Start-ups geht es zu wenig um Impact
Von Antje Kullrich, Köln
Dass sich zwei große Trends in der Finanzwirtschaft verbinden – nämlich Fintechs und Sustainable Finance –, war nur eine Frage der Zeit. Die Symbiose aus beiden namens Green oder Climate Fintechs zieht gerade eine Menge Kapital an. Doch können die Start-ups halten, was sie versprechen? Gerade in puncto Impact, also positiven Klimawirkungen, melden Kritiker Zweifel an.
Mehr als gutes Gefühl
„Wir müssen über das Good Feeling hinausgehen“, sagt Alexander El Alaoui. Der Strategieberater und Fondsinitiator beschäftigt sich schon lange mit Nachhaltigkeit in der Finanzwirtschaft, kommt aus dem Umfeld von Nichtregierungsorganisationen (NGO) und hat schon für Germanwatch und Brot für die Welt gearbeitet. Er begrüßt den Trend zu grünen Fintechs insgesamt sehr, blickt jedoch skeptisch auf die Klimaziele der Unternehmen.
Besonders kritisch sieht er die Tatsache, dass das meiste Geld derzeit in Carbon Accounting und Carbon Offsetting fließt. Carbon Accounting geht ihm nicht weit genug: „Wenn ich neben dem Kassenzettel auch einen Klimazettel bekomme, ist das zwar gut“, argumentiert El Alaoui. „Reine Information induziert aber noch keine Verhaltensänderung.“
Zudem müssten Carbon-Accounting-Modelle weiterentwickelt werden. Denn mit der bloßen Angabe der Menge an CO2-Emissionen fehle ein Referenzrahmen. „Ist das nun viel oder wenig?“ Was bringe es, wenn Menschen den CO2-Ausstoß ihres Einkaufs ausgewiesen bekämen, aber keine Einordnung dazu? Es gehe um die Frage: Ist der Konsum kompatibel mit den Klimazielen von Paris? „Man muss Klimaziele messen und in Referenz zum Pariser Klimaabkommen setzen“, fordert El Alaoui. So weit sind die Climate Fintechs und ihre Geschäftsmodelle noch nicht. „Da gibt es derzeit noch eine Diskrepanz am Venture-Capital-Markt.“
Banken in die Pflicht nehmen
Die Umweltorganisation Urgewald kritisiert grundsätzlich, beim Endverbraucher anzusetzen: Die Angebote von Climate Fintechs zu Carbon Accounting würden Banken gerne mal auf der Ebene des Kunden einsetzen, zum Beispiel die Messung des persönlichen Footprints bei Käufen über die Kreditkarte. „Viel wichtiger wäre, dass Banken selber bei dem Kreditgeschäft den Carbon Footprint (der Kundeneinlagen) verringern, indem sie insbesondere fossile Energien kategorisch nicht mehr finanzieren“, sagte eine Sprecherin.
Kritische Geschäftsmodelle
Die Geschäftsmodelle von Climate Fintechs zu Carbon Offsetting werden noch kritischer gesehen. Denn die Ausgleichsprojekte für CO2-Emissionen sind aus mehreren Gründen umstritten. Wer prüft zum Beispiel nach, ob ein aufgeforsteter Wald nicht doch ein paar Jahre später abgeholzt oder abgebrannt wird? „Der Sektor Carbon Offsetting ist derzeit ein Wilder Westen“, sagt auch Paul Morgenthaler, Managing Partner bei Commerzventures, der sich viel mit Climate Fintechs beschäftigt und dort investiert. Nach seiner Beobachtung setzten jedoch viele Climate Fintechs gerade dort an, um in den nicht strukturierten Markt Ordnung zu bringen und Projekte zu kontrollieren. „Viele Start-ups zielen mit ihrer Technologie darauf ab, Greenwashing zu verhindern“, gibt sich Morgenthaler zuversichtlich.
El Alaoui dagegen sieht Carbon Offsetting kritisch: „Grundsätzlich legitimiere ich dadurch schädliches Verhalten“, sagt El Alaoui. Und wenn es schon gemacht werden soll: „Die Renaturierung von Mooren in Deutschland halte ich für viel sinnvoller als das Pflanzen von Bäumen in Mexiko.“ Auch Urgewald plädiert dafür, dass das Vermeiden oder Verringern von CO2-Emissionen Priorität haben solle und nicht die Kompensation. Dennoch ist das Thema Carbon Offsetting bei Climate Fintechs groß in Mode. Nach einer Erhebung von Commerzventures, die knapp 300 Climate Fintechs fast nur in Europa und den USA auflistete, beschäftigte sich ein Drittel der Start-ups mit dem Kompensationsthema. Allerdings flossen nur knapp 15% der Finanzierungen in diesen Bereich. Carbon Accounting zog mit einem Drittel des Finanzierungsvolumens (410 Mill. Dollar) das meiste Kapital an.
„Ambitionsniveau dürftig“
Insgesamt gilt für Climate Fintechs: Zum allgemein hohen unternehmerischen Risiko von jungen Firmen kommt das Reputationsrisiko noch on top. Greenwashing oder verfehlte Ziele in Sachen Klimaschutz können den Start-ups signifikant schaden und deren Geschäftsmodell unglaubwürdig machen. „Ich bin mir nicht sicher, wie valide die grünen Geschäftsmodelle einiger Climate Fintechs wirklich sind“, meint dazu El Alaoui. „Das Potenzial bleibt definitiv hinter der Kurve. Angesichts der mittlerweile starken Gründerszene hierzulande finde ich das Ambitionsniveau noch recht dürftig für wirklich grüne Fintech-Lösungen.“
Bisher erschienen:
Geschäftige Aktivität am freiwilligen Markt für CO2-Kompensationen (24. August)