IM INTERVIEW: DANIEL THELESKLAF, FINANCIAL INTELLIGENCE UNIT

"Wie der Sünder im Beichtstuhl"

Der Chef der liechtensteinischen Geldwäsche-Meldestelle erklärt, weshalb die Banken verdächtige Transaktionen rascher melden sollten

"Wie der Sünder im Beichtstuhl"

Finanzaufseher und Korruptionsjäger klagen: Das Meldewesen zur Erkennung verdächtiger Fälle von Geldwäsche ist nicht effizient genug. In der Schweiz und in Liechtenstein führen die gemeldeten Fälle zwar oft zu Strafverfahren, aber die Meldungen kommen zu spärlich und oft zu spät. Daniel Thelesklaf erklärt das Dilemma der Banken.- Herr Thelesklaf, Sie sind Leiter der Stabsstelle Financial Intelligence Unit, also der Geldwäsche-Meldestelle in Liechtenstein. Ihre Schweizer Kollegen haben am vorigen Donnerstag in Bern einen Kulturwandel in der schweizerischen Geldwäschebekämpfung gefordert. Die Banken meldeten verdächtige Fälle zu spät und zu spärlich, kritisierte der dortige Chef der Bankenaufsicht Finma. War das eine Spontan-Reaktion auf die Panama Papers, oder steckt mehr dahinter?Es steckt sicher mehr dahinter. Die Panama Papers zeigen sehr deutlich, dass Geldwäsche im Verborgenen stattfindet. Umso wichtiger ist das Meldewesen, weil es ein präventives Instrument ist. Geldwäsche kann nur rechtzeitig erkannt werden, wenn die Finanzbranche aktiv mithilft, also verdächtige Fälle frühzeitig meldet. Die Meldung hat auch Vorteile für die meldenden Institute. So können sich Banken entlasten wie der Sünder im Beichtstuhl. In Ländern wie Liechtenstein und der Schweiz, die ein Bankgeheimnis kennen, kann diese Meldepflicht die Banken aber auch in ein Dilemma bringen. Einerseits dürfen sie über Kundenbeziehungen nicht reden, und andererseits existiert eben diese Pflicht, die Behörden zu informieren. Das Abgrenzungskriterium ist der Verdacht, und der ist eben subjektiv.- Die Banken müssen also abwägen zwischen Kundeninteressen und dem öffentlichen Interesse der Geldwäscheprävention.So ist es. Nach meiner Beobachtung hat man dem Bankgeheimnis in diesem Prozess während vieler Jahre ein höheres Gewicht beigemessen. Aber das ändert sich schon seit einiger Zeit sehr deutlich. Man sieht, dass die Anzahl der Meldungen steigt und dass mehr strafrechtliche Verfahren daraus entstehen.- Bislang hieß es in der Schweiz immer, das Meldewesen sei sehr effizient. Zwar kämen in anderen Ländern mehr Meldungen zusammen, aber die hiesigen seien eben qualitativ besser und für die Strafbehörden nützlicher. Warum gilt das nicht mehr? Weshalb will jetzt auch die Schweiz plötzlich ein offensiveres Meldewesen?Ein Meldesystem mit einer hohen Verdachtsschwelle hat Vorteile, wenn es um die Identifikation von Vermögenswerten in konkreten Einzelfällen geht. Da ist es eindeutig recht effizient, aber es hat dann keinen wirklich präventiven Charakter mehr. Aber wenn das Meldesystem präventiv wirken soll, darf die Schwelle nicht zu hoch angesetzt sein, sonst bringt es gar nichts.- Welche Erfahrungen machen Sie in Liechtenstein?Wir haben, wie die Finma, auch bei uns festgestellt, dass die Meldungen manchmal zu spät eintreffen, zum Beispiel erst dann, wenn ein Bankkunde schon verhaftet ist. Erforderlich ist eine Meldung zum Zeitpunkt einer verdächtigen Transaktion.- Ihre Behörde hat 2014 gut 300 Meldungen erhalten, die Meldestelle der Schweiz 1 750. Ein Missverhältnis, wenn man davon ausgeht, dass die Schweiz 30-mal größer ist als Liechtenstein. Gibt es dafür rechtliche Gründe?Es gibt einen rechtlichen Unterschied: In der Schweiz wird die Meldepflicht erst bei einem begründeten Verdacht ausgelöst, in Liechtenstein ist nur ein einfacher Verdacht nötig. Der Unterschied hat auch damit zu tun, dass Liechtenstein als EWR-Mitglied die Standards der EU befolgen muss. Wir haben die Schwelle vor ein paar Jahren heruntergesetzt, und es hat sich bewährt. Aber dieser internationale Schönheitswettbewerb, bei dem die Anzahl der Meldungen verglichen wird, hat auch seine Tücken. Ein System kann sehr ineffizient sein mit vielen oder auch mit wenigen Meldungen.