"Sorge ausländischer Anleger nachvollziehbar"
– Ausländische Namensaktionäre beklagen, in der Hauptversammlungssaison 2013 behindert zu werden. Ist der Vorwurf berechtigt?Ich kann verstehen, dass ausländische Anleger das Gefühl haben, die Ausübung des Stimmrechts ist derzeit für sie schwieriger als für deutsche Aktionäre.- Wie entsteht dieses Gefühl?Manche nichtdeutschen Besitzer von Namensaktien meinen, dass ein Ausüben der Stimmrechte zum Einfrieren ihres Aktienbestands vor der Hauptversammlung führt. Die Folge wäre: Sie können ihre Anteile einige Tage lang nicht mehr handeln. Dieser Eindruck entsteht, obwohl das sogenannte Shareblocking juristisch natürlich schon lange abgeschafft ist.- Wie reagieren die ausländischen Aktionäre?Anleger meiden vorsichtshalber die Hauptversammlungen. Dies hat sich erstmals im Januar bei Siemens gezeigt – einem großen Emittenten mit viel Auslandsbesitz. Dort lag die Präsenz mit 33 Prozent deutlich niedriger als in den Vorjahren, obwohl im Vorfeld jede Menge Aufklärungsarbeit geleistet worden ist. Eine niedrigere Präsenz droht bei vielen Hauptversammlungen der rund 180 Namensaktien-Gesellschaften. Denn oft halten ausländische Aktionäre mehr als die Hälfte des Kapitals.- Warum ist es Investoren so wichtig, ihre Aktien ausgerechnet rund um den Hauptversammlungstermin handeln zu können?Grundsätzlich legen die meisten institutionellen Anleger großen Wert auf ihre Dispositionsfreiheit. Dies ist nachvollziehbar. Tatsächlich beobachten wir rund um die Hauptversammlung aber auch viel Bewegung im Aktienregister. Manche Investoren wollen ihre Aktien verleihen, während andere Anleger an einer Leihe interessiert sind. Dies hat mit Unterschieden in der Besteuerung von Dividenden und Leihgebühr in verschiedenen Ländern zu tun.- Dies ist schon seit Jahren so, das Problem des Shareblocking aber ist neu. Was hat sich geändert?Ausgangspunkt ist ein Urteil des OLG Köln aus dem Sommer 2012. Intermediäre wie die Verwahrbanken müssen demnach im Grundsatz das Überschreiten bestimmter Anteilshöhen melden, auch wenn sie die Aktien nicht für sich, sondern für andere halten. Dieser Fremdbesitz ist beträchtlich, korreliert er doch meist mit dem Auslandsbesitz – die melderechtlichen Schwellen werden also leicht übersprungen. Die Verwahrbanken fürchten nun, dass sie das Votum beispielsweise eines abstimmungswilligen US-Aktionärs nicht an den Emittenten geben können, weil sie die Meldung nach Wertpapierhandelsgesetz nicht gemacht haben. Eine Nachmeldung wäre für die laufende Saison nicht sicher eine Lösung, weil das Gesetz den nachlaufenden Verlust des Stimmrechts für sechs Monate vorsieht, wenn die Meldung vorsätzlich oder grob fahrlässig unterlassen wurde.- Welche Lösung bieten die Verwahrbanken an?Sie wollen die wahren Aktienbesitzer, die ihr Stimmrecht ausüben, direkt ins Aktienregister eintragen – nur wer dort verzeichnet ist, ist aus Sicht der Gesellschaft der Aktionär. Bei Aktionären mit Konten bei deutschen Kreditinstituten geschieht dies automatisiert, bei Aktionären mit Konten außerhalb Deutschlands muss der Prozess zeitraubend durch die gesamte Verwahrkette geführt werden. Damit entsteht aber für die Institute ein Konflikt: Denn wenn ein ausländischer Aktionär schon 14 Tage vor der Hauptversammlung seine Stimme ausübt, die Bank ihn dann ins Register einträgt, er aber zehn Tage vor der Hauptversammlung seine Aktien verkauft, muss die Verwahrbank den Verkauf umsetzen und zugleich das Votum löschen.