Kolumne „Finance for Future

Timewashing – lang­fristige Ansagen ohne kurz­fristige Verbind­lichkeit

Zum viel diskutierten „Greenwashing“ könnte sich bald eine zweite Methode gesellen, die Firmen nachhaltiger aussehen lässt, als sie sind. Beim „Timewashing“ stehen ehrgeizige langfristige Ziele wenig verbindlichen kurzfristigen Zielen gegenüber.

Timewashing – lang­fristige Ansagen ohne kurz­fristige Verbind­lichkeit

Im Rahmen der UN-Klimakonferenz in Glasgow verpflichteten sich neben den G20-Staaten auch viele Unternehmen auf das 1,5-Grad-Ziel und netto null Emissionen bis Mitte des Jahrhunderts. Aber was sind diese langfristigen Aussagen wert? Zuletzt war viel von Greenwashing die Rede, also den Versuchen von Unternehmen, sich selbst als umweltfreundlich und klimaschonend darzustellen, ohne es zu sein. Greenwashing könnte ein Geschwisterchen bekommen: „Timewashing“, das medienwirksame Verkünden von langfristigen Zielen ohne kurzfristige Rechenschaftspflicht und Überprüfbarkeit.

Um Timewashing zu verhindern, sollte die ganze Aufmerksamkeit auf der Entwicklung von Indikatoren liegen, die begründete Prognosen erlauben, ob Unternehmen und ihre Transformationsstrategien mit dem Pariser Klimaabkommen vereinbar sind – oder nicht. Es geht dabei um transparente Kriterien, die sektorale Übergangspfade nachvollziehbar und Zwischenziele messbar machen – sprich um die Details in der Umsetzung. Dies hätte einen riesigen Vorteil gegenüber „historischen“ Daten, also etwa den Emissionsdaten aus dem zurückliegenden Jahr, die in einer dynamischen Umgebung wenig Aussagekraft besitzen.

Die Idee, nach vorn statt nach hinten zu blicken, ist natürlich nicht neu. Zahlreiche Datenanbieter haben beispielsweise Scores entwickelt, die das Erwärmungspotenzial eines Unternehmens berechnen, also eine Aussage darüber treffen, ob das Wirken eines Unternehmens mit dem 1,5-Grad- oder nur einem höheren Erwärmungsszenario vereinbar ist. Aber wie substanzhaltig sind solche Zahlen? Da viele Unternehmen keine oder nur schwer vergleichbare Informationen berichten, sind Schätzwerte von Datenanbietern die einzige Quelle. Das führt dazu, dass die am Markt verfügbaren Scores auf unterschiedlichen Daten und Berechnungsmodellen basieren. Ergebnisse klaffen daher weit auseinander – vor allem bei Scores, die zukünftige Entwicklungen bewerten. Investoren lassen solche Daten verständlicherweise nur mit großem Vorbehalt in ihre Investitionsentscheidungen einfließen.

Dabei benötigen gerade langfristige Investoren robuste Kennzahlen zu Klimazielen und den Übergangsplänen ihrer Portfoliounternehmen – wie sonst können Investoren 1,5- Grad-Strategien entwickeln und die Transformation vorantreiben? Um ein konkretes Exempel zu nehmen: Wie bekommt beispielsweise die Öl- und Gasindustrie ihre Produkte innerhalb der nächsten 28 Jahre auf netto null CO2? Genau das ist durchaus das erklärte Ziel von Shell.

2021 analysierte die World Benchmarking Alliance, dass von den größten 100 Unternehmen dieser Branche sich zwar drei umfassende Ziele gesetzt hätten, aber ohne Angaben von Zwischenzielen. Weniger als ein Drittel der Unternehmen legten ihre Investitionsplanung in kohlestoffarme oder -mindernde Technologien offen (grüner CapEx). Diese Investitionen seien zudem so niedrig, dass eine Transformation nicht glücken könne, resümierte die Studie. Das dokumentiert: Ohne präzise, verpflichtende Reportingstandards kommen wir nicht weiter.

Im Januar 2020 kündigte die EU an, ihre Richtlinien für Nachhaltigkeitsreporting neu aufzulegen. Diese sollen ab dem Berichtsjahr 2024 gestaffelt verbindlich werden – in Deutschland für rund 15 000 Unternehmen. Der Entwurf zu den konkreten Anforderungen kann noch bis Anfang August kommentiert werden. Im Herbst 2020 zogen die International Financial Reporting Standards (IFRS) nach und schlugen einen internationalen Mindeststandard für Klimareportings vor, der sich ebenfalls in der Abstimmung befindet.

Im Vergleich zum Entwurf des Standardsetzers IFRS, der nur die finanziellen Risiken von Investoren beleuchtet, hat der EU-Entwurf grundsätzlich eine ganzheitlichere Sicht. Er richtet sich nicht nur an Anleger, die wissen wollen, wie sich der Klimawandel auf den Unternehmenswert auswirkt. Die EU fragt auch aus der Stakeholder-Perspektive, welchen Einfluss Unternehmen auf Gesellschaft und Umwelt haben. Zu erfahren, wie Unternehmen die Klimaerwärmung beeinflussen und was sie zu ihrer Begrenzung unternehmen, steht allen Stakeholdern zu.

Vergleicht man beide Entwürfe, dann geht die EU vor allem bei der Offenlegung von Klimazielen und Übergangsplänen weiter. Zum Beispiel bei der Abfrage von konkreten Emissionszielen (Scope 1 bis 3), der Kommunikation von Zwischenzielen oder deren Verankerung durch eine an diese Ziele gebundene Vergütung, auch der „grüne“ CapEx wird abgefragt. Die IFRS nennen hier keine ausdrücklichen Anforderungen und hängen die Hürde bei der Beantwortung tiefer, möchten sie doch Minimalanforderungen schaffen, die in so vielen Ländern wie möglich Anwendung finden.

Insofern stellt sich zum einen die Frage, ob damit Timewashing Tür und Tor geöffnet wird. Und zum anderen, warum sich die Finanzvorstände von rund 40 deutschen Konzernen unter Regie des Deutschen Aktieninstituts ausdrücklich für die Minimalstandards der IFRS aussprachen – und gegen die EU-Vorschläge. Darunter auch die Allianz und Talanx, die sich – als langfristige Investoren – doch eigentlich für ein Reporting starkmachen müssten, das Umwelt und Gesellschaft sowie konkrete Klimaziele im Blick hat.

Kora Krause ist Expertin für nachhaltige Finanzen und Klimaschutz sowie Autorin unserer Kolumne: Finance for Future.

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