LEITARTIKEL

Wegweisendes Urteil

Cum-ex-Geschäfte sind strafbar. Wenn sich Marktteilnehmer unter Einschaltung von Leerverkäufern absprechen, um Gewinne einzig durch die doppelte Rückerstattung nur einmal gezahlter Kapitalertragsteuern zu generieren und jegliches Kursrisiko dabei...

Wegweisendes Urteil

Cum-ex-Geschäfte sind strafbar. Wenn sich Marktteilnehmer unter Einschaltung von Leerverkäufern absprechen, um Gewinne einzig durch die doppelte Rückerstattung nur einmal gezahlter Kapitalertragsteuern zu generieren und jegliches Kursrisiko dabei durch Termingeschäfte ausschalten, ist das nicht legal. Das Landgericht Bonn hat Klarheit geschaffen. Sie war dringend nötig.Die Klarheit besteht nicht nur in der eindeutigen Klassifizierung dieser Art von Cum-ex-Transaktionen als kriminelle Handlung. Der Vorsitzende Richter Roland Zickler fand in seiner mündlichen Urteilsbegründung auch sehr deutliche Worte zu der gesamten Cum-ex-Industrie: “Wir haben Sachen gehört, die sind eigentlich nicht zu fassen”, konstatierte Zickler. Eine systemimmanente Selbstkontrolle habe nicht funktioniert. Er sprach von Banken, die in der Finanzkrise vom Staat gerettet wurden und gleichzeitig dem Fiskus in die Tasche griffen. Er nannte Anwälte als Organe der Rechtspflege, die versucht hätten, Mitarbeiter in Finanzbehörden mit existenzvernichtenden Drohungen unter Druck zu setzen und Einfluss auf Finanzrichter zu nehmen. Bei den Cum-ex-Geschäften ist Teilen der Finanzindustrie ihr moralischer Kompass völlig abhandengekommen.Das Urteil an sich war keine Überraschung mehr. Die Richtung hatte die Kammer bereits mit ihrer vorläufigen deutlichen Einschätzung im Dezember vorgegeben. Die beiden angeklagten britischen Aktienhändler sind mit milden Strafen belegt worden. Die Freiheitsstrafen wurden zur Bewährung ausgesetzt, was angesichts des immensen Steuerschadens der von ihnen orchestrierten Geschäfte auf den ersten Blick vielleicht verwundert. Der wichtigste Grund ist die enorme Aufklärungshilfe, die Martin S. und Nick D. geleistet haben. Vor allem Martin S., der mit der von ihm mitgegründeten Ballance-Gruppe im Zentrum der Cum-ex-Industrie stand, hat mit seinen Aussagen das Verständnis der Ermittler außerordentlich erweitert. Er hat angekündigt, mit den Behörden auch weiterhin zusammenzuarbeiten.Die Bedeutung des Bonner Cum-ex-Prozesses ist nicht zu unterschätzen. Denn auch dessen Verlauf – mit Ausnahme vielleicht des Corona-bedingt abrupten Endes – war ein Gewinn. Das souverän geführte Verfahren brachte einen neuen Schub an Transparenz in die komplexe Cum-ex-Materie. Anders als im Berliner Bundestagsuntersuchungsausschuss lag hier der Fokus nicht auf dem politischen Aspekt, sondern auf der praktischen Umsetzung der Cum-ex-Strategien. Ross und Reiter wurden benannt: wer wann was tat und wusste. Zeugenaussagen, die Angaben der Angeklagten und die Inhalte der sichergestellten Wagenladung an Dokumenten waren schlüssig und deckten sich.Das Urteil im ersten Cum-ex-Strafprozess ist nachvollziehbar und wegweisend. In absehbarer Zeit werden weitere Verfahren starten.Auch mit dem Einziehungsbefehl von knapp 177 Mill. Euro gegen die Warburg-Bank hat das Landgericht Bonn einen Pflock in den Boden gerammt. Diese Entscheidung ist juristisch wahrscheinlich die kniffeligste, da die Kammer das relativ neue Einziehungsrecht anwandte, das derzeit noch vom Bundesgerichtshof ständig weiterentwickelt wird.Das Gericht hat mit dem Prinzip der gesamtschuldnerischen Haftung den gesamten Steuerschaden aus den betreffenden Cum-ex-Transaktionen bei Warburg in Rechnung gestellt, obwohl nur ein Teil davon auch wirklich bei der Bank hängenblieb. Die weitergereichten Gewinne soll sich Warburg dann zivilrechtlich von den ehemaligen Geschäftspartnern wiederholen. Der Staat sei nicht dafür zuständig, die Vertragspartner im komplexen Cum-ex-Gefüge einzeln zur Kasse zu bitten, beschied der Richter der Privatbank.Die Justiz hat sich an die Adresse gehalten, die die Steuerrückerstattung für die nicht abgeführte Kapitalertragsteuer beantragt hat. Warburg wird sich jetzt mit den anderen beteiligten Finanzinstituten gerichtlich auseinandersetzen müssen. Die Bank findet das unfair. Es stellt sich allerdings die Frage, ob es zu der Einziehungsentscheidung in dieser Form auch gekommen wäre, wenn Warburg schon vor Ende des Prozesses die auf sie entfallende Steuerschuld bereits freiwillig und vollständig beglichen hätte. Es ist gut möglich und sogar wahrscheinlich, dass die Kammer das entsprechend gewürdigt hätte. Warburg aber hat lange laviert und Verantwortung von sich gewiesen. Jetzt hat sie die Quittung dafür erhalten.——Von Antje KullrichDas Urteil im ersten Cum-ex-Strafprozess setzt einen Meilenstein. Das Bonner Landgericht hat für Klarheit und Transparenz gesorgt. Gut so!——