Solange die Musik spielt
Es war der damalige Chef der Citigroup, Chuck Prince, der das Geschehen an den Finanzmärkten 2007 mit dem Kinderspiel „Reise nach Jerusalem“ verglich. Solange die Musik spielt, müsse man tanzen, sagte er. Mit Musik meinte er die Liquidität der Märkte. An der mangelt es derzeit zwar noch nicht, doch ist die Kursperformance der europäischen Banken weit hinter der des Gesamtmarkts zurückgeblieben. Dabei laufen zumindest die Geschäfte der britischen Institute auf ihrem Heimatmarkt ganz hervorragend, wie die derzeit eintrudelnden Quartalsberichte zeigen. Die Banken geben die steigenden Zinsen so gut wie nicht an die Kunden im Einlagengeschäft weiter. Die Digitalisierung des Retailgeschäfts beschert ihnen enorme Einsparmöglichkeiten. Immer mehr Niederlassungen werden geschlossen. Ihre Bilanzen sind so solide wie noch nie.
Doch HSBC hat von überraschend guten Geschäftszahlen, einer Sonderdividende und den in Aussicht gestellten Aktienrückkäufen an der Börse erst im Handelsverlauf profitieren können. Analysten hatten am Ausblick herumgemäkelt. Das für das laufende Jahr in Aussicht gestellte Zinsergebnis war niedriger als der im Schlussquartal erzielte Wert, wenn man ihn auf ein Jahr hochrechnet. Auch Natwest, deren früherer Name Royal Bank of Scotland bekannter ist, war mit ihren Gewinnzielen hinter den Markterwartungen zurückgeblieben. Das mag daran liegen, dass die Manager der Institute lieber einen konservativen Ausblick geben, der übertroffen werden kann, statt ambitionierte Gewinnziele auszurufen, die sie am Ende nicht erreichen können. Zudem müssen aufgrund von veränderten Bilanzierungsvorschriften schon früher Rückstellungen für Problemkredite gebildet werden.
Der Hauptfaktor für die vergleichsweise schwache Kursperformance der Banken dürfte jedoch die Sorge der Anleger sein, dass die Party, die erst schleppend in die Gänge kam, ihren Höhepunkt schon überschritten haben könnte. Denn sie führen die zuletzt positive Entwicklung nahezu ausschließlich auf die Zinsentwicklung zurück. Sie blicken nervös auf jede Äußerung eines Geldpolitikers, die auf ein Ende der Leitzinserhöhungen der Notenbanken hindeutet. Die rückläufige Teuerungsrate verschafft ihnen somit schlaflose Nächte, selbst wenn sie sich wie in Großbritannien noch im zweistelligen Bereich bewegt.
Das Problem dieser Denkweise: Höhere Zinsen sind nicht die Musik, die zum Tanzen einlädt. Sie dämpfen die wirtschaftliche Aktivität. Nachhaltige Mehreinnahmen lassen sich für Banken nicht dadurch generieren, dass sie Zinserhöhungen nicht an die Kunden weiterreichen. Wichtiger ist, alles daranzusetzen, das Geschäft weiter zu optimieren und den Rivalen Marktanteile abzunehmen. HSBC hat in dieser Hinsicht vieles richtig gemacht. Natürlich bringt es Risiken mit sich, wenn man sich in Ländern wie der Volksrepublik China stark engagiert. Die Sorgen um das Exposure zu chinesischen Gewerbeimmobilien dürften mit Blick auf die zu erwartenden Folgen der Wiederöffnung der chinesischen Wirtschaft übertrieben sein. Wie Standard Chartered hat HSBC den Vorteil, dass sie auf Märkten tätig ist, die in den kommenden Jahren mehr Wachstum zeigen werden als Westeuropa und Nordamerika. Für beide Banken sollte die Musik also noch eine Weile spielen.