- Dies ist nicht möglich?Es stößt auf praktische Probleme. Erstens liegen die Aktien in einem Sammeltopf, sodass sie aus diesen Omnibus Accounts nur schwerlich herausgefischt werden können. Zweitens sind die IT-Systeme in der ausländischen Verwahrkette anders als in Deutschland mit Clearstream nicht aufeinander abgestimmt, es wird teils mit Excel-Tabellen und Faxen gearbeitet. Damit können die Verwahrbanken ihren Pflichten zur Belieferung der Kundenaufträge und der Stimmrechtsausübung ohne teils erhebliche operative Herausforderungen nicht nachkommen.- Die Lösung ist also in der Praxis keine Lösung?Nun: Das Verwahrinstitut könnte schon einen Abgleich zwischen Stimmausübung und Settlement leisten. Dies erfordert aber einigen Überwachungsaufwand, den viele Banken nicht leisten wollen. Daher haben sie im Markt teils signalisiert, dass die Aktien geblockt werden. Im Vorfeld der Siemens-Hauptversammlung haben entsprechend mit Broadridge und ISS zwei große Dienstleister so kommuniziert, dass viele Anleger glaubten, Shareblocking sei ein Thema.- Die Reaktion müsste doch ein Aufstand der Anleger sein.Das kommt auf den Typ des Anlegers an. Viele verstehen sich in der Tat als echter Eigentümer und gehen davon aus, dass sie mit der Aktie auch das ungehinderte Recht auf Abstimmung erworben haben, ohne in der Dispositionsfreiheit eingeschränkt zu werden. Diese Aktionäre sind verärgert, so wie auch auf Corporate Governance spezialisierte Dienstleister. Doch was soll ein Fondsmanager tun? Sein Aufwand, das System zu ändern, wäre enorm. Unserer Beobachtung nach reagieren die Fonds pragmatisch und üben das Stimmrecht lieber nur bei einem Teil der Aktien aus.- Missachten die Verwahrbanken also ihre Pflichten?Verwahrbanken richten sich als Dienstleister auch nach den Wünschen ihrer Kunden, die bei Vertragsabschluss formuliert wurden. Aus Sicht des Fonds ist Verwahrung notwendig, aber auch ein Kostenfaktor. Das Bewusstsein eines Fondsmanagers für Nachteile eines kostengünstigeren Verwahrbank-Angebots kann man sicherlich stärken.- Wird der deutsche Finanzmarkt wieder einmal nicht richtig verstanden von angelsächsischen Investoren?Wenn ich mir vorstelle, ich wäre Fondsmanager in Deutschland und wäre mit einer derartigen Gemengelage etwa bei einer portugiesischen Aktie konfrontiert, dann würde ich den Sachverhalt auch nicht verstehen. Das Zusammenspiel verschiedener Faktoren ist wirklich komplex. Ich kann nur bekräftigen: Die Sorge ausländischer Investoren ist nachvollziehbar.- Wie reagiert die Munich Re auf die Gefahr einer sinkenden Präsenz?Wir versuchen, die Sorgen der nichtdeutschen Anleger im Dialog zu entkräften. Außerdem bieten wir eine Lösung an, die den Anlegern ermöglicht, ihre Stimmen sicher, schnell und ohne Beschränkungen auszuüben.- Wie sieht diese Lösung aus?Wir wollen die Stränge des Settlement und der Stimmrechtsausübung entkoppeln, um den Verwahrbanken die Sorge zu nehmen, dass sie zwei Pflichten haben, deren Erfüllung kollidiert. Wir haben dafür mit dem Partner Computershare eine Plattform in dem Gemeinschaftsunternehmen Viseq entwickelt. Das Joint Venture bietet den Verwahrbanken die Daten so an, dass sie am letzten Tag der Anmeldefrist eingespeist werden können. Das Wesentliche ist: Durch die Entkoppelung der Prozesse und das Abwarten bis zum letzten Anmeldetag entfällt die Notwendigkeit der Überwachung der abgestimmten Bestände durch die Bank, für die manche die Bestände blocken.