- Was wäre dann die richtige Betrachtungsweise?Die Meldungen sollten in einem gesunden Verhältnis zu den bestehenden Risiken auf einem Finanzplatz stehen.- Stimmt dieses Verhältnis in Liechtenstein?Wir wurden vor knapp zwei Jahren geprüft durch den Internationalen Währungsfonds und Moneyval (Expertenausschuss für Geldwäschebekämpfung des Europarates, Anm. d. Red.). Es war ein sehr strenges Examen, das zum Schluss gekommen ist, dass unser Meldewesen in Bezug auf die Anzahl der Meldungen und deren Qualität vertretbar sei.- Was heißt vertretbar?Wir wurden nicht gerade prämiert dafür, aber man kam nach einigen Diskussionen auch mit den Prüfern zum Ergebnis, dass wir nicht zu wenige Meldungen haben.- Die Schweiz durchläuft derzeit auch ein solches Examen. Was untersuchen die Prüfer in Bezug auf das Meldewesen konkret?Bewertet wird erstens, ob bei einem Verdacht auch tatsächlich gemeldet wird. Zweitens will man wissen, was mit den Informationen aus den ergangenen Meldungen tatsächlich passiert ist. Also, führen Meldungen letztlich auch zu Verurteilungen und zur Beschlagnahmung von Geldern.- Wenn ich den Finma-Direktor Mark Branson am vorigen Donnerstag richtig verstanden habe, dann muss sich die Schweiz darauf gefasst machen, dass sie beim laufenden Länderexamen über die Einhaltung der Globalstandards (Gafi, Anm. d. Red.) einen Rüffel beziehen wird.Ich kann und will die Intentionen von Mark Branson nicht interpretieren. Aber ich habe schon bei der Veröffentlichung der Offshore-Leaks festgestellt, dass einzelne Institute einen zu hohen Risikoappetit aufweisen. Diese Unterschiede sind eine Herausforderung für die Aufsichtsbehörden in allen Finanzplätzen. Es ist immer noch so, dass sich eine große Mehrheit der Banken richtig verhält und auf riskante Kundenbeziehungen verzichtet. Dafür sollten diese Banken belohnt werden. Sie werden aber bestraft, wenn auf einem Finanzplatz stark unterschiedliches Risikoverhalten zugelassen wird.- Das auf Anfang Jahr geänderte schweizerische Geldwäschegesetz besagt neuerdings, dass eine Meldung nicht mehr automatisch eine Sperrung des gemeldeten Vermögens nach sich zieht. Was bewirkt diese Änderung?Wir hatten das gleiche System, als wir vor 15 Jahren das Schweizer Gesetz übernommen hatten, und wir waren weltweit die beiden einzigen Länder mit einer solchen automatischen Vermögenssperre. Wir wurden in dem Länderexamen vor zwei Jahren kritisiert für diese Vermögenssperre und zwar deshalb, weil diese dem verdächtigten Kunden signalisiert, dass eine Meldung erstattet wurde. Eine Bank darf ihrem Kunden nicht sagen, ob sie eine Verdachtsmitteilung gemacht hat, weil man die verdächtige Person eben nicht warnen will. Aber mit der Vermögenssperre passiert genau das, was man verhindern möchte.- Ist die Gesetzesänderung also berechtigt?Ja, sie ist sehr sinnvoll. Wir haben sie in Liechtenstein am 1. März ebenfalls vollzogen. Es hilft der Prävention, und es hilft den Banken, weil sie nicht mehr gezwungen sind, dem verdächtigten Kunden irgendwelche gesuchten Erklärungen für die Vermögenssperre aufzutischen.- Aber nun müssen die Banken doch auch zulassen, dass ein verdächtiger Kunde noch Transaktionen abwickelt. Kommen sie da nicht vom Regen in die Traufe?Ja, auch das ist ein Dilemma. Aber ich habe Ihnen den Beichtstuhleffekt erklärt. Die Bank kann sich quasi exkulpieren, wenn sie rechtzeitig meldet. Die Verantwortung für die Vermögenssperre liegt dann nicht mehr allein bei ihr. Abgesehen von Einschränkungen, welche die Bank weiter beachten muss, kann sie die Verantwortung ein Stück weit an die Behörden abschieben.