HALBJAHRESZAHLEN VON UNION INVESTMENT

"Viel Bewegung, aber wenig Richtung an den Börsen"

Union Investment erwartet stark schwankende Märkte - Wilhelm: Brexit muss Weckruf für EU-Reform sein

"Viel Bewegung, aber wenig Richtung an den Börsen"

ski Köln – Die Politik sollte das Brexit-Votum als Weckruf zu einer dringend gebotenen grundsätzlichen Reform der Europäischen Union verstehen und ernst nehmen. Notwendig sei ein Neuanfang, sagte Jens Wilhelm, im Vorstand von Union Investment zuständig für Portfoliomanagement und Immobilien, in einem Pressegespräch. Auf den Ausgang des britischen Referendums zum EU-Austritt, wie EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, mit mehr Integration reagieren zu wollen, wäre gerade die falsche Konsequenz, weil diese Entwicklung den Wünschen der Bürger zuwiderliefe. Wilhelm sprach sich für realistische und pragmatische Lösungsansätze im Rahmen eines Europa der zwei Geschwindigkeiten und auf Basis intergouvernementaler Vereinbarungen aus. So könnten Bündnisse mehrerer Länder beispielsweise mit einer Harmonisierung der Körperschaftsteuer und ähnlichen “Leuchtturmprojekten” vorangehen.Der Brexit kennt nach Einschätzung von Union Investment nur Verlierer. Großbritannien wie auch der EU stehe eine lange Phase der Unsicherheit bevor. Zwei Jahre seien für Verhandlungen über die Scheidungsmodalitäten ein sehr ambitionierter Zeitraum, zumal man sich mit einem Austritt nach Artikel 50 des EU-Vertrages auf unerforschtes Gelände begebe. Über die bilateralen Verträge zwischen der EU und der Schweiz sei zehn Jahre verhandelt worden. Was die Chancen des Finanzplatzes Deutschland angeht, die sich aus dem Brexit ergeben, kritisierte Wilhelm, dass sich die Bundesregierung, anders als etwa die französische Regierung, “bescheiden zurückhält”. Er forderte ein klares Bekenntnis der Politik zum Kapitalmarkt, hat aber eher den Eindruck, dass die deutsche Politik um maximalen Abstand zum Kapitalmarkt bemüht sei. Doch werde man die Marktteilnehmer nur mit attraktiven Rahmenbedingungen – etwa beim Thema kapitalgedeckte Altersvorsorge – dazu bewegen können, Geschäftsaktivitäten von London nach Frankfurt zu verlagern. Nicht nur Union Investment, sondern die gesamte deutsche Fondsbranche oder auch das Deutsche Aktieninstitut hätten gerade in Sachen Kapitalmarktreformen und Altersvorsorge Vorarbeiten geleistet, die von der Politik indes kaum aufgegriffen würden. Für Börsensitz FrankfurtDie genossenschaftliche Fondsgesellschaft selbst bekenne sich klar zum Finanzplatz Frankfurt, betonten Wilhelm und der Vorstandsvorsitzende Hans Joachim Reinke. Das schließe auch die Forderung ein, dass Frankfurt Hauptsitz einer fusionierten deutsch-britischen Börse sein müsse. Diese Position habe man gegenüber dem Management der Deutschen Börse deutlich vertreten und unterstütze hier auch die hessische Landesregierung. Union Investment hat die Aktienanteile an der Deutschen Börse (1 %) mittlerweile angedient, wurde bei der Pressekonferenz bekannt.Mit Blick auf das Brexit-Votum und die befürchteten negativen Effekte auf die Konjunktur vor allem in Großbritannien selbst, aber in geringerem Maße auch auf dem Kontinent geht Wilhelm davon aus, dass die EZB ihre Geldpolitik noch weiter lockern wird. Man solle die Kreativität der EZB wie auch anderer Notenbanken sowie die Bereitschaft, noch einmal auf das Gaspedal statt auf die Bremse zu treten, nicht unterschätzen. Die Zinswende in den USA habe der Markt bereits komplett ausgepreist. “Da kommt eher nichts mehr”, zumal Union Investment davon ausgeht, dass die USA wirtschaftlich vor einem Wechsel “von der Überholspur auf den Standstreifen” stünden und das Wachstum dort um den Jahreswechsel vorübergehend fast zum Erliegen kommen werde.Angesichts der weltweit eher bescheidenen Wachstumsperspektiven hält der Kapitalmarktstratege über die unkonventionelle Geldpolitik hinaus 2017 auch fiskalpolitische Impulse für wahrscheinlich – zuerst in Japan, wo bereits über die Ausgabe von Konsumgutscheinen diskutiert werde. Letztlich könne der Brexit auch in der Eurozone die Diskussion darüber neu entfachen, ob Austerität der richtige politische Weg sei.In diesem Umfeld kann sich Wilhelm auch positive Reaktionen an den Kapitalmärkten vorstellen. Im Ergebnis sagte er freilich für das zweite Halbjahr “viel Bewegung, aber wenig Richtung an den Börsen” voraus; es werde unruhig bleiben und unter hohen Schwankungen seitwärts gehen. Die schwere Krise der italienischen Banken hängt er in diesem Zusammenhang eher tief. Die Politik werde “alle bestehenden Regularien anwenden und dehnen”, um vor dem Verfassungsreferendum in Italien im Oktober eine Lösung zu finden und den Kapitalbedarf der unter faulen Krediten von 360 Mrd. Euro (auf 40 % abgeschrieben) leidenden Banken auf eine für die Bevölkerung verträgliche Weise zu decken.Vor dem beschriebenen gesamtwirtschaftlichen Hintergrund und eingedenk des auch durch erwartete geringere Gewinnsteigerungen der Unternehmen herausfordernden Umfelds für Aktien sieht Union Investment laut Björn Jesch, Leiter Portfoliomanagement, den Dax am Jahresende bei 9 300 Punkten (vor allem wegen der erwarteten Wachstumsdelle in den USA). Auf der Rentenseite prognostiziert Wilhelm zum Dezember-Ultimo eine Rendite von minus 0,1 % bei zehnjährigen Bundesanleihen, während US-Staatsanleihen gleicher Laufzeit noch 1,5 % abwerfen dürften. Als Alternativen kämen Schwellenländeranleihen in Hartwährung oder Hybridanleihen von Unternehmen in Betracht, bei denen auf Sicht von zwölf Monaten Total Returns von jeweils um die 4 % durchaus realistisch seien. Keine Sorgen wegen TürkeiVom gescheiterten Putschversuch in der Türkei erwartet Wilhelm in einer ersten Einschätzung weder für Europa noch für die Emerging Markets insgesamt nennenswerte Marktauswirkungen. Man müsse, zumal wegen der Brückenfunktion der Türkei zur Krisenregion Nahost, an politischer Stabilität in dem Land interessiert sein. Diese Stabilität sieht Wilhelm nach derzeitigem Stand gegeben. Mit dem schnellen Ende des Umsturzversuchs bleibe die Machtposition von Präsident Recep Tayyip Erdogan erhalten oder sei sogar eher noch gefestigt worden. Aus Anlagesicht bereite die Entwicklung daher keine Sorgen. Anders hätte es bei einer länger anhaltenden Bürgerkriegssituation ausgesehen.