China

Sorge um „Hypotheken­boykott“

Private Kreditnehmer verweigern Zahlungen bei verzögerten Wohnbauprojekten. Nun wird in China ein Schub an Kreditausfällen befürchtet, Bankenaktien geraten unter Druck.

Sorge um „Hypotheken­boykott“

Von Norbert Hellmann, Schanghai

Immobilienkäufer verweigern angesichts von Verzögerungen bei der Fertigstellung von Wohnbauprojekten ihre Zahlungen an Banken. Eine Aufstellung des Researchhauses China Real Estate Information hat gezeigt, dass in den letzten Tagen Apartmentkäufer bei mehr als 100 laufenden Wohnungsprojekten in rund 50 Städten Hypothekenzahlungen verweigert haben. Dies hat Alarmstimmung bezüglich einer landesweit rasch anschwellenden Boykottwelle ausgelöst, die sowohl chinesische Immobilienentwickler wie auch die heimische Kreditwirtschaft vor neue Probleme stellen könnte.

Den Ernst der Lage verdeutlicht die Nachricht, dass es zu Dringlichkeitssitzungen der chinesischen Finanzregulatoren mit Vertretern von Großbanken sowie dem Ministerium für Wohnungsbau und Stadtentwicklung gekommen ist, um die Problematik zu erörtern und Notfallpläne zu schmieden. Nach einer ersten Einschätzung der Investmentbank Jefferies macht das Volumen der auf derzeit festgefahrene und zeitlich verzögerte Wohnungsbauprojekte bezogenen Kredite etwa 1% der Hypothekenausreichungen chinesischer Geschäftsbanken aus.

Sollte es hier zu anhaltenden Zahlungsausfällen kommen, würde dies Jefferies zufolge den Umfang der als notleidend ausgezeichneten Kredite bei chinesischen Banken um etwa 388 Mrd. Yuan (58 Mrd. Euro) anschwellen lassen. Über die Zahl der in Verzug geratenen Hypothekenkreditnehmer gibt es bislang keine Informationen. Jefferies zufolge hat sich allerdings die Anzahl der Wohnanlagenprojekte, für die Apartmentkäufer Kreditzahlungen eingestellt haben, zwischen Montag und Mittwoch rasend schnell von 28 auf 100 erhöht. Analysten des Brokerhauses GF Securities rechnen damit, dass Hypothekendarlehen im Um­fang von insgesamt 2 Bill. Yuan – das wären umgerechnet 300 Mrd. Euro – im Feuer stehen.

Anleger werden nervös

Die beunruhigende Lage hat die Kurse der im Blue-Chip-Index CSI 300 vertretenen Großbankenwerte im Mittel um gut 3% verlieren lassen. Damit erreicht das Branchenbarometer ein Zweijahrestief. Ebenfalls unter Druck standen die Kurse führender chinesischer Immobilienentwickler. Eine Reihe von chinesischen Kreditinstituten haben am Donnerstag zu der Thematik Stellung genommen und die Anleger zu beruhigen versucht.

Bei China Construction Bank (CCB), der im Realkreditgeschäft führenden und nach Bilanzsumme zweitgrößten chinesischen Ge­schäfts­bank, hieß es, dass die Risiken kontrollierbar seien und das Exposure mit Kreditfinanzierungen in Bezug auf verzögerte Bauprojekte sehr gering sei. Die ebenfalls staatskontrollierte Agricultural Bank of China beziffert das Volumen von nicht mehr bedienten Krediten im Kontext von noch nicht fertiggestellten Wohnanlagen auf verhältnismäßig geringe 600 Mill. Yuan. Bei Industrial Bank wird das Volumen der auf säumige Projekte bezogenen Kredite mit 1,6 Mrd. Yuan beziffert, während die Summe der zuletzt nicht mehr bedienten Kredite mit 384 Mill. Yuan angegeben wird.

Für chinesische Banken hat sich das Hypothekenkreditgeschäft seit Jahren als risikoarmes Geschäftssegment erwiesen, weil sowohl die Anzahlungsraten als auch die Werte der als Besicherung dienenden Wohnobjekte im internationalen Vergleich hoch liegen. Hinzu kommt eine moderate Verschuldung der privaten Haushalte in China.

Konzertiertes Verhalten

Das seltsam konzertiert wirkende Verhalten der Hypothekennehmer erklärt sich aus Besonderheiten des chinesischen Immobilienmarktes und dem Refinanzierungszyklus der bekanntermaßen überaus hoch verschuldeten und mit massiven Liquiditätsproblemen konfrontierten Bauträger. Diese pflegen für die typischerweise riesigen chinesischen Wohnkomplexe mit Apartmenthochhäusern durch einen Vorverkauf der geplanten Objekte Mittel einzusammeln und erst dann mit den Bauprojekten zu Werke zu gehen.

Mit der vor einem Jahr offenbar gewordenen Verschuldungskrise im Sektor haben allerdings zahlreiche große Immobilienentwickler Schwierigkeiten mit der Bezahlung von Zulieferern und Subunternehmern für die Projekte. Gleichzeitig hat die latente Kaufzurückhaltung die zuvor über viele Jahre hinweg steil nach oben zeigenden Durchschnittspreise für Neuwohnungen in chinesischen Ballungsgebieten abgebremst. So sind die Wohnimmobilienpreise im landesweiten Durchschnitt mittlerweile seit September 2021 ununterbrochen im Vergleich zum jeweiligen Vormonat gesunken.

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