Michael Munsch, Creditreform Rating

US-Dominanz auf dem europäischen Ratingmarkt schadet

Noch immer dominieren Ratingagenturen aus den USA den europäischen Markt. Das ist schädlich, schreibt Michael Munsch, Vorstand der Creditreform Rating AG, in seinem Gastbeitrag.

US-Dominanz auf dem europäischen Ratingmarkt schadet

Bereits in der siebten oder achten Klasse lernen Schüler die Marktformen Polypol, Oligopol und Monopol zu unterscheiden. Bei einem Oligopol können die wenigen Anbieter aufgrund ihrer Marktmacht die Preise mehr oder minder diktieren. In Deutschland gibt es beispielsweise im Energiemarkt gleich mehrere Oligopole: So verfügen jeweils nur vier Konzerne über rund 70% Marktanteil im Tankstellen- und sogar 80% im Stromerzeugungsmarkt.

Noch einseitiger ist die Marktdominanz im Sektor der Ratingagenturen verteilt. Drei US-amerikanische Firmen, Standard & Poor’s, Moody’s und Fitch, dominieren mit etwa 92% den rund 1 Mrd. Euro großen Markt. 26 weitere in Europa gelistete Ratingagenturen, darunter vier deutsche, teilen sich also gerade einmal 7% des Marktes. Das ist gleich mehrfach problematisch für die deutsche und europäische Wirtschaft.

Elementare Bedeutung

Die Aufgabe von Ratingagenturen ist es, Informationen über die Finanzsituation sowie über die strukturierten Finanzprodukte von Unternehmen, Banken und Ländern zu sammeln, um nach einer umfassenden Analyse ihre Bonität und mögliche Ausfallrisiken auf einer internationalen Ratingskala von „AAA“ bis „D“ zu bewerten. Emittenten sichern sich also mit Ratings das Vertrauen von Investoren und Banken. Die Analysen von unabhängiger Seite sind mittlerweile für alle (institutionellen) Anleger, zum Beispiel Pensionskassen und Versorgungswerke, aber auch Banken, Basis für die Analyse und Einschätzung einer Investition. Regulierungen, wie zum Beispiel die europäische Rahmenrichtlinie Solvabilität II, die im Jahr 2016 für Versicherer eingeführt wurde, schreiben die Einschätzung von Ausfallrisiken durch Ratingagenturen sogar teilweise gesetzlich vor.

Warum lässt Europa und die Europäische Zentralbank (EZB) die Marktmacht amerikanischer Agenturen zu? Die Vormachtstellung der Ratingagenturen Standard & Poor’s, Moody’s und Fitch ist nicht nur der langen und weltweiten Erfolgsgeschichte der drei Anbieter geschuldet. So unterstützt die EZB indirekt mit ihren Ankaufsprogrammen von Vermögenswerten die Beibehaltung des Oligopols. Schließlich erkennt sie nur solche Papiere als notenbankfähig an, die über Ratings von mindestens zwei Agenturen verfügen, welche im Rahmen des Eurosystem Credit Assessment Framework (ECAF) zugelassen sind. Das sind neben den „Big Three“ nur noch die kanadische DBRS Morningstar.

Hohe Hürden der EZB

Zugleich setzt die EZB die Hürden sehr hoch, um als weitere Agentur in den elitären Kreis aufgenommen zu werden. Der Legitimationsprozess dauert mindestens drei Jahre und ist äußerst komplex, aufwendig und viele der Vorgaben sind unklar. So müssen Bewerber für zwei Drittel der europäischen Länder drei von vier Vermögenskategorien (Unternehmensanleihen, gedeckte Schuldverschreibungen, ungedeckte Bankschuldverschreibungen und Asset-Backed Securities) bewerten – ohne damit wirklich Geld verdienen zu können. Insgesamt müssen mehrere tausend Ratings erstellt werden, beispielsweise in jeder Assetklasse für mindestens 10% der notenbankfähigen Vermögenswerte und 10% der Emittenten sowie mindestens 20% des jeweiligen Volumens. Erfüllt die Ratingagentur diese Kriterien über drei Jahre lang, wird sie lediglich in den Rang eines akkreditierten Bonitätsprüfers aufgenommen. Und das ist nur der erste Schritt im vollständigen ECAF-Akkreditierungsprozess. Die weiteren Bedingungen sind unklar bis unbekannt.

Kein Wunder, dass sich diesen Herausforderungen kaum eine Agentur stellen mag oder kann. Dabei hätten hiesige Agenturen möglicherweise in wichtigen Fragen, zum Beispiel zur Bewertung notenbankfähiger Sicherheiten, eine etwas andere Sicht als die Nordamerikaner. Zweifelsohne würde eine neu geschaffene europäische Souveränität in diesem wichtigen Bereich den Investoren sowie dem Kapitalmarkt und damit der Volkswirtschaft guttun. Durch die Akkreditierung mindestens eines europäischen Players erhoffen sich viele Unternehmen und Politiker einen Ratingmarkt, der fairer und transparenter ist.

Abhängigkeit der Investoren

US-Agenturen nutzen die Marktdominanz zu ihrem Vorteil. Die drei marktbeherrschenden US-Agenturen sind sich der Marktkonzentration und Abhängigkeit der Investoren und Banken bewusst. Regelmäßig erhöhen sie die Gebühren für die Nutzung der Ratings. Laut dem Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) liegen die jährlichen Gebührensteigerungen der Lizenzierungsverträge zwischen 5 und 25%. So müsse ein nur mittelgroßer Versicherer mittlerweile sechsstellige Beträge im Jahr zahlen. Laut der European Securities and Markets Authority (ESMA) sollen sich die Lizenzkosten für Marktdaten an europäischen Börsen seit 2017 sogar um rund 400% verteuert haben.

Einseitige Marktsituation

Aufgrund der einseitigen Marktsituation fordern unter anderem der deutsche Fondsverband BVI und der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft schon länger eine stärkere Regulierung der vier großen Ratingagenturen. Meines Erachtens liegt der Schlüssel aber nicht in der Regulierung, sondern in der Schaffung eines echten und damit fairen Wettbewerbs. Nur so entstünde erstmals Druck auf die Preisgestaltung. Deshalb sollte das Ziel sein, dass es mehr Anbieter und damit Auswahlmöglichkeiten für die Auftraggeber gibt – im besten Fall aus Europa. Hierfür müsste aber die EZB das bisherige Zulassungsverfahren einfacher und auch transparenter gestalten. Dann könnte es bereits nächstes Jahr mindestens eine erste europäische Ratingagentur als Alternative geben.

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