Bankbeschäftigung

Wie der Fachkräftemangel gelöst werden kann

Banken und Versicherer bleiben vom sich verschärfenden Mangel an qualifizierten Arbeitskräften nicht verschont. Sechs Thesen, wie dem Problem zu begegnen ist.

Wie der Fachkräftemangel gelöst werden kann

Die Banken- und Versicherungsbranche steuert frontal auf einen umfassenden Fachkräftemangel zu. Sollten nicht wie durch ein Wunder Millionen von Arbeitnehmern in den nächsten Jahren „unerwartet“ gewonnen werden, ist diese Entwicklung nach Ansicht aller Marktbeobachter unausweichlich. Trotzdem geht überraschenderweise immer noch ein Drittel der deutschen Unternehmen davon aus, nicht betroffen zu sein. Das ist mehr als fahrlässig, denn über 50 % der Unternehmen haben bereits jetzt ein Problem damit, ihre Geschäftstätigkeit aufgrund mangelnden Personals aufrechtzuerhalten – und dieser Wert wird kontinuierlich weiter steigen.

Was also sollte man wissen bzw. tun, wenn auf kurze Frist gegengesteuert und strategisch in der Personalplanung neu angesetzt werden muss?

1. Wer seine Anstrengungen zur Mitarbeiterbindung nicht stei-gert, wird sein Recruiting über-fordern

Bis zum Jahr 2030 werden in der Finanzdienstleistungsbranche mehr als 30% der Arbeitnehmenden allein durch Verrentung ausscheiden. Betrachten wir die Daten genauer, liegt die Fluktuation bei dieser Gruppe in den vergangenen Jahren stabil bei unter 2 %. Demgegenüber liegt die Fluktuation bei Neueinsteigern in den ersten fünf Jahren der betrieblichen Zugehörigkeit bei über 10 %. Damit dürfte sich die Fluktuation für ein Drittel der Mitarbeitenden bis 2030 verfünffachen. Berücksichtigt man zudem den steigenden Wettbewerb um Mitarbeitende, ergibt sich ein weiterer beschleunigender Faktor. Wenn es also nicht gelingt, neue Mitarbeitende schnell durch ein attraktives Arbeitsumfeld an das eigene Unternehmen zu binden, wird dies zwangsläufig die Kapitulation des Recruitings durch Überforderung bedeuten.

2. Aus dem Wort „Fachkräfteman-         gel“ ist „Fach“ zukünftig zu          streichen

Der Begriff Fachkräftemangel kursiert schon länger, bezog sich in der Vergangenheit jedoch vorrangig auf IT-Funktionen sowie weitere Funktionen von besonderer Expertise. Klassischerweise waren dies in Versicherungen Mathematiker, in Banken beispielsweise Compliance-Spezialisten. Inzwischen breitet sich der Fachkräftemangel flächendeckend und zügig über alle Funktionen der Organisation aus. So zeigt sich auch bei klassischen Sachbearbeiter-Funktionen ein gravierender Mangel. Damit erreicht der Engpass unmittelbar operative Funktionen, die direkt an der Kundenschnittstelle liegen – die Kundenorientierung leidet zunehmend. Wer also die Bindung seiner operativen Mitarbeitenden nicht im Blick hat, wird im Wettbewerb verlieren.

3. Ausscheidende Arbeitnehmer werden relevante Zielgruppe des   Recruitings

Alumniprogramme sind nicht neu. Sie beziehen sich jedoch fast immer auf Mitarbeitende, die noch im Berufsleben stehen. Sicherlich können (und müssen) diese Programme hier und da optimiert werden. Wichtiger ist aber, sie gezielt auszuweiten. Denn: Jeder altersbedingt ausscheidende Mitarbeitende verfügt über relevante Erfahrungen und Kompetenzen. Persönliche Bindungen zum Unternehmen, insbesondere aber auch zu Kunden, sind vorhanden, der Einarbeitsaufwand geht gegen null.

