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Tariq Fancys ESG-Kritik greift zu kurz

Mit seiner Kritik an dem von Vermögensverwaltern verfolgten Ansatz für nachhaltige Anlagen hat Tariq Fancy zwar zum Teil recht. Da er jedoch nicht alle Eigenschaften von ESG-Anlagen (Environment, Social, Governance) berücksichtigt und deren wahren...

Tariq Fancys ESG-Kritik greift zu kurz

Mit seiner Kritik an dem von Vermögensverwaltern verfolgten Ansatz für nachhaltige Anlagen hat Tariq Fancy zwar zum Teil recht. Da er jedoch nicht alle Eigenschaften von ESG-Anlagen (Environment, Social, Governance) berücksichtigt und deren wahren Wert nicht zu schätzen weiß, greifen seine Argumente zu kurz.

In seinem Essay „Secret Diary of a Sustainable Investor“ (Das ge­heime Tagebuch eines nachhaltigen Anlegers) stellt der ehemalige BlackRock-Nachhaltigkeitschef Tariq Fancy mehrere Behauptungen auf, die im schlimmsten Falle das Vertrauen in den noch jungen Sektor für nachhaltiges Investieren untergraben. Im besten Falle haben sie eine wichtige Debatte über Eigenschaften und das Potenzial der Branche angestoßen. Fancy übersieht nämlich wesentliche Faktoren. Mit Blick auf die UN-Klimakonferenz COP26 und angesichts der Tatsache, dass der mögliche Beitrag unserer Branche zur Bekämpfung des Klimawandels auf dem Prüfstand steht, ist dies ein guter Zeitpunkt, um auf einige von Fancys Hauptargumenten einzugehen.

In einem hat Fancy recht: Der Vermögensverwaltungssektor allein wird die Welt nicht retten. Die Tatsache, dass dies überhaupt erwähnt werden muss, zeigt, wie übertrieben einige Aussagen der Branche und manche Erwartungen sind. Doch als Kapitalbereitsteller und -vermittler kommt der Branche durchaus eine wichtige Rolle zu, insbesondere durch ihre Funktion als Hüter und Verwalter von Ka­pital.

Top-down-Maßnahmen

Fancy ist darin zuzustimmen, dass ein systematischer Wandel neben Bottom-up-Anstrengungen von Anlegern (und Privatpersonen) gemeinsame Top-down-Maßnahmen von Staaten, Aufsichtsbehörden und Zentralbanken voraussetzt. Ebenso hat er damit recht, dass das vorrangige Ziel der Vermögensverwaltung darin besteht, Renditen für Anleger zu erwirtschaften. Doch es sind genau diese Anleger, auf deren Bedürfnisse unsere Branche aktuell reagiert: Anleger wünschen sich Lösungen, mit denen sie sowohl Gutes tun als auch gute Renditen erzielen. Diesen wichtigen Aspekt scheint Fancy nicht zur Kenntnis genommen zu haben.

Hinter ESG-Anlagen steckt also keine Überheblichkeit, sondern eine klare Marktnachfrage nach einem Anlageansatz, den einige von uns seit Jahren befürworten. Glücklicherweise gibt es umfassende Möglichkeiten. Um Renditen zu erwirtschaften und zugleich einen Wandel zum Besseren zu fördern, müssen wir dort investieren, wohin sich die Wirtschaft entwickelt, nicht dort, wo sie herkommt. Und staatliche und regulatorische Maßnahmen haben zu wesentlichen Veränderungen geführt, die eine Vielzahl von entsprechenden Anlageopportunitäten schaffen. 

Im falschen Glauben

Doch wie Fancy betont, bleibt ein echtes Risiko, dass Anleger, die in Lösungen mit ESG-Label investieren, sich in dem Glauben wähnen könnten, Gutes zu tun, während die Portfoliopositionen dies möglicherweise nicht hergeben. Einige Vermögensverwalter werden sich tatsächlich auf diesen Trend stürzen, ohne über die erforderlichen Kenntnisse oder Fähigkeiten zu verfügen. Aber das gilt längst nicht für alle.