- Wer benutzt dieses System?Wir sprechen mit den Verwahrbanken und bieten das System jedem Emittenten an, der es nutzen möchte. Für die Munich Re kann ich sagen, dass wir auch durch den Einsatz dieses Weges die Präsenz in den vergangenen Jahren steigern konnten. Wir haben zuletzt trotz widriger Faktoren fast 50 Prozent erreicht.- Welche Zusatzkosten entstehen?Die Viseq-Geschäftsführung hat kalkuliert, dass wahrscheinlich vier Euro pro Datensatz für die Dienstleistung anfallen. Große Gesellschaften rechnen mit tausend bis mehreren tausend abstimmungswilligen Aktionären aus dem Ausland.- Wie können sich die 180 Namensaktien-Gesellschaften jenseits dieser Lösung wappnen?Ich empfehle grundsätzlich, dass man das Gespräch mit Dienstleistern und Anlegern sucht. Dabei kann auch gerne auf ein Informationsblatt zurückgegriffen werden, das wir herausgeben. Dem Emittenten wird darin empfohlen, dass er seine Investoren bittet, die Verwahrbank aufzufordern, ein Verfahren zu nutzen, das Shareblocking vermeidet. Das darf jeder Investor als Geschäftsherr in seinem Vertrag mit der Verwahrbank verlangen. Da sich viele Fondsmanager jedoch auf Dienstleister wie Stimmrechtsberater verlassen müssen, kommt es entscheidend auch darauf an, wie diese Dienstleister im Markt agieren.- Können die Rahmenbedingungen mittelfristig verbessert werden?Man muss sicherlich abwarten, wie die Revision des Kölner Urteils vor dem Bundesgerichtshof ausgeht. Mittlerweile kann der Finanzmarkt aber auch aus eigener Kraft die Abläufe verbessern. Die Marktteilnehmer von den Verwahrbanken über Emittenten bis hin zu den Verbänden wollen daher dem Gesetzgeber in den nächsten Tagen einen bereits abgestimmten Vorschlag unterbreiten: Der Bestandsstichtag soll zehn Tage vor der Hauptversammlung liegen, drei Tage später folgt der Anmeldeschlusstag. Das passt gut zu europäischen Überlegungen mit einer ähnlichen Taktung.- Warum wäre dies hilfreich?Bisher gibt es keinen einheitlichen Bestandsstichtag bei Namensaktien, dies erhöht die Unsicherheit der Anleger. Zudem erreicht man mit der Festlegung, dass der Bestand eineindeutig für den wahren Aktionär durch die gesamte Verwahrkette nachgewiesen werden kann. Doppelzählungen gibt es nicht mehr. Weil für die Durchleitung der Stimmausübung durch die Verwahrkette einige Tage benötigt werden, muss der Anmeldeschlusstag später liegen.- Gibt es Chancen, die Regelung noch in der Aktienrechtsnovelle unterzubringen, damit sie vor der Hauptversammlungssaison 2014 gültig wird?Wir würden uns natürlich darüber freuen. Dafür müsste es schnell die Diskussionen mit dem Gesetzgeber geben. Aber Vorsicht: Eine Festlegung des Bestandsstichtags wird das Thema Shareblocking nicht allein lösen. Denn einige Intermediäre stehen weiter vor operativen Herausforderungen.- Welche Änderungen sind zusätzlich notwendig?Beispielsweise müssen die Abläufe automatisiert werden. Die Banken sollten zudem die Formate für Mitteilungen standardisieren. Diese Messaging Formats gibt es bisher in dem Nachrichtennetzwerk Swift so nicht.