taxonomie, so Atzpodien, könne man gar nicht hoch genug einschätzen. Seine Sorge sei, dass die deutschen Unternehmen aus der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie zu Übernahmekandidaten werden oder eventuell ins Ausland abwandern könnten und dass künftig führende technologische Entwicklungen nicht mehr in Deutschland stattfinden. Atzpodien verweist auf Länder wie Frankreich, Spanien oder Italien, wo die Verteidigungsindustrie mehr oder weniger am Staat hängt und die ein strategisches Interesse an deren Erfolg haben – anders als Deutschland. „Deshalb gibt es nun zusätzlich auch noch eine Wettbewerbsverzerrung.“ Die Finanzierung habe nicht überall die gleichen Auswirkungen. „Innerhalb der EU gibt es auch mit der Taxonomie keine gleichen Spielregeln für alle.“

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