Zudem unterschätzen Fancy und andere Branchenkritiker, wie anspruchsvoll und versiert Anleger beim Thema Nachhaltigkeit mittlerweile agieren. Sie können durchaus unterscheiden zwischen Vermögensverwaltern, denen es an Substanz mangelt, und solchen, die selbst entwickelte Ansätze verfolgen, prozessorientiert vorgehen und über einen starken Track Record verfügen.  

Definitionsproblem

Fancy merkt zu Recht an, dass es beim Thema ESG-Anlagen ein Definitionsproblem gibt. Tatsächlich ist der Begriff weit gefasst und umfasst verantwortungsbewusste Anlagen, Negativ-Screening (Ausschluss gravierender ESG-Verstöße), Positiv-Screening (Suche nach den besten ESG-Performern), nachhaltige Anlagen und Impact Investing. Jede dieser Strategien hat ihre Berechtigung, da verschiedene Anleger unterschiedliche Risikopräferenzen haben und Ziele ver­folgen.

Fancy behauptet ebenfalls, dass der im Allgemeinen kurze Zeithorizont der Märkte und der naturgemäß längerfristig angelegte Prozess eines grundlegenden Wandels in einem Widerspruch zueinander stehen. Dies könne beim Aufbau eines nachhaltigen Portfolios zum Problem werden. Die Märkte bilden hier in der Tat die Ausnahme, doch die Anlagehorizonte der Anleger – insbesondere institutioneller Anleger – und ESG-Themen passen zeitlich perfekt zueinander.

Kurzfristige Risiken

Und außerdem: Sind ESG-Aspekte wirklich nur langfristig relevant? Diejenigen, die in diesem Sommer von einer der zahlreichen, vom Menschen mitverursachten Naturkatastrophen betroffen waren, etwa von den Überflutungen in Deutschland oder China oder den Waldbränden in Griechenland und im Nordwesten der USA, werden diese Frage sicherlich verneinen.

Es gibt eine ganze Reihe kurzfristiger Risiken, die jetzt eingepreist und angegangen werden müssen. Dazu zählen die Anpassung von Versicherungsprämien zur Berücksichtigung des erhöhten Überschwemmungsrisikos und des steigenden Meeresspiegels ebenso wie Veränderungen der Verbraucherpräferenzen, der sich schnell verändernde Arbeitsmarkt und die regulatorischen Anforderungen zur Bekämpfung des Klimawandels.

Reifeprozess

Fancy spielt den möglichen Einfluss der Vermögensverwaltungsbranche und die Veränderungen herunter, die sie herbeiführen kann. So stellen beispielsweise Nachhaltigkeitsanleihen eine große Hoffnung für die Zukunft dar. Bislang fand die Entwicklung nur langsam und in begrenztem Umfang statt, doch die Möglichkeit, Unternehmen und ihre Führungsteams für einen Strategiewechsel und die Erzielung konkreter Ergebnisse zu belohnen, ist von unschätzbarem Wert.

Zudem befinden sich Vermögensverwalter, indem sie als Aktionäre und Anleihegläubiger Verantwortung übernehmen, in einer besseren Position, positive Veränderungen zu bewirken, als dies durch eine Veräußerung möglich wäre. Eine solche Veräußerung führt lediglich dazu, dass der Vermögenswert den Besitzer wechselt.

Jeder muss Beitrag leisten

Um die Klimakrise zu bekämpfen, bedarf es einer Kombination aus Engagement, Kapitalallokation sowie regulatorischen und politischen Richtungswechseln. Fancy fordert zu Unrecht, dass Vermögensverwalter nur die kurzfristige Rendite maximieren und es politischen Entscheidungsträgern überlassen sollten, Probleme wie den Klimawandel durch Regulierung und/oder Besteuerung des Marktes zu lösen.

Jeder muss seinen Beitrag leisten. Der Investmentsektor wird sich seiner bedeutenden Rolle endlich zunehmend bewusst und erweitert in diesem Sinne den Einfluss auf die Refinanzierungskosten von Unternehmen – das sollten wir alle be­grüßen!