- Geht es tatsächlich nur um eine Optimierung technischer Abläufe?Die gesamte Diskussion lässt sich durchaus in einen größeren Kontext einordnen. In Kontinentaleuropa steht bisher die Frage im Vordergrund: Wie ermögliche ich den Eigentümern, ihre Stimmen und damit ihre Rechte auszuüben? Hier ist der Aktionär echter Eigentümer seiner Aktie. Angelsächsische Verwahrbanken und Intermediäre wollen dagegen eher ein System des “Security Entitlement” weltweit ausrollen. Das ist ein in den USA 1994 im Uniform Commercial Code eingeführtes Konzept, mit dem das davor geltende Konzept der Eigentümerstellung des Aktionärs mit Wirkung gegen alle aufgegeben wurde. Diesen Ansatz bezeichnen manche als Enteignung des Aktionärs, weil das Eigentumsrecht an Aktien ersetzt wird durch einen rein schuldrechtlichen Anspruch gegen die Bank. Dieser wirkt nicht mehr gegen alle und gibt – wenn die Bank in Konkurs geht – auch kein Recht mehr, die Aktie auf der nächsthöheren Verwahrebene herauszuverlangen. Aus meiner Sicht wäre dies tatsächlich eine Einschränkung der wirklichen Eigentümerstellung. Wer eine Aktie kauft, der sollte die Aktie echt besitzen mit Wirkung gegen alle.- Was bedeutet dies für die Intermediäre?Das wird sich zeigen. Vorerst sollten aber konkret die Pflichten der Intermediäre festgelegt werden, etwa bei der Hauptversammlungseinberufung oder der Durchleitung der Stimmrechte. Dies sind klassische Kandidaten für eine Regelung durch die Europäische Union. Man hat ja oft gesehen, dass Innovationssprünge ausgelöst wurden durch gesetzgeberische Maßnahmen.- Welche Vorstellungen haben Sie konkret?In Deutschland haben die Banken beispielsweise die Pflicht, Auskunft zu geben, für wen sie Aktien halten. Auch in vielen anderen Ländern gibt es solche Pflichten. Unklar ist aber, ob beispielsweise eine spanische Bank ein deutsches Auskunftsersuchen beantworten muss. Das sehen Emittenten und Banken teils unterschiedlich. Aber: Kennt der Emittent seine Aktionäre nicht, hat er keine Chance, seine Informationen zum Aktionär zu bringen. Es gibt heute auch keine Pflicht, die Stimme des Aktionärs zurück zum Emittenten zu transportieren. Der Intermediär sollte daher verpflichtet werden, bei der Ausübung der Aktionärsrechte mitzuwirken.- Ist dies nicht wieder eine Kostenfrage?Natürlich kostet das Geld. Ich persönlich halte das deutsche Modell für einen guten Kompromiss. Demnach übernimmt der Emittent die Kosten für die Information des Anlegers. Der Aktionär zahlt meist für die Rückleitung der Stimmrechte im Rahmen seines Depotverhältnisses.- Welche weiteren Verbesserungen sind aus Emittentensicht sinnvoll?Eine zentrale Rolle spielen Omnibus Accounts. Diese Sammeltöpfe, in denen von der Verwahrbank Tausende Aktien verschiedener Unternehmen für Tausende Aktionäre gebucht werden, haben viele Nachteile auch für den Investor. Was passiert beispielsweise, wenn die Verwahrbank insolvent geht? Das ist völlig offen. Wer bei Lehman Brothers in London einen Verwahrvertrag geschlossen hatte, dem konnte es passieren, dass Lehman das Geschäft intern nach USA verbracht hat oder weiter in ein anderes Land, weil die Verwahrung dort billiger war.- Wo liegt das Problem?Nach einer Insolvenz streiten sich dann drei Jurisdiktionen, welches Insolvenzrecht anwendbar ist. Es hat bei Lehman in einigen Fällen mehr als ein Jahr gedauert, bis Investoren ihre Papiere wiederhatten. Deshalb hätten wir lieber getrennte Konten, das heißt eines je Anleger. Damit ist einerseits völlig klar, wem die Aktie gehört. Andererseits kann nicht irgendwo in der Kette das Eigentumsrecht ersetzt werden durch einen schuldrechtlich gestalteten Anspruch. Außerdem erleichtern separierte Konten die automatisierte Abwicklung.—-Das Interview führte Michael Flämig.