Der Gesetzgeber lockert inzwischen schrittweise rechtliche Regulation hinsichtlich der Zuverdienstmöglichkeiten im Rentenalter. Diese Chance müssen Banken und Versicherer nutzen. Sie müssen flexible Arbeitsangebote für Mitarbeitende entwickeln, die im Rentenalter Möglichkeiten des Zuverdienstes nutzen möchten. Ehemalige Mitarbeitende stellen damit zukünftig ein erhebliches Potenzial des Recruitings dar.

4. Die aktive Ansprache von Kandi-daten wird sich schrittweise in dieUnternehmen verlagern

Studien belegen die steil ansteigen­de Kurve der Direktansprachen durch Personalberater. Immer mehr Finanzdienstleister suchen auf diesem Weg nicht nur hochdotierte Experten, sondern auch Standardfunktionen. Der gestiegenen Nachfrage nach Dienstleistungen der Personalberatung steht jedoch die steil abnehmende Erfolgswahrscheinlichkeit gegenüber.

Perspektivisch wird sich damit für sehr viele Stellenbesetzungen ein Missverhältnis aus Personalkosten, Beratungskosten und Erfolgswahrscheinlichkeit ergeben. Die Folge: Finanzdienstleister müssen die Kompetenz zur Direktansprache von Kandidaten und zu einem professionellen Headhunting selbst aufbauen. Heute gibt es dafür weder Kompetenzen noch Kapazitäten. In HR-Bereichen wird also ein Umdenken erforderlich sein, um diese Entwicklung frühzeitig zu antizipieren.

5. Effizienzprogramme halten viel-fach nicht, was sie versprechen

Effizienzprogramme sind wichtig und richtig, zu ihnen gibt es keine Alternative. Aber: Es zeigt sich in vielen Projekten, dass insbesondere die großen IT-Investitionen der Finanzdienstleister perspektivisch nicht die erwarteten Einsparungen im Personalbedarf erzielen. Zwar werden bisher händische Prozesse in Teilen automatisiert. Gleichzeitig steigern neue Systeme in der Regel die Komplexität und bieten völlig neue Funktionen, die wiederum manuelle Eingriffe erfordern. Gerade bei den teilweise langlaufenden hochkomplexen IT-Projekten der Finanzdienstleistungs- und Versicherungsbranche ist es daher erforderlich, kontinuierlich die Erwartungen an den Impact auf den Personalbedarf im Blick zu haben. Und nicht nur das: Während der Personalbedarf nicht so stark sinken dürfte, wie vielfach erwartet, steigt der Bedarf zur Personalentwicklung deutlich an, da die Komplexität der Aufgaben zunimmt.

6. Personalgewinnung wird zur Ver-         antwortung aller Mitarbeitenden

Nicht nur in den HR-Bereichen ist ein Umdenken erforderlich. Die Herausforderung der Personalgewinnung und -bindung ist von so hoher Relevanz, dass die Verantwortung auf breitere Schultern verteilt werden muss. Wer die Verantwortung allein dem Personalbereich überlässt, wird perspektivisch in Personalgewinnung und -bindung scheitern. Damit erreicht das Thema die Unternehmenskultur (wo es auch hingehört), und damit ein Schwergewicht der Unternehmensentwicklung.

Unternehmen werden Initiativen starten müssen, um das Selbstverständnis von Führungskräften und Mitarbeitenden bezüglich der Personalgewinnung und -bindung zu steigern. Die Investition aber lohnen sich, denn insbesondere in der Personalgewinnung stellt die Initiative aller Mitarbeitenden einen erheblichen Hebel dar.

Aus diesen Themenfeldern ergeben sich für Finanzdienstleister unterschiedlichste Handlungsfelder. Natürlich werden sie nicht überall gleichzeitig ansetzen können. Wer jedoch jetzt nicht beginnt, für die eigene Organisation zumindest Prioritäten zu setzen und erste wesentliche Schritte zu unternehmen, muss einen Wettbewerbsnachteil fürchten. Denn wo bisher vorrangig die Jagd auf Neukunden im Fokus stand, führt jetzt der Weg der Kundenbetreuung – erst recht jedoch der Weg der Neukundengewinnung – nur über die Bindung und Gewinnung von Mitarbeitenden.

Zuletzt erschienen:

Als Arbeitgeber mit Kultur und Atmosphäre punkten (15. Februar)