- Sie hatten den Risikoappetit der Banken angesprochen. Die Finma betreibt seit 2014 ein entsprechendes Ratingsystem, das aktuell 14 Banken als hochriskant einstuft. Wo und wie muss man dieses Ratingsystem verorten?Was die Finma macht, nennt man risikobasierte Aufsicht – je mehr Risiko, desto strenger die Aufsicht. Das ist ein sehr moderner und sehr sinnvoller Ansatz in der Aufsicht. Er stammt übrigens auch aus den Gafi-Empfehlungen von 2012 und ist damit auch ein internationaler Standard, den die Finma umsetzt. Das System arbeitet mit ökonomischen Anreizen. Banken, die auf riskante Geschäfte verzichten, werden durch eine weniger intensive Aufsicht belohnt und umgekehrt.- Wie relevant sind die Panama Papers eigentlich für Ihre Arbeit als Aufsichtschef?Inhaltlich bringen die Enthüllungen für uns Fachleute nichts hervor, was wir nicht schon gewusst hätten. Ich will die Bedeutung der Panama Papers damit überhaupt nicht runterreden, aber es sind Enthüllungen, die vor allem einer breiten Öffentlichkeit das Geschäft aufzeigen. In den meisten Fällen geht es aber mehr um Legitimität als um Legalität.- Sie meinen die Briefkastenfirmen von Politikern wie David Cameron und anderen?Zum Beispiel. Solche Firmen sind nicht illegal, aber für einen Politiker eben aus Sicht der Wähler auch nicht angebracht.- Werden die Enthüllungen eine nachhaltige Wirkung erzielen?Sie werden sicher zu einer weiteren Verbesserung der Transparenz beitragen, vielleicht wird es auch gewisse Überreaktionen geben – man hört bereits Forderungen nach einem Verbot von Offshore-Strukturen. Am Schluss werden wir aber sicher weitgehende politische Konsequenzen sehen.- Liechtenstein, die Schweiz und andere Finanzplätze haben sich doch eben erst einer Weißgeldstrategie verpflichtet. Ist man damit doch nicht so weit gekommen wie gedacht?In Sachen Steuertransparenz wurde in den vergangenen Jahren sehr viel geleistet. Dabei hat man vielleicht unterschätzt, dass die Risiken im Geldwäschebereich als indirekte Folge der Steuertransparenz nicht kleiner, sondern größer geworden sind.- Wie meinen Sie das?Nehmen Sie den deutschen Zahnarzt, der sein Geld vor dem heimischen Fiskus in der Schweiz oder in Liechtenstein versteckt hat. Das war früher ein typischer Offshore-Kunde für die Banken. Heute ist das vielleicht ein osteuropäischer Unternehmer, der in einem Land tätig ist, wo das Korruptionsrisiko sehr hoch ist. Damit sind die Risiken für den Finanzsektor nicht kleiner geworden. Sie haben sich nur verlagert – von West nach Ost und vom Steuerbereich in den Geldwäschebereich.- Müsste der kasachische Unternehmer für seine Bankdienstleistungen im Ausland nicht einen höheren Preis bezahlen als zum Beispiel ein französischer Kunde?Doch, das müsste er unbedingt. Man kann am Preis einer Leistung tatsächlich erkennen, ob das Risiko richtig erfasst worden ist. Eine Panama-Gesellschaft kostet viel weniger als eine liechtensteinische Stiftung. Das zeigt, dass der Compliance-Aufwand bei der Gründung einer Panama-Gesellschaft viel kleiner ist. Diese Regulierungsarbitrage muss aufhören. Sie benachteiligt die Finanzdienstleister, die sich an die Regeln halten und aufwandgerechte Preise verlangen, und sie belohnt diejenigen, die mit Billigangeboten Geschäfte machen und sich den nötigen Kontrollaufwand sparen.- Wie weit sind gleiche Bedingungen an allen Finanzplätzen noch weg?Ich dachte immer, es sei ein Traum, dass wir dieses Ziel einmal erreichen könnten. Aber mit Enthüllungen wie den Panama Papers, die ich mit Blick auf die illegalen Beschaffungsmethoden des Datenmaterials durchaus auch kritisch sehe und eigentlich nicht begrüße, kommen wir dem Ziel tatsächlich näher. Für gut regulierte Finanzplätze wie die Schweiz und Liechtenstein ist das nur positiv, obschon noch einiges Verbesserungspotenzial besteht, wie auch die Finma diese Woche festgestellt hat.—-Das Interview führte Daniel Zulauf.