Tektonische Verschiebungen im Assetmanagement

Das größte Risiko ist aktuell, keines einzugehen - Vermögensverwalter müssen die gesamte Wertschöpfungskette den Anforderungen entsprechend ausrichten

Tektonische Verschiebungen im Assetmanagement

Aus der Seismologie ist das Phänomen wohlbekannt: Von außen mit dem bloßen Auge kaum wahrnehmbar sind unter einer Oberfläche gewaltige Kräfte am Werk, die für tektonische Verschiebungen sorgen. Derartiges erleben wir heute auch in der Assetmanagement-Landschaft. Das – um im Bild zu bleiben – “Erdbeben” Finanzkrise im Jahr 2008 hat die Branche ziemlich durchgerüttelt. Die 2015er Zahlen zu den Mittelzuflüssen der Branche in Deutschland deuten zwar momentan eine heile Welt an, gleichwohl schlägt der Seismograph deutlich aus: Es gibt eine Vielzahl an Zugkräften, die unter der Oberfläche Spannungen erzeugen. Finanzielle RepressionEine dieser Kräfte ist die Finanzielle Repression. Weltweit werden die Zinsen im historischen Vergleich noch lange Zeit auf einem sehr niedrigen Niveau liegen. Damit besteht auch der Anlagenotstand fort, dem sich viele Investoren – institutionell wie privat – ausgesetzt sehen. Mehr als 2 Bill. Euro, die in Deutschland quasi unverzinslich als Bankguthaben schlummern – etwa 40 % des gesamten Geldvermögens -, sind jedoch Zeugnis dafür, dass viele Privatanleger beim psychologischen Sprung über die Anlagehürde noch Hilfe bedürfen. Und auch auf institutioneller Seite gibt es noch reichlich interne Vorgaben, die das Anlageuniversum unbotmäßig einschränken. Dabei kann gar nicht oft genug wiederholt werden: Das größte Anlagerisiko ist heutzutage, kein Risiko einzugehen.Eine zweite Kraft hängt teilweise mit der ersten zusammen: Die infolge der Finanziellen Repression niedrigen Marktrenditen ziehen die Gebühren im Assetmanagement weiter nach unten. Die Konkurrenz durch Passivprodukte (wie Indexfonds oder Exchange Traded Funds – ETF) hat in den vergangenen Jahren ohnehin zu einer Erosion der Gebühren geführt. Dieser Trend wird nun durch die Finanzielle Repression verschärft. In einigen nordeuropäischen Ländern hat sich mittlerweile sogar der Regulierer der Frage angenommen, wie aktiv eine aktive Fondsstrategie zu sein hat, damit entsprechende Gebühren erhoben werden können.Auch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) hat unlängst verlauten lassen, dass sie sich dem Thema widmen möchte. Der aus Anlegersicht möglicherweise nicht ganz unerfreuliche Druck auf die Gebühren hat somit für aktive Assetmanager den Nebeneffekt, dass sie sich noch stärker als zuvor um Outperformance bemühen müssen – das heißt um ein besseres Ergebnis als der jeweilige Vergleichsmaßstab. In einem Umfeld niedriger Marktrenditen kommt dieser Outperformance aber ohnehin eine wachsende Bedeutung zu. Da Letzteres bekanntlich ein scheues Reh ist, bedeutet dies, dass sich viele aktive Assetmanager anders aufstellen müssen, um nachhaltig Outperformance zu erwirtschaften. Neue digitale KonkurrenzWeiterer Druck auf die Geschäftsmodelle von Assetmanagern kommt von Seiten der Regulierung und durch neue digitale Konkurrenz. Vermögensverwalter sind nicht nur generell mit einem zunehmenden Berg an Regulierungsmaßnahmen konfrontiert. Hinzu kommt, dass die Vorschriften mitunter von Land zu Land unterschiedlich und nicht harmonisiert sind. Dies stellt besondere Herausforderungen an die Bemühungen der Assetmanager, ihr Produktangebot international skalierbar zu gestalten. Gleichzeitig bedrohen neue digitale Konkurrenten, Stichwort Fintechs, und deren Konzepte die Komfortzone der etablierten Vertriebskanäle und herkömmlichen Produkte. “Erdbebensicher” aufstellenWie können Vermögensverwalter nun ihr Haus “erdbebensicher” aufstellen? Nun, bekanntlich kommt es hier auf die gesamte Statik an. Sprich: Assetmanager müssen die gesamte Wertschöpfungskette den Anforderungen entsprechend ausrichten. Branchenschätzungen zufolge werden von den derzeit etwa 200 international führenden Assetmanagern bis Ende dieses Jahrzehnts 50 oder weniger übrig bleiben. Gerade für aktive Assetmanager gilt daher: Das aktive Management muss sich weiterentwickeln, muss aktiver werden. In dreierlei Hinsicht.Erstens: aktiver im Portfoliomanagement. In der öffentlichen Diskussion entsteht oftmals der Eindruck, aktive Portfoliomanager wären in den letzten Jahren passiver geworden, würden stärker als zuvor an Vergleichsmaßstäben kleben. In der Breite trifft dieser Vorwurf jedoch wohl nicht zu. Vielmehr ist es so, dass aufgrund der Veränderungen von Volatilitäten und Korrelationen an den Aktienmärkten das her-kömmliche Maß an “Aktivität” heute weniger Outperformance ermöglicht als in der Vergangenheit. Dies bedeutet im Umkehrschluss: Aktive Portfoliomanager müssen ermuntert und befähigt werden, das Korsett aus Vergleichsmaßstäben und Anlagevorschriften auszuweiten. Viele Portfolien müssen breiter und internationaler aufgestellt werden. Dies hat nicht nur positive Diversifikationseffekte, sondern ermöglicht auch das Erwirtschaften derjenigen Renditen, die Anleger benötigen. Auch innerhalb einzelner Assetklassen benötigen Assetmanager mehr Freiheiten. Die Tendenz wird daher vielfach in Richtung konzentrierterer Portfolien oder Absolute-Return-Konzepte gehen. Gemeinsam Lösungen findenZweitens: aktiver in der Beratung. Ein nachhaltiges Erwirtschaften von Überrenditen ist für den langfristigen Erfolg aktiver Assetmanager zwar unabdingbar, dies ist aber nicht alles. Aktives Management ist mehr als Outperformance. Aus Kundensicht den Unterschied macht die Fähigkeit von Vermögensverwaltern, ihnen mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Aktiv zu sein bedeutet in dieser Hinsicht für Assetmanager, zusammen mit den Kunden die richtige Lösung zu finden: sei es bei der Analyse von Pensionsvermögen und -verbindlichkeiten, bei der Ausarbeitung der strategischen Asset-Allokation, bei der Auswahl jeweils geeigneter Vermögensverwalter, beim Aufbau eines Reporting-Systems oder bei der Installation eines leistungsfähigen Risikomanagements.Gerade auf Letzteres kommt es an im aktuellen Anleger-Dilemma: Investoren müssen stärker ins Risiko gehen, gleichzeitig verspüren sie nach den Erfahrungen der vergangenen Jahre ein ausgeprägtes Bedürfnis nach Verlustbegrenzung. Im institutionellen Geschäft bewährte Risikomanagement-Konzepte werden daher auch mehr und mehr Einsatz im Publikumsgeschäft finden. Die Branche kann so Mehrwert schaffen, der weit über die Königsdisziplin, das aktive Fondsmanagement, hinausgeht. Denn Umfrageergebnisse belegen vielfach: Als exzellent wahrgenommene Vermögensverwalter verfügen zumeist auch über als hervorragend angesehene Advisory-Qualitäten. Einem jüngsten Bericht in der Börsen-Zeitung zufolge sind in Deutschland diesbezüglich die großen Assetmanager bereits auf einem guten Weg.Drittens schließlich: aktiver in der modernen Kundenansprache. Fintechs und ihre Angebote, etwa Robo-Advice oder Big-Data-Analyse, fordern herkömmliche Produkt- und Vertriebskonzepte heraus. Sie sind aber wohl beides für die Branche, Fluch und Segen. In vielen Ausprägungen ersetzen sie nämlich nicht notwendigerweise das klassische Assetmanagement-Geschäft, sondern sie ergänzen es auch. Digitalisierung bietet die Chance, Kunden anders anzusprechen und neue Kundengruppen zu erschließen. Derart als Bereicherung wahrgenommen liegt die Hausaufgabe vor allem darin herauszufinden: Welche der wie Pilze aus dem Boden sprießenden Konzepte sind langfristig tragfähig und passen zum eigenen Unternehmen? Der Nachteil: Vermutlich wird man nicht so lange warten können, bis hierüber Klarheit herrscht. Kooperationen mit FintechsAssetmanager benötigen daher auch hier Unternehmergeist im ursprünglichen Sinne: Mut zum Probieren und eine Kultur, würdevoll mit Rückschlägen umzugehen. Von vornherein klar definierte Exit-Strategien gehören dazu. Es bedarf daher nicht viel an Fantasie um vorherzusagen, dass es in der Branche in den kommenden Jahren einiges an Nachrichten hinsichtlich digitaler Initiativen sowie Kooperationen mit Fintechs geben wird.Allianz Global Investors hat jüngst ein Buch der britischen Autorin Polly Morland gefördert. Es heißt “Risk Wise” und beschäftigt sich mit dem menschlichen Umgang mit Risiken im Alltagsleben. Eins der neun Kapitel mit dem Titel “Unter dem Vulkan” erzählt die Geschichte zweier Familien, die seit Generationen hoch oben auf dem Vesuv leben. Ihre Heimatverbundenheit und die fast schon stoische Gelassenheit, mit der sie die alltäglichen Risiken am Rande des Kraters ertragen, berührt. Für aktive Assetmanager wäre dies gleichwohl die falsche Strategie, um den Herausforderungen der tektonischen Verschiebungen in ihrem Bereich zu begegnen.—Tobias C. Pross, Head of EMEA von Allianz Global Investors