Stakeholder Value
Jetzt hat es doch noch geklappt. Ein Dreivierteljahr nachdem Commerzbank-Chef Manfred Knof mit den Eckdaten der strategischen Neuausrichtung harte Einschnitte verkündete, sieht es so aus, als ob die Anleger Vertrauen fassen. Punkt für Punkt hakt das Management die Anfang des Jahres gesetzten Ziele ab, um die Commerzbank wieder auf die Erfolgsspur zu setzen. Stellenabbau? Zur Hälfte bereits eingetütet. Filialschließungen? Gehen sogar schneller voran als geplant. Straffung des Firmengeschäfts? Die Auslandsstandorte Belgrad, Baku, Kuala Lumpur und Jakarta sind bereits Vergangenheit. Digitalisierung? Noch in diesem Jahr werden die ersten drei Digitalzentren die geschlossenen Filialen ersetzen.
Trotz der vielen Umbrüche scheint das Tagesgeschäft ordentlich weiterzulaufen, auch wenn die Bäume nach wie vor nicht in den Himmel wachsen. Trotz Filialschließungen und neuen Gebühren verlor das Institut den Angaben zufolge lediglich 166 000 ihrer 11 Millionen Privatkunden, was deutlich unter den internen Befürchtungen liegt. Knof führt das in erster Linie darauf zurück, dass die Kunden bei der Konkurrenz kaum auf bessere Konditionen hoffen können. Tatsächlich ist die Weitergabe von Negativzinsen in den vergangenen Monaten nicht bloß salonfähig, sondern zum Normalfall geworden, nachdem zuletzt sogar die ING ihr All-inclusive-Angebot kassiert hat.
Diese Entwicklung spielt der besonders zinssensitiven Commerzbank gleich doppelt in die Hände. Erstens spülten die Einnahmen aus der Weitergabe der Negativzinsen in den ersten neun Monaten bereits 40 Mill. Euro in die Kassen, und zweitens gibt die Aussicht auf Verwahrentgelte bei vielen Menschen den Ausschlag, sich doch einmal mit Wertpapieren zu beschäftigen. Der Zuwachs im Wertpapiergeschäft wiederum sorgte neben den gestiegenen Einnahmen aus Handelsfinanzierungen und dem Zahlungsverkehr im Firmenkundengeschäft dafür, dass der Provisionsüberschuss ordentlich zulegte, während der Zinsüberschuss auch dank der neuen Entgeltstrukturen im Massengeschäft nur geringfügig nachgab.
Alles in allem eine solide Entwicklung, die inmitten des viel zu lange hinausgezögerten Transformationsprozesses durchaus beachtenswert ist, aber wenig Anlass zu Euphorie bietet. Elektrisiert sind die Anleger jedoch von der Aussicht auf einen Jahresgewinn, den noch vor wenigen Monaten weder Knof noch Finanzchefin Bettina Orlopp hatten versprechen wollen. Ob sie dabei einem internen Drehbuch folgten, um in der Kommunikation mit den Investoren noch ein Ass aus dem Ärmel zaubern zu können? Wahrscheinlich eher nicht. Schließlich basiert die Aussicht auf schwarze Zahlen im Gesamtjahr nicht in erster Linie auf einer operativen Stärke oder den Fortschritten beim Kostenabbau, sondern auf dem deutlich rückläufigen Risikoergebnis, das im Gesamtjahr zu einer Entlastung von 300 Mill. Euro führt. Die Ausgestaltung liegt nicht im Ermessen des Managements, sondern wird in enger Abstimmung mit den Wirtschaftsprüfern getroffen. Auch die positiven Steuereffekte, die dem Institut im zweiten Halbjahr zusätzlichen Rückenwind verleihen dürften, kann die Bank nur bedingt steuern.
So erfreulich die Anhebung der Prognose aus Sicht der Aktien- und Anleiheinvestoren ist, so problematisch ist sie für die Verhandlungen mit einem anderen wichtigen Stakeholder der Commerzbank: der Arbeitnehmerseite. Arbeitsdirektorin Sabine Schmittroth, die derzeit nicht nur für das eigene Haus, sondern in ihrer Funktion als Vorsitzende des Arbeitgeberverbands AGV Banken auch für die 140 000 Beschäftigte zählende Branche am Verhandlungstisch sitzt, muss aufpassen, dass ihr die Felle nicht davonschwimmen. Bislang erteilte sie der Verdi-Forderung nach mehr Gehalt und flexibler Arbeitsgestaltung ebenso klar eine Absage wie der Forderung nach Kündigungsschutz für die Beschäftigten, die aus der Filiale in die digitalen Beratungszentren wechseln – unter Verweis auf den kostspieligen Transformationsprozess der Branche insgesamt und der Commerzbank im Besonderen. Der nun avisierte Gewinn der Commerzbank konterkariert diese Argumentation ausgerechnet in einem Moment, in dem Verdi zu einem bundesweiten Warnstreik bei der Commerzbank aufgerufen hat. Wahrscheinlich ist es kein Zufall, dass Orlopp das Thema Dividende resolut vom Tisch wischte.
Es ist normal, dass sich börsennotierte Konzerne im Spannungsfeld der verschiedenen Stakeholderinteressen bewegen. Ein Showdown, wie ihn die Commerzbank aktuell erlebt, hat jedoch Seltenheitswert in der Branche.