Vorstandschef als Krisenmanager
ir Bad Neuenahr-Ahrweiler
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– Ein halber Kilometer trennt das Büro des Vorstandschefs der Kreissparkasse (KSK) Ahrweiler, Dieter Zimmermann, vom Flussbett der Ahr. In der Flutnacht vom 14. auf den 15. Juli 2021, die 134 Menschen aus dem Leben riss, stand das Wasser in der KSK-Zentrale in Ahrweiler und schwoll bis auf zweieinhalb Meter an. Zimmermann war dort am Abend auf der Heimfahrt vom Sparkassenverband in Mainz gestrandet, da die Straßen nach Hause blockiert waren.
Kontakt zur Außenwelt
Rund ein Dutzend Kilometer flussaufwärts, in Altenahr, erreichte der Ahrpegel in jener Nacht gar mehr als 7 Meter. „Obwohl das Gebäude 500 Meter von der Ahr entfernt ist, kamen Autos und Bäume angeschwommen“, erinnert sich der 61-Jährige. „Man war weitgehend zur Tatenlosigkeit verdammt.“ Während das Wasser das Untergeschoss der Sparkassen-Zentrale und Teile des Erdgeschosses flutete, bemühte er sich in den oberen Etagen, Verbindungen zum Rest der Welt herzustellen. „Die komplette EDV war tot“, erinnert sich Zimmermann. Schließlich sei es gelungen, mit Powerbanks und Notstromaggregaten eine Art Notversorgung herzustellen. Social Media habe eine äußerst wichtige Rolle gespielt, da einzig Whatsapp und Facebook den Kontakt zur Außenwelt sicherzustellen vermochten. Er sei dann dem Notfallhandbuch der Sparkasse gefolgt, kontaktierte seinen Vorstandskollegen Guido Mombauer und berief für den Morgen den rund zehnköpfigen Krisenstab ein, der in kleiner Besetzung tagte, da einige Mitglieder von der Flut heimgesucht worden waren und nicht nach Ahrweiler durchkamen.
Von diesem Tag an habe das Gremium regelmäßig getagt, berichtet Zimmermann, und habe versucht, sich ein Bild über die Gesamtlage zu verschaffen. „Die Grundfunktionen der Sparkasse wie Erreichbarkeit, Bargeld- und Kreditversorgung sowie Wertpapiergeschäft waren gewährleistet. Zwar nicht überall, da eben auch Gebäude zerstört waren, aber im Großen und Ganzen funktionierten sie dank Ausweichstandorten, Homeoffice und Hilfe benachbarter Sparkassen. Es war unheimlich beruhigend, sagen zu können: Die Sparkasse liegt nicht in Trümmern, sondern arbeitet und kann helfen.“ Zimmermann sei sich der Verantwortung bewusst gewesen, welche die Sparkasse als Marktführer in der Region mit fast 110000 Kunden trage: „Uns war klar, dass wir eine gewisse Vorbild- und Orientierungsfunktion haben. Wir konnten nicht die Köpfe hängen lassen.“
Die beiden Vorstände seien dann – soweit möglich – ausgeschwärmt. „Wir sind rausgefahren und haben mit den Menschen gesprochen, die natürlich schockiert und traumatisiert waren.“ Die „ganze Brutalität der Flut“ sei erst am zweiten und dritten Tag deutlich geworden, als das Wasser abgeflossen war. „Zuvor hatten wir ja alle nur staunend auf die braune Brühe geschaut, ohne Vorstellung, welche Zerstörung sie ausgelöst hat.“
Unvorstellbare Zerstörungen
Berge von Schutt, aufgetürmten Autos, kaputten Häusern und Betrieben und immer mehr Meldungen von Todesfällen offenbarten nach und nach das ganze Ausmaß der Katastrophe. „Die unvorstellbaren Zerstörungen im Ahrtal haben mir schlicht die Sprache verschlagen. Ganze Straßen waren verschwunden, eine Bahnlinie weggeschwemmt, alle Sportstätten, Schulen, Kindergärten betroffen, unzählige Häuser und Betriebe verwüstet.“ Die Sachschäden der Sparkasse beliefen sich laut Zimmermann auf etwa 10 Mill. Euro, wobei insgesamt acht Standorte dem Erdboden gleichgemacht und sechs beschädigt worden seien, einer davon schwer. „Etwa ein Drittel des Geschäftsstellennetzes wurde zerstört“, sagt Zimmermann, so in Bad Neuenahr, Altenahr oder Dernau. „Die Zweigstelle in Mayschoß ist sogar von den Fluten weggerissen worden.“
Hilfe kam von der Sparkassen-Finanzgruppe: Um die Versorgung mit Finanzdienstleistungen zu gewährleisten, sei sogleich eine fahrbare Geschäftsstelle der Kreissparkasse Kusel an die zerstörte Mittelahr entsandt worden, um etwa Anträge für die Aufbauhilfen bearbeiten zu können, und der Beratungstruck der Sparkasse Werra-Meißner, samt Geldautomat und Beratungskabinen, nach Bad Neuenahr. Die Deutsche Leasing stellte Mitarbeitern Autos zur Verfügung. Viele hatten ihre verloren, waren doch laut Zimmermann insgesamt 30000 Fahrzeuge von der Flut mitgerissen bzw. zerstört worden. Einige Sparkassen entsandten Personal in den Kreis Ahrweiler, andere schalteten ihre Kundenservicecenter frei. Auch mit Geldspenden für die Menschen im Ahrtal hat die Finanzgruppe Zimmermann zufolge geholfen, die Kreissparkasse Ahrweiler selbst habe eine halbe Million beigesteuert. Insgesamt seien so 5,5 Mill. Euro zusammengekommen.
Von den 380 Beschäftigten sei jeder Dritte direkt oder indirekt vom Hochwasser betroffen gewesen. „Glücklicherweise ist keiner unserer Mitarbeiter zu Schaden gekommen“, sagt der Vorstandschef. Allerdings sei es vorgekommen, dass Mitarbeiter in der Flutnacht mit ihren Familien auf dem Hausdach ausharren oder in die Weinberge flüchten mussten. Diese Beschäftigten seien dann zunächst einmal in Sonderurlaub geschickt worden, die anderen in die noch funktionierenden Standorte. Dort erwartete sie ein extrem erhöhtes Arbeitsaufkommen mit bis zu 3000 Telefonanrufen am Tag – doppelt so viele wie üblich.
Zentrale wieder hergerichtet
„Hinzu kam, dass wir selbst Aufräumarbeiten in der Hauptstelle und an unseren anderen betroffenen Standorten zu bewerkstelligen hatten. Anfangs waren jeden Tag 30, 40 Leute damit beschäftigt, Schutt wegzuräumen und das Haus wieder betriebsfähig zu machen“, erzählt Zimmermann. Das Untergeschoss in der Hauptstelle, wo sich Archiv und Kundenschließfächer befinden, hatte unter Wasser gestanden. Die IT musste sukzessive wieder ertüchtigt werden, wobei man sich Zimmermann zufolge zunächst mit Provisorien behalf. Im November 2021 seien schließlich die oberen Etagen der Zentrale wieder voll nutzbar geworden. Erst seit einigen Tagen gilt das auch für Erd- und Untergeschoss.