Unternehmen und Politik - alles halb so schlimm

Analysten sehen ein "Überschießen" konjunktureller Frühindikatoren - Normalisierung von Inflation und Geldpolitik könnte zu Stimmungsabschwung führen

Unternehmen und Politik - alles halb so schlimm

In dieser Zeit voller Widersprüchlichkeiten bleiben auch Konjunkturbeobachter und Aktienmarktanalysten von Rätseln nicht verschont. Seit Monaten schon signalisieren die Stimmungsindikatoren, die rund um die Welt die Beurteilung von Lage und Erwartungen der Unternehmen abgreifen, einen Boom in der Weltwirtschaft. Die Einkaufsmanagerindizes in der europäischen Wirtschaft stehen so hoch wie seit sechs Jahren nicht mehr. In Deutschland pirscht sich das Ifo-Geschäftsklima an sein Allzeithoch aus dem Jahr 2011 heran. Nachdem die US-Wirtschaft und die europäischen Volkswirtschaften schon seit der zweiten Hälfte des abgelaufenen Jahres Fahrt aufgenommen hatten, schlossen sich in den vergangenen Monaten auch noch die Schwellenländer der Wachstumsparade an. Rechnet man alle Regionen zusammen, so deuten die Frühindikatoren auf ein Wachstum der Weltwirtschaft von 4 bis 5 % hin.An dieser Stelle drängen sich zwei Fragen auf. Zuerst geht es darum, wie verlässlich diese Zahlen sind. Würde man die abgeleiteten Wachstumsszenarien wörtlich nehmen, könnte man einige Probleme wie etwa die der hohen Verschuldung in der Weltwirtschaft etwas tiefer hängen und müsste dafür andere Gefahren wie etwa die Inflation weitaus mehr fürchten. Zweitens stellt sich die Frage, wie man sich diese Superstimmung erklären kann, in einer Zeit, in der die politischen Rahmenbedingungen für Produktion und Handel an vielen Orten der Welt sehr viel unsicherer geworden sind. Nicht das erste MalAn ein Wachstum der Weltwirtschaft von 4 % glaubt an den Finanzmärkten kaum jemand. Auch die aus den deutschen Stimmungsindikatoren abzuleitende Wachstumsrate von mehr als 4 % für die deutsche Volkswirtschaft für dieses Jahr wird von keinem Konjunkturanalysten ernsthaft vertreten. Eher ist man sich einig, dass die konjunkturellen Frühindikatoren derzeit “überschießen”. Ein solches, eher von Finanzmarktkursen bekanntes Phänomen tritt auch bei Konjunkturumfragen auf, es wäre nicht das erste Mal.Konjunkturtests fragen die Entscheider in der Wirtschaft regelmäßig nach dem Vergleich der Lage zum Vormonat, was viele Befragte auch in einen Vergleich zum gleichen Monat im letzten Jahr uminterpretieren. In jedem Fall sind es relative Größen. Eine feste Beziehung zu bestimmten Wachstumsraten ist damit nicht verbunden. Das hat zur Folge, dass bei einem langfristig sinkenden gesamtwirtschaftlichen Wachstumstrend die Beurteilungen nicht ebenfalls strukturell niedriger ausfallen. Die Bewertung “besser als normal” bedeutet dann die gleiche positive Stimmungslage, selbst wenn “normal” in Wachstumsraten ausgedrückt aufgrund struktureller Schwierigkeiten eben niedriger ausfällt als ein Jahrzehnt zuvor. Psychologie zu beachtenAls weitere Erklärung für ein Überschießen von Erwartungen ist wohl auch die Psychologie der Befragten zu beachten, wenn etwa die Erkenntnis, dass aus einer besonders bedrohlichen Lage doch keine Katastrophe geworden ist, Erleichterung hervorruft; diesen Fall konnte man nach dem Konjunktureinbruch aufgrund der Bankenkrise 2008 beobachten. Insgesamt bleibt es den Produzenten und Analysten dieser Indikatoren überlassen, das jeweilige Ausmaß und die Gründe einer solchen Übertreibung zu beurteilen.Unabhängig von den konkreten Wachstumsdimensionen bleibt allerdings von den gegenwärtigen Befragungsergebnissen eine relativ positive Beurteilung von Lage und Erwartungen für die kommenden sechs Monate übrig. Dies ist der Zeitraum, für den die Konjunkturumfragen ihre höchste Prognosekraft aufweisen. Die Unternehmen legen damit einen bemerkenswerten Pragmatismus gegenüber Brexit, Protektionismusgefahren und Euro-Diskussionen an den Tag. Zum einen ist dies einer realistischen Einschätzung geschuldet: Die teilweise radikalen wirtschaftspolitischen Änderungsankündigungen von Trump & Co stoßen in der Regierungswirklichkeit auf viele Hindernisse, wie gerade die Regierung Trump schmerzhaft erfahren hat. Vor diesem Hintergrund diskontieren viele Entscheidungsträger die Wahlkampfrhetorik etwas ab und sind daher nicht ganz so beunruhigt, wie es manch politischer Kommentar erwarten lassen würde. Radikaler Wandel kostet ZeitDazu kommt zum anderen, dass gerade ein radikaler Wandel Zeit benötigt. So sind etwa die Institutionen des freien Welthandels, die in den letzten Jahrzehnten errichtet worden sind, nicht in wenigen Monaten einzureißen, selbst nicht für einen US-amerikanischen Präsidenten. Das gibt Unternehmen Zeit, sich an neue Rahmenbedingungen zu gewöhnen. Solche Gewöhnungsphasen sind essenziell. Unternehmen und Märkte sind sehr wohl in der Lage, mit dem Wandel von Rahmenbedingungen fertig zu werden. Krisen entstehen vor allem dann, wenn ein solcher Wandel sehr plötzlich stattfindet. Das gilt auch für geopolitische Spannungen: Militärische Auseinandersetzungen sorgen ab einer gewissen Größenordnung meistens für erhebliche Reaktionen in Finanzen und Wirtschaft.Obwohl sich die Lage schnell ändern kann, muss man feststellen, dass Unternehmen und Börse sich lange Zeit relativ unbeeindruckt von den politischen Wirren dieser Tage gezeigt haben. Dies drückt sich auch in den für die Aktienmärkte besonders wichtigen Gewinnerwartungen aus. Erste Anzeichen für eine positive Trendwende in den Unternehmensgewinnen waren bereits in den Zahlen zum dritten Quartal des vorangegangenen Jahres zu erkennen. Dies setzte sich im vierten Quartal fort und auch die Indikatoren für das laufende Jahr deuten auf eine fortgesetzte Verbesserung der Gewinnlage hin.Dabei ist anzumerken, dass ähnlich wie bei den Konjunktur- und Preisdaten auch bei den Gewinnzahlen die Verbesserung regional breit angelegt ist. Sowohl bei Unternehmen aus den Industrie- als auch aus den Schwellenländern hellen sich die Perspektiven auf. Diese Trendumkehr trifft auf hartnäckig enttäuschte Erwartungen aus den vergangenen Jahren. Noch verstärkt durch die Kassandrarufe aus dem unübersichtlichen Politikumfeld hatten sich die Erwartungen der Marktteilnehmer auf sehr niedrigen Niveaus eingependelt, was sich in äußerst vorsichtigen Prognosen niedergeschlagen hat. Es war zwischenzeitlich zu einer kollektiven Unterschätzung hinsichtlich der fundamentalen Trends gekommen, die ebenfalls er-klärt, warum Erwartungen und Kurse in den letzten Monaten so deutlich angezogen haben. Keine SorglosigkeitsgarantieMan sollte sich allerdings nicht in falscher Sicherheit wiegen. Dass an den Aktienmärkten diese Risiken gegenwärtig scheinbar keine Rolle spielen, ist keine Sorglosigkeitsgarantie. Entgegen einer landläufigen Weisheit, dass die Aktienmärkte der beste Frühindikator für das wirtschaftliche Geschehen in der Zukunft sind, erweisen sich Aktienindizes doch eher launig bis lausig als gesamtwirtschaftliches Prognoseinstrument. Und politische Ereignisse können die Aktienmärkte genauso wenig vorwegnehmen wie politische Analysten. Diese weisen jedoch darauf hin, dass die politische Stabilität etwa der europäischen Institutionen gefährdet ist, weil die Bürger eine asymmetrische Wahrnehmung herausgebildet haben, in der die Insuffizienzen und Kosten der europäischen Zusammenarbeit betont, die mannigfaltigen Erfolge und Vorteile allerdings entweder als selbstverständlich angenommen oder gar nicht beachtet werden.Der nächste Stimmungsabschwung könnte ohnehin aus einer ganz anderen Ecke kommen als durch die viel beschworenen politischen Risiken. Ganz allmählich setzt sich nämlich die Erkenntnis durch, dass eine fortschreitende Normalisierung des Wirtschaftsgeschehens nach der Finanzkrise auch eine Normalisierung von Inflation und Geldpolitik zur Folge haben könnte. Während ein leicht steigendes Zinsniveau bei kräftigem Wachstum zunächst noch unterstützend auf die Aktienmärkte wirken kann, geht diese Wirkung bei weiter steigenden Zinsen verloren und wird im Gegenteil zu einer Belastung. Neben äußeren Schocks wie plötzliche Ölpreisanstiege, militärische Konflikte oder Finanzmarktbeben waren es in der Vergangenheit vor der Finanzkrise hauptsächlich die Notenbanken, die wirtschaftliche Abschwünge einleiteten, wenn ein Boom sich in stark steigende Inflationsraten zu übertragen drohte. Diese Logik war in den vergangenen Jahren untergegangen, in denen der lange Schatten der Finanzkrise viele Regelmäßigkeiten ins Dunkel tauchte. Wichtigste FrageDie wichtigste Frage der kommenden Jahre wird sein, ob die geldpolitisch verursachte Zyklik wieder Einzug in das Konjunkturgeschehen hält. Dann werden wir auch wieder Stimmungsbilder in der Unternehmenswelt sehen, die dem Konjunkturbeobachter vertrauter vorkommen.—Ulrich Kater, Chefvolkswirt der DekaBank