Finanzindustrie

Transformations­prozesse brauchen großes Repertoire

Die Katalysatoren für Transformationsprozesse wurden jüngst um Corona, Ukraine und Net Zero erweitert, und bereits die Sekundäreffekte erster Ordnung stellen die Finanz­industrie und ihre Kunden vor neue Aufgaben. Diesen ist kaum mit einseitigen...

Transformations­prozesse brauchen großes Repertoire

Die Katalysatoren für Transformationsprozesse wurden jüngst um Corona, Ukraine und Net Zero erweitert, und bereits die Sekundäreffekte erster Ordnung stellen die Finanz­industrie und ihre Kunden vor neue Aufgaben. Diesen ist kaum mit einseitigen Methoden zu begegnen, denn die Häufung von vielschichtigen Black Swan Events erfordert eine breite Klaviatur an Managementkompetenzen. Häufig geht es hierbei um ein Blending von Erfolgsfaktoren, derer drei nun beispielhaft herangezogen werden.

 Je größer die Aufgabe, desto wichtiger sind erfahrungsgemäß Präzision in der Analyse von Wirkungszusammenhängen, die Reduktion von Komplexität und eine unorthodoxe Ideenentwicklung. Vor allem im Kontext von Transformation mündet dies oft in der Notwendigkeit, seine Strategie zu überarbeiten oder – um es mit Roger Martin, Professor Emeritus und hochdekorierter „Management Thinker“, zu formulieren – darin, die Frage „Where to play and how to win“ neu zu beantworten.

Dichotomische Optionen

 Dies kann so weit gehen, dass ein Finanzinstitut sich klar zwischen zwei – geradezu dichotomischen – Optionen entscheiden muss. Etwa zwischen den beiden Optionen, auf ein möglichst großes oder aber auf ein möglichst fokussiertes Franchise hinzuarbeiten, arrondiert mit einer ehrlichen Perspektive auf Industrie- und Produktkompetenzen und die Risiken bestimmter Kundentypen. Oder dass es sich gar ein derart anspruchsvolles Ziel setzen muss – z. B. die Halbierung der Cost-Income-Ratio, die Verdopplung der Green-Asset-Ratio etc. –, dass es mit dem Optimieren bestehender Prozesse nicht mehr getan ist.

 Im Hinblick auf Digitalisierungsstrategien kann übrigens das vielzitierte Credo des früheren Telefónica-Deutschland-CEO Thorsten Dirks helfen: „Wenn Sie einen Scheißprozess digitalisieren, dann haben Sie einen scheiß digitalen Prozess.“ Sprich, wenn man Prozesse und Trends inhaltlich nicht durchdringt, dann wird auch das modernste Straight-Through Processing oder die beste AI kein inhaltlich schwaches Konzept kompensieren. Konkret bedeutet dies die Ableitung einer digitalen Antwort, die nicht nach dem „Gießkannen-Prinzip“, sondern zielgerichtet gegeben wird; insbesondere indem man prüft, welche digitalen Strategien und Fintech-Lösungen tatsächlich komplementär zum Geschäftsmodell und adäquat für die Problemstellung sind.

 Nun zur Bedeutung eines Blends: Wenn ein Management fachliche Fähigkeiten überbetont, rigide in Denkmustern verharrt oder detailliertes Monopolwissen kultiviert, werden Vorteile einer kollektiven Lösung von komplexen Transformationsproblemen verspielt:  Vielleicht liegt es an der weniger visiblen Präsenz von Produktions- und Herstellungsprozessen im Finanzsektor, denn hier haben Transformationsprojekte scheinbar eine Tendenz, die spätere Implementierung zu vernachlässigen. Diese schon von vornherein mitzudenken erfordert vor allem den Blick auf die verschiedenen Stakeholder und die für die Umsetzung nötigen Mitarbeiter: Erfahrungsgemäß kommt es bei Projektteams selten zu Nachtschichten wegen des hohen inhaltlichen Anspruchs einer Aufgabe, sondern eher weil ein wichtiger Aspekt oder eine Stakeholder-Perspektive übergangen wurde; und gerade im Finanzsektor erscheint die Liste der relevanten Stakeholder gegenwärtig besonders lang. Umso wichtiger ist es, für deren Interessen in einer reflektierten Herangehensweise die nötige Sensibilität zu entwickeln.

Ohne die richtigen Mitarbeiter keine Umsetzung; sie müssen befähigt werden, eigene Entscheidungen auch bei zunehmender Komplexität zu treffen und eine Kompetenz dafür zu entwickeln, wann eine selbstkritische Rückversicherung angebracht ist. Nicht zu vernachlässigen ist auch die Etablierung eines Risikobewusstseins für mögliche adverse Entwicklungen, denn ein Mangel an dieser Stelle kann leichter die Zielerreichung verhindern als ein besonders hoher intellektueller Anspruch eines Transformationsvorhabens.

 Eine Führungskraft wird zudem nur in den seltensten Fällen, gerade bei einer übergreifenden Transformation und evolvierenden Schwerpunkten, alle Kompetenzen abdecken können. Die Zusammenstellung, Entwicklung und Befähigung von komplementären Teams, die sich in ihren Fähigkeiten ergänzen und in vielen auch der Führungskraft überlegen sind, hat hier höchste Relevanz. Hierzu sollte man den Satz „A-Managers hire As, B-Managers hire Cs; aber Vorsicht: some A-Managers hire too similar As“ in Erinnerung rufen.

Gesunde Mischung

 Nochmal zur gesunden Mischung: Ein zu starker Fokus auf eine organisierende oder koordinierende Rolle marginalisiert die Fähigkeit, Akzente in der Gestaltung zu setzen. Gleichermaßen ist der Grad zwischen Enablement und Überforderung schmal. Wer viel delegiert und sich nicht um seine Mitarbeitenden sorgt, erhöht das Risiko, eine böse Überraschung zu erleben.

Ein originärer Wertbeitrag auf der Ebene der People Skills ist gerade in zunehmend pluralistischen Teams umso wichtiger und deswegen hier als drittes Beispiel aufgeführt: Gerade in einem Transformationsumfeld, das nur partnerschaftlich beschritten werden kann, ist Transparenz hinsichtlich Zielvorstellungen und Ab­sichten zentral. Dies gilt nicht nur für die eigene Organisation, sondern auch im Netzwerk und für Kooperationen, denn die Finanzindustrie ist zunehmend auf Kompetenzen aus Innovationssektoren oder von entsprechenden Dienstleistern angewiesen.

 Last but not least: Es braucht an­spruchsvolle Assessments, die auch kaschierte Verhaltens- und Denkmuster offenlegen. Das Spektrum umfasst professionell durchgeführte Interviews, Peer Reviews und Upward Feedbacks, One-on-One Coaching und dedizierte Trainings, doch unabhängig vom gewählten Ansatz sollte hier verstärkt ein reflektiertes Selbstbild für die Weiterentwicklung von Transformationskompetenzen im Fokus stehen.

 In a Nutshell: Der Finanzsektor wird weiterhin eine zentrale Rolle in gesellschaftlichen Transformationsprozessen einnehmen. Ob die Themen beschleunigte digitale Disruption, Friktion in Lieferketten, Inflation und Zinswende oder Green vs. Brown Assets heißen: Für Führungskräfte wird es einen stetigen Akt des Blending von Fähigkeiten bedeuten. Vielseitigkeit und ein möglichst großes Repertoire an unterschiedlichsten Kompetenzen und komplementären Einflüssen sind dabei ebenso bedeutsam wie die Erkenntnis, welcher Führungsstil zu welcher Transformationsaufgabe